Moony

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Remus' Erleichterung darüber, nicht tot zu sein, hatte nur ein paar Minuten angehalten. Lange genug, damit er sich wieder seine Kleidung anziehen konnte. Dann jedoch hatte er Schritte vor der Hütte gehört, ein Brett wurde gewaltsam aus der Wand gerissen und im nächsten Moment stand Remus Auge in Auge mit Julius Pitchcraft.
Pitchcraft sah noch bedrohlicher aus als damals in Hogsmeade. Seine Augen waren blutunterlaufen und ein bedrohliches Funkeln hatte sich in sie hineingeschlichen. Seine blonden Haare waren ungepflegt und standen in alle möglichen Richtungen ab. Sein Kopf war rot angelaufen, als habe er gerade eine schwere Anstrengung hinter sich, und sein Atem ging schnell. Am meisten jedoch achtete Remus auf den Zauberstab, den der ehemalige Auror mit zitternder Hand auf ihn richtete.
Pitchcrafts Mund verzerrte sich zu einem Lächeln, das seine Augen widerspiegelten, aber es war kein freundliches Lächeln. Es war ein Todeslächeln.
„Du bist also der Werwolf. Ich bin sicher, so hattest du dir das nicht vorgestellt, stimmt's? Aber, falls es dich ein wenig beruhigt: Mir geht es da nicht anders. Man kann sich heutzutage auf niemanden mehr verlassen, was?" Er lachte.
Seltsamerweise verspürte Remus keine Angst. Nicht einmal ein wenig. Über diesen Punkt war er schon lange hinaus. Er war innerlich nur noch leer, ohne wirklich etwas zu fühlen. Auch in seinem Kopf gab es nur einen einzigen Gedanken, nur eine Sache, die ihn interessierte.
„Sind meine Freunde tot?" Seine Stimme zitterte nicht, nicht einmal ansatzweise.
Pitchcraft beäugte ihn. „Nein, da haben sie sich vor gerettet. Mittlerweile dürften sie im Schloss sein, die kleinen Bastarde. Sie haben mich ganz schön auf Trab gehalten. Aber es hat nichts genützt. Wie konntet ihr nur ernsthaft glauben, gegen mich ernsthaft etwas ausrichten zu können?"
Remus hörte gar nicht richtig zu. Nur eines zählte: Seine Freunde waren am Leben! Alles andere war ihm jetzt egal.
Er blickte dem Auror in die Augen, ohne zu blinzeln. Mit fester Stimme sagte er: „Sie werden mich jetzt töten." Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Pitchcraft erwiderte den Blick. „Ja."
„Warum?"
„Weil du ein Werwolf bist. Ein Monster, das es nicht verdient hat, zu leben. Ich muss die Welt von euch befreien." Er sagte das so sachlich, als spräche er über das Wetter.
Remus sah ihm unverwandt weiter in die Augen. Eine Weile war es still in der Hütte.
Dann öffnete Remus seinen Mund und fragte: „Worauf warten Sie dann noch?"
Für einen Moment flackerte Unsicherheit in Pitchcrafts Augen auf. Sie war schnell wieder verschwunden, aber Remus hatte es gesehen. Er räusperte sich und meinte: „Das ist interessant. Ich glaube, du bist der erste, der nicht um sein Leben bettelt. Zumindest von denen, mit denen ich noch sprechen konnte." Seine Augen verengten sich. „Wieso wehrst du dich nicht?"
„Wieso?" Remus ließ ein verächtliches Schnauben hören. „Sehen Sie sich doch einmal hier um! Glauben Sie vielleicht, ich möchte so sein? Glauben Sie vielleicht, irgendeiner von den vielen Werwölfen, die sie in ihrem Leben bereits abgeschlachtet haben, hat sich ausgesucht, ein Werwolf zu sein? Ich wollte nicht gebissen werden. Ich möchte nicht ständig in Angst leben, in der Angst vor den anderen Menschen, in der Angst vor den nächtlichen Verwandlungen. Ich hasse mich wahrscheinlich mehr als Sie es jemals könnten! Das Einzige, was mein Leben bisher lebenswert gemacht hat, sind die Menschen, die mich dennoch gern haben, trotz meines inneren Monsters. Meine Eltern, meine Freunde, Dumbledore... Ihretwegen habe ich gern gelebt und würde auch weiterhin gerne leben, wenn Sie nicht gekommen wären."
Er musste unwillkürlich lachen. „Wissen Sie, es ist schon seltsam. Die ganzen zwei Wochen, die wir unser Vorgehen geplant haben, hatte ich solche Angst davor, dass es schiefgeht und ich alles verlieren werde. Aber jetzt, wo es tatsächlich schiefgegangen ist, und Sie direkt vor mir stehen, habe ich keine Angst mehr. Nicht vor dem Tod, und erst recht nicht vor Ihnen. Kann der Tod denn wirklich schrecklicher sein als das hier? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich bereue nur, nie wieder meine Freunde sehen zu können, nie wieder mit ihnen durch die Ländereien ziehen zu können. Ansonsten jedoch stört es mich nicht im Geringsten, dass Sie mich gleich töten werden. Aber ich nehme an, das verstehen Sie nicht. Wie auch?"
Pitchcraft hatte ihm still zugehört, während er sich Luft gemacht hatte. Er blieb auch still, nachdem Remus seine Rede beendet hatte. Eine Weile war es in der Hütte so leise, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
Schließlich öffnete Pitchcraft allerdings doch seinen Mund. „Du irrst dich, Junge. Ich verstehe sehr gut, was du meinst. Und ich muss sagen," hierbei ließ er seine weißen Zähne sehen, „es freut mich außerordentlich, dass wir uns so darin einig sind, was mit dir geschehen soll. Das habe ich nicht oft. Vielleicht werde ich dich nicht ganz so leiden lassen wie die anderen."
Er umfasste seinen Zauberstab fest und fixierte Remus' Kopf. Remus bereitete sich innerlich auf das Ende vor. Er schloss die Augen und wartete. Dann hörte er den Zauberspruch. Und ein ohrenbetäubender Lärm erhob sich.

Das Geheimnis der Heulenden HütteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt