Wie man einen Werwolf tötet - Für Fortgeschrittene

53 2 1
                                    


Ein seltsames Bild bot sich Remus, als Professor Kesselbrand ihn auf die kleine Lichtung führte, auf der er seine toten Crups begraben hatte. Während der kleine, noch lebendige Crup vor ihm fröhlich hin und her sprang, betrachtete der Vertrauensschüler erstaunt das, was sich vor seinen Augen erstreckte.
Er wusste nicht genau, was er erwartet hatte. Vielleicht einen Haufen kleiner Erdhügel oder lauter große Grabsteine, auf denen die einzelnen Crups vermerkt waren. Aber auf keinen Fall hätte er erwartet, einfach eine Reihe von geöffneten Vierecken in der Erde zu sehen.
Als Remus näher an das erste Viereck herantrat und hineinblickte, konnte er deutlich einen weiß-braunen Körper erkennen. Sein Anblick wurde ein wenig getrübt durch eine Art flackernden Filter, der über der Öffnung lag. Der Crup sah so gesund aus wie sein lebendes Pendant und wirkte so, als schliefe er sich bloß einmal tüchtig aus. Remus war so von dem Anblick eingenommen, dass er es kaum wahrnahm, als sein Lehrer sich zu ihm gesellte.
„Und? Was sagen Sie?", fragte er lächelnd.
„Ich... weiß ehrlich gesagt gar nicht, was ich dazu sagen soll.", brachte Remus hervor. „Haben Sie nicht gesagt, dass die Crups schon seit den Sommerferien tot sind? Das sind ja schon mehrere Wochen. Keine Leiche eines Lebewesens sieht nach so langer Zeit noch so gut aus."
Kessselbrand ließ ein leises Lachen hören. „Da haben Sie vollkommen recht, Mr. Lupin.", erwiderte er mit hörbarem Vergnügen. „Aber ich kann Ihnen versichern, dass die armen Dinger hier schon seit dieser Zeit tot sind. Warum also, glauben Sie, sehen sie trotzdem so gut aus, wie sie aussehen?"
Remus warf einen überlegenden Blick auf die flackernde Oberfläche der Gruben.
„Ich bin mir beinahe sicher, dass der Filter dort oben etwas damit zu tun hat. Bestimmt irgendein Zauber gegen Verwesung?"
Kesselbrand schüttelte lächelnd den Kopf. „Richtiger Gedanke, aber falsche Stelle. Der Filter da oben rührt zwar durchaus von einem Zauber her, aber ist nur ein Schutzzauber, um sie vor äußeren Einflüssen wie Regen und dergleichen zu schützen. Nein, der Zauber, der sie nicht verwesen lässt, ist woanders zu suchen."
Remus beobachtete seinen Lehrer, der sich freute wie ein kleines Kind, das jemandem sein tollstes Spielzeug zeigte. Aber er war die schrulligen Gewohnheiten des Professors mittlerweile gewöhnt und hatte sie sogar schon liebgewonnen.
Er überlegte weiter. „Dann sind wohl die Körper selbst mit dem Zauber belegt. Der Verwesungsschutz liegt auf ihnen."
„Könnte auch sein, ist aber ebenfalls falsch. Ich wollte es erst so machen, aber stellen Sie sich die Mühe vor, jeden einzelnen Crup mit dem Zauber zu belegen und jedes künftige Tier, das ich hier begraben werde!"
Also hatte Kesselbrand vor, dieses Stück Land mit allen erdenklichen Tierkadavern zu versehen, die nie vermoderten und die er dann immer, wenn er Lust hatte, besichtigen konnte. Wie in einem Museum.
Remus konnte es sich gut vorstellen: Silvanus Kesselbrands Museum für Kadaver mehr und weniger gefährlicher magischer Geschöpfe jeglicher Art, wobei Professor Kesselbrand mit roter Museumsführermütze auf seinen Krücken herum hüpfte und anschaulich erklärte, wie die einzelnen Tiere zu Tode gekommen waren. Und Professor McGonagall war die mürrische Kassiererin, gemeinsam mit Professor Cauldron, während Dumbledore als der große Boss alles verwaltete. Die Vorstellung ließ Remus grinsen.
„Sie lächeln, also haben Sie die richtige Lösung gefunden?", riss Kesselbrand den Jungen aus seinen Gedanken.
„Äähm...", machte Remus und starrte auf die Gräber. Was für eine Möglichkeit gab es noch, um die Crups mit einem Anti-Verwesungszauber zu belegen, der beständig lieb? Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
„Die Erde!", rief er urplötzlich aus. „Es ist die Erde, die sie umgibt!" Er sah zu Professor Kesselbrand hoch. „Sie haben die Erde mit einem Zauber gegen Verwesung getränkt?"
Kesselbrand wiegte sich auf seinen Krücken hin und her. „Nun ja, nicht ganz. Ein Anti-Verwesungszauber war mir, ehrlich gesagt, nicht genug. Ich habe auf meinen Reisen einmal ein Elixier gefunden, das den Alterungsprozess von Lebewesen stoppt. Sind sie bereits tot, wird ihre Verwesung aufgehalten."
Remus starrte ihn mit offenem Mund an. „Sie haben die Erde mit einem Verjüngungselixier getränkt?"
„Nicht Verjüngung, bloß Stoppen des Alterns. Aber ja, das habe ich."
Der junge Gryffindor betrachtete die Erde, auf der er stand. Sie wirkte irgendwie frischer als jede andere Erde, die er bisher gesehen hatte. Er stellte sich vor, dass die ganze Lichtung mit diesem Elixier getränkt war.
„Also stehen wir gewissermaßen auf einem Jungbrunnen?"
Kesselbrand zupfte an seinem verbrannten Bart. „In der Tat. Aber es wirkt nur, wenn man wirklich von der Erde umgeben ist und es reicht nicht, auf ihr zu stehen. Außerdem war das Fläschchen mit dem Elixier gar nicht so groß, deshalb ist hier noch verhältnismäßig wenig in der Erde vorhanden. Aber es reicht, um die Crups nicht verwesen zu lassen."
Remus schluckte. „Weiß irgendjemand anderes aus der Schule noch davon?"
Kesselbrand schnaubte. „Natürlich nicht. Nur Hagrid weiß es noch und der hält sich fern von hier. Wenn das Ministerium davon etwas mitbekommt, war es das mit meinem kleinen Friedhof hier."
„Und warum zeigen Sie es ausgerechnet mir?"
„Weil Sie der vertrauenswürdigste Schüler sind, den ich kenne. Sie erzählen es bestimmt niemandem weiter. Wenn Sie es aber wider Erwarten doch tun wollen, werde ich sie jetzt wohl umbringen müssen." Dabei zwinkerte er ihm jedoch zu.
„Keine Sorge,", murmelte der immer noch überwältigte Remus. „Ich werde Ihr Geheimnis nicht heraus posaunen." Er hielt inne. „Könnte ich noch den Rest sehen?"
„Aber selbstverständlich, wenn Sie schon einmal hier sind!", rief Kesselbrand inbrünstig und der Crup neben ihm bellte bestätigend.
Remus nickte und schaute sich die nächsten Gräber an. Die meisten Crups sahen so aus wie der lebendige neben ihm. Sie hatten weiß-braunes Fell, wie ein Jack-Russell-Terrier. Für die interessierte sich Remus jedoch nicht. Er suchte bloß einen Crup, an den er sich noch aus dem letzten Schuljahr erinnern konnte.
Schließlich, am drittletzten Grab, entdeckte er ihn. Im Gegensatz zu den anderen seiner Art hatte dieser Crup anstelle des weißen Fells dunkelbraunes und der Fleckenunterschied war hier kaum noch zu erkennen.
Sein Lehrer für Pflege magischer Geschöpfe blickte ihm über die Schulter.
„Ach ja, das arme Ding. Es ist nicht leicht, so anders auszusehen als der Rest und eigentlich doch gleich zu sein. Allerdings haben die anderen ihn immer wie einen der ihren behandelt. Täten die Menschen so etwas doch auch nur." Er schniefte kurz, aber Remus hörte kaum zu. Ihn interessierte nur eines.
„Sagen Sie, Professor, wenn Sie diese Leichname jemals an die Oberfläche holen würden, finge der Verwesungsprozess dann direkt an?"
Der Professor überlegte kurz. „Nein, dazu ist das Elixier zu stark. Die Verwesung begänne wahrscheinlich frühestens nach einer Woche oder noch später, weil dann erst jede Spur des Elixiers abgeklungen wäre." Er lachte auf. „Aber wozu sollte man die auch da herausholen? Sie taugen doch nur noch zum Ansehen."
Remus nickte wortlos, aber sein Blick klebte immer noch an dem Crup mit dem dunklen Fell. Als sie die letzten beiden Gräber begutachteten, nahm er die beiden Gestalten in der Erde kaum mehr wahr, denn in seinem Kopf formte sich eine Idee, die mit etwas ruhiger Überlegung bestimmt zu einem Plan würde.

Das Geheimnis der Heulenden HütteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt