Als Sirius wieder auf dem Friedhof ankam, war niemand zu sehen. Das war erst einmal ein gutes Zeichen. Ächzend schleppte sich der Junge auf die Lichtung. Er hatte sich wieder in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt und stolperte mehr, als zu gehen. Seine Haut schmerzte von den vielen Kratzern, die der Crup ihm zugefügt hatte, und er war furchtbar erschöpft. Er wollte jetzt nur noch in sein warmes Bett im Schloss.
In diesem Moment hörte er ein Rascheln neben sich. Zwischen den Bäumen trat Remus hervor und lächelte ihn an. Das Lächeln änderte sich allerdings gleich darauf in einen Ausdruck tiefster Besorgnis. Sirius konnte sich denken, dass er momentan kein besonders schönes Bild abgab. Sein Freund lief sofort zu ihm hin, um ihn zu stützen, aber Sirius wehrte ihn ab.
„Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm sein würde!", flüsterte Remus.
„Mir geht es gut, du brauchst mir nicht zu helfen!" Tatsächlich hätte Sirius gerne Remus' Hilfe angenommen, aber das verbot ihm sein Stolz. Er drehte sich aus Remus' Griff und wäre beinahe gestürzt. Hartnäckig packte ihn Remus erneut und diesmal musste Sirius sich auf ihn stützen.
„Du kannst ja kaum stehen! Kesselbrand muss verrückt geworden sein, als er den Crup mit diesem Zauber belegt hat!"
Dem konnte Sirius schwer widersprechen. Da hörte er neben sich ein Hecheln und als er herunterblickte, sah er den Crup. Aber er hatte wieder seine normale Größe angenommen und sah aus wie ein ganz gewöhnlicher Jack-Russell-Terrier. Sirius fragte sich, weshalb das Biest jetzt wieder normal war.
Remus bemerkte, wie Sirius das Tier anstarrte, und meinte: „Ich war gerade fertig, als er auf die Lichtung kam. Ich habe mich in den Sträuchern versteckt. Als der Crup gesehen hat, dass niemand auf der Lichtung ist, ist er wieder geschrumpft."
Sirius fand, dass er das ruhig schon im Wald hätte tun können. Dann wären ihm einige Kratzer erspart geblieben, von der nebensächlichen Tatsache, dass sein Leben nicht in Gefahr gewesen wäre, einmal ganz abgesehen.
Er drehte sich zu Remus und fragte: „Hast du wenigstens unseren Leichnam?"
Sein Freund nickte und hielt einen zugeschnürten Beutel hoch, in dem augenscheinlich etwas unförmiges steckte.
„Ich habe versucht, so gut es ging, ein Abbild zu zaubern. Willst du es mal sehen?"
Sirius nickte stumm und folgte Remus zu der Grube. Sorgsam darauf achtend, ja nicht nochmal den Filter zu berühren, blickte er hinein. Innerhalb der Aushöhlung lag ein braunes Etwas, das man durchaus für einen Crup halten konnte, wenn man nicht allzu genau hinschaute.
„Was meinst du? Wird Kesselbrand darauf hineinfallen?", fragte Remus neben ihm zweifelnd.
Sirius nickte. „Es klappt schon. Ist ja nur für eine Woche." Er gähnte. „Können wir jetzt gehen, Moony?"
Moony lächelte und nickte. „Ja, sofort." Er beugte sich zu dem Crup hinunter, der mit dem Schwanz wedelte, und kraulte ihn hinter den Ohren. Dann nahm er den Tarnumhang vom Boden auf und stützte Sirius auf dem Weg zum Schloss. Der Crup sprang ihnen noch kurz hinterher. Vielleicht wollte er auch von Sirius gekrault werden, aber da konnte er lange drauf warten. Der Gryffindor hatte nicht vor, das Ding zu kraulen, das ihn vor ein paar Minuten noch hatte umbringen wollen.
Langsam bewegten sie sich über das Gelände. Irgendwann fiel Sirius auf, dass sie sich nicht in Richtung Schloss bewegten.
„Remus, wohin gehen wir?", erkundigte er sich.
„Zur Peitschenden Weide. Ich habe da eben etwas gehört, ich würde gerne wissen, was der Grund war."
Sirius verdrehte die Augen. „Was soll denn da sein? Manchmal gerät eben ein Tier in die Fänge des Baums. Na und?"
„Ich möchte es einfach überprüfen, okay? Es dauert nicht lange."
Sirius seufzte und ergab sich in sein Schicksal. Er hätte sich ohnehin nicht widersetzen können. Und vielleicht hatte Remus ja recht. In ihrer Situation war es vermutlich besser, auf jedes Geräusch zu achten.
Sie kamen so nahe an den Baum heran, wie sie konnten, ohne ihn zu reizen. Sirius spürte, wie Remus neben ihm schauderte. Er konnte es ihm nicht verdenken. Dieser Baum hing unmittelbar mit den monatlichen Qualen zusammen, die Remus stets erleiden musste.
Allerdings waren die Befürchtungen seines Freundes unnütz gewesen, wie Sirius schon geahnt hatte. Nirgendwo war etwas oder jemand zu sehen. Alles um die Weide herum war ruhig und Sirius konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Auch Remus schien das so zu sehen, denn nach einer Weile meinte er: „Okay, ich habe mich wirklich geirrt. Lass uns gehen."
Sirius war dankbar dafür. Sie drehten sich um, damit sie zum Schloss gelangten, als Sirius plötzlich stehen blieb. Jetzt war er derjenige, der etwas gehört hatte. Es war nur leise gewesen, aber es hatte sich so angehört, als ginge jemand durch das Gras. Er bedeutete Remus, leise zu sein und sich umzudrehen. Remus hielt seinen Zauberstab erhoben, aber in dem schwachen Lichtschein war genauso wenig zu sehen wie vorher. Sie gingen ein paar Schritte hierhin und dorthin, aber sie konnten nichts entdecken. Auch konnte Sirius nichts mehr hören.
Vermutlich war er einfach zu müde und konnte ohnehin nicht mehr klar denken. Mit einem letzten Blick auf die Weide drehten sich Remus und Sirius um und bewegten sich nun endgültig auf das Schloss zu, Remus mit seinem Zauberstab und dem Sack in der Hand, Sirius mit der einen Hand auf ihn gestützt und mit der anderen den Tarnumhang haltend.
Das Tor zum Schloss war verschlossen, wahrscheinlich durch Filch, aber mit einem einfachen Türöffnungszauber ließ sich dieses Hindernis bewältigen. Erst im Inneren fiel den beiden auf, dass sie den Tarnumhang gar nicht benutzten und breiteten ihn über sich aus. Dann bewegten sie sich unsichtbar durch die Gänge des Schlosses zum Gemeinschaftsraum.

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Das Geheimnis der Heulenden Hütte
FanfictionAm Anfang ihres fünften Schuljahres haben es James, Sirius und Peter endlich geschafft: Sie sind Animagi und können ihren Freund Remus nun bei seinen Werwolfverwandlungen begleiten. Damit steht eigentlich ein Jahr mit noch mehr Streichen und Spaß an...