Julius Pitchcraft trat aus dem Gasthaus Drei Besen ins Freie hinaus. Über ihm hob sich der Mond deutlich als grell leuchtende und kreisrunde Scheibe vom sonst dunklen Himmel ab.
Hier draußen war das Wolfsgeheul noch viel deutlicher zu hören. Der Auror ließ seinen Blick über die umstehenden Häuser schweifen. Nirgendwo brannte Licht, Fensterläden waren geschlossen und Türen verriegelt. Die Menschen hatten Angst. Und er war da, um sie von dieser Angst zu befreien.
Langsam schlenderte er in Richtung des Geheuls, das er so hasste. Er wollte nicht zu schnell dort ankommen. Er wollte es auskosten, sonst hätte die ganze Sache keinen Sinn. Er spürte, wie seine Erregung sich steigerte, je näher er der Hütte kam. Bilder schossen ihm durch den Kopf. Ein brennendes Dorf, ein toter Werwolf, eine Frau mit blutender Kehle...
Er schloss die Augen und ließ die Erinnerungen einen Moment auf sich wirken, um seine Entschlossenheit zu verstärken. Er tat das alles nur für sie. Jeder einzelne Werwolf, den er je getötet hatte, war die Rache für die Person, die er verloren hatte. Und doch wusste er in seinem Inneren, dass alle Werwölfe der Welt ihm nicht das zurückgeben konnten, was er einmal geliebt hatte. Wobei er mittlerweile nicht einmal mehr sicher war, ob er das überhaupt noch wollte. Er war nicht mehr fähig, zu lieben. Und er fragte sich auch, ob er diese Sache überhaupt noch ihretwegen machte. Die ganzen Geschehnisse waren schon so lange her. Wenn er ehrlich war, konnte er sich nicht einmal mehr wirklich an ihr Gesicht erinnern. Er wusste nur, dass er einmal eine Frau geliebt hatte, die ihm genommen worden war. Und diese Tatsache war es, die ihn in den letzten Jahren getrieben hatte – die Rachsucht in seinem Inneren, die sich einfach nicht mehr stillen ließ, obwohl er sich kaum noch an Susan selbst erinnern konnte. Er hatte sich ein Ziel gesetzt, das er erreichen würde: Er würde jeden Werwolf auf dieser Welt töten, egal wie, wo, wann oder warum.
Mittlerweile befand er sich auf dem nackten Boden zwischen Hogsmeade und der Hütte. Sein Kopf pochte und trotz des Lichts seines Zauberstabes kam es Pitchcraft so vor, als könne er nicht richtig sehen. Er hielt einen Moment inne, als ein Flimmern vor seinen Augen einsetzte. Was war mit ihm los? Das war doch eben im Gasthaus noch nicht so gewesen! Er rieb sich die Augen, was allerdings weder seine Kopfschmerzen noch das Flimmern verbesserte. Ächzend machte sich der Auror wieder auf den Weg. Schwindelgefühle hin oder her, er würde seine Aufgabe vollenden, solange er noch gehen konnte.
Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen. Mittlerweile konnte er kaum noch etwas erkennen. Sein Kopf pochte so sehr, dass er kaum nachdenken konnte. Das Einzige, an das er denken konnte, war der Werwolf. Sein schreckliches Geheul dröhnte ihm in den Ohren, als er auf die Holzhütte zuschritt. Er würde den Werwolf töten, den Werwölf töten, den Werwölf töten...
Urplötzlich ertönte das Geheul direkt neben seinem linken Ohr. Er drehte sich um. Hatte er sich das eingebildet? Jetzt kam das Geheul wieder aus der Hütte. Pitchcraft wandte sich wieder der Hütte zu. Da ertönte es wieder neben seinem linken Ohr. Pitchcraft drehte sich erneut um und sah einen dunklen Schemen neben sich. Er kniff die Augen zusammen. Vier Beine, Fell und ein Maul mit Zähnen. Und aus dem Maul kam ein scheußliches Geheul. Werwolf!
Ohne Nachdenken hob er seinen Zauberstab und schickte einen Fluch gegen das Tier aus. Er traf meterweit neben dem Werwolf die Erde. Schlecht gezielt, aber seine Hände zitterten ja auch. Das Vieh begann wieder zu heulen und trat die Flucht an. Pitchcraft vergaß alles um sich herum. Der Werwolf war außerhalb der Hütte! Er musste ihn schnell erwischen.
Stolpernd machte er sich auf den Weg und konnte nichts sehen, nichts bis auf den Werwolf sehen. Er schickte immer wieder Flüche aus. Sie trafen nie. Lauter Hindernisse waren ihm bei seiner Verfolgung im Weg. Er stolperte hier, fiel da hin, rappelte sich wieder auf. Aber er lief immer weiter, dem Werwolf hinterher. Er verlor ihn nie aus den Augen. Zu weit weg zum Verzaubern, aber nah genug zum Verfolgen. Das dunkle Tier war nicht schnell genug für einen Meister wie Pitchcraft.
Er würde ihn irgendwann kriegen, bestimmt. Immer noch dröhnte das Geheul in seinen Ohren. Aber er hatte es ja jetzt, das Mistvieh. Schneller laufen, Flüche zaubern, weiter laufen, Flüche zaubern, weiter laufen...
Pitchcraft wusste nicht, wie lange er schon lief. Es kümmerte ihn auch nicht. Er fühlte nichts als den Zauberstab in seiner Hand. Er hörte nichts als das Geheul des Wolfes in seinen Ohren. Er sah nichts als die Silhouette des Werwolfs vor ihm. Er dachte nichts als den einen Gedanken: Werwolf töten, Werwolf töten, Werwolf töten!
Das riesige Hindernis kam plötzlich, ohne Vorwarnung. Pitchcraft rannte direkt gegen das raue Ding. Er landete der Länge nach auf dem Boden. Er spürte jedoch nichts, nein, er rappelte sich gleich wieder auf. Er warf dem Ding nur einen kurzen Blick zu und rannte dann vorbei. Dabei kam ihm ein Wort in den Sinn: Baum. Es ergab für ihn gerade keinen Sinn. Doch gleich darauf rannte er gegen ein weiteres solches Ding und flog wieder hin. Jetzt sah er sich doch einmal um. Er war auf einmal umgeben von solchen Dingern. Und wo war der Werwolf? Er hatte ihn doch nicht verloren?
Nein, da vorne stand er und heulte. Schnell schoss ein weiterer Fluch auf ihn zu, verfehlte ihn aber. Der Werwolf rannte weiter, und Pitchcraft auch. Vorbei an den Dingern im Weg, dem Werwolf hinterher. Flüche schossen immer und immer wieder aus seinem Stab. Sie trafen den Werwolf nicht. Er schoss munter weiter durch den Wald.
Wald? Was bedeutete dieses Wort nochmal? Pitchcraft wusste es nicht. Es kümmerte ihn nicht. Er lief immer weiter. Vor ihm sprang der Wolf weiter und landete auf einmal auf einem großen Ding. Es war dasselbe Ding wie eben, nur lag es und stand nicht. Es blockierte den Weg. Und der Werwolf stand direkt darauf. Er bewegte sich nicht.
Das war seine Chance! Er wurde langsamer und feuerte eine ganze Reihe an tödlichen Fluchen ab. Nur einer musste treffen, nur einer! Er musste ihn töten! In welche Richtung genau die Flüche flogen? Das war egal. Er feuerte so viele Flüche ab, irgendeiner musste treffen. Eine leise Stimme ertönte in seinem Kopf, die ihm sagte, wie idiotisch das war, was er da machte. Er hörte nicht auf sie. Er feuerte weiter, immer weiter.
Und dann ertönte das Klagegeheul, Musik in seinen Ohren. Pitchcraft hörte auf zu feuern. Er blickte zum Baumstamm hoch.
Baumstamm? Er kannte das Wort nicht und es kümmerte ihn nicht. Er sah nur den Werwolf an. Der brüllte klagend, und er wankte. Windend vor Schmerz, so hatte Pitchcraft das gern. Und dann hörte er auf zu brüllen. Er fiel einfach auf der anderen Seite hinunter.
Einen Moment lang geschah gar nichts. Dann rannte Pitchcraft schnell zum Baumstamm. Er kämpfte sich hoch, kletterte, rutschte auf der anderen Seite runter. Er besah sich den Boden, suchte. Und dann fand er ihn.
Bräunliches Fell, viele Zähne, Werwolf-Größe. Und er war tot. Er sank neben dem Leichnam nieder. Geschafft. Er hatte es geschafft. Zu schnell, natürlich. Er hatte ihn nicht genug leiden lassen. Aber er war tot. Ein weiterer Mord für Susan, für seine Rache, für seinen Auftraggeber.
Julius Pitchcraft hockte auf seinen Knien neben dem Leichnam des Werwolfs. Sein Kopf schmerzte, seine Knochen auch. Woher, wusste er schon gar nicht mehr. Aber es kümmerte ihn auch nicht. Er war tot, der Werwolf war tot! Er vergrub sein Gesicht in den Händen und begann plötzlich, hysterisch zu lachen. Dann weinte er. Und dann machte er beides zugleich.
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Das Geheimnis der Heulenden Hütte
FanfictionAm Anfang ihres fünften Schuljahres haben es James, Sirius und Peter endlich geschafft: Sie sind Animagi und können ihren Freund Remus nun bei seinen Werwolfverwandlungen begleiten. Damit steht eigentlich ein Jahr mit noch mehr Streichen und Spaß an...