Der Boden der Grube war hart und trocken. Zumindest kam es Peter so vor, als er auf ihm aufprallte. Der Aufprall schüttelte seinen gesamten Körper durch und für einen Moment glaubte Peter, nie wieder aufstehen zu können. Dann kam die Erinnerung daran zurück, dass in der Grube gefährliche Kreaturen lauerten, und Peter fand schleunigst seine Fähigkeit, sich aufzusetzen, wieder. Es war zwar schmerzhaft, da sein Körper den Aufprall nicht ganz unbeschadet überstanden hatte, aber es funktionierte. Als er seinen Körper überprüfte, stellte er fest, dass er keine ernsten Verletzungen hatte.
Neben ihm stöhnte Evan Rosier auf. Peter beachtete ihn nicht, schließlich war es seine Schuld, dass sie überhaupt erst in der Grube gelandet waren. Außerdem beobachtete der Gryffindor viel lieber seine Umgebung. Vor lauter Dunkelheit konnte er kaum etwas erkennen, weshalb er seinen Zauberstab hervorholen wollte. Dummerweise fand er ihn nicht. Er musste ihm aus der Hand gefallen sein.
Panisch tastete Peter den Boden ab. Ohne seinen Zauberstab hatte er weder Licht noch irgendeine Chance, sich selbst zu verteidigen. Er schob Blätter weg und stieß gegen Wurzeln und Äste, aber nichts fühlte sich auch nur annähernd nach seinem Zauberstab an.
Von oben hörte er das Heulen eines Hundes und Hagrids lautes Keuchen. Er kämpfte da mit irgendetwas, das Peter nicht hatte erkennen können. Er malte sich die schlimmsten Kreaturen aus, die seine Fantasie hervorrufen konnte, die zugegebenermaßen nicht sehr ausgeprägt war. Jedoch genügte sie, um ihm Angst zu machen. Diese Angst verstärkte das laute Klicken, das plötzlich von oben zu hören war, noch mehr. Vor allem, als es unten erwidert wurde.
Während Rosier sich langsam bewegte, rutschte Peter immer verzweifelter auf dem Boden herum. Noch ein Ast, und noch ein Blatt, und dann wieder ein Ast, noch ein weiterer und noch einer... Doch Moment, der Ast eben war zu glatt und gerade, um ein Ast zu sein. Hektisch tastete Peter erneut nach dem Ast und als er ihn in Händen hielt, wusste er sofort, dass er seinen Zauberstab gefunden hatte.
Erleichtert stand er auf und murmelte: „Lumos!"
Im nächsten Moment wünschte er sich, er hätte es nicht getan.
Der Boden, auf dem er sich befand, war tatsächlich ziemlich trocken und von Blättern und Ästen von den Bäumen oben überhäuft. Im Lichtschein seines Zauberstabes erkannte er Rosier neben sich, der sich vorsichtig abtastete. Und etwas weiter hinter diesem bewegte sich noch etwas. Etwas, das dasselbe Klicken von sich gab wie das Geschöpf oben. Peter schluckte. Jetzt wusste er, was Hagrid gerade attackierte.
Das Gute daran war, dass es keins von den Fantasietieren war, die Peter sich vorgestellt hatte. Es war ein Tier, das Peter gut kannte. Allerdings nicht in der Größe, in der es jetzt vor ihm stand. Mit offenem Mund starrte Peter die Riesenspinne an, die sich bedrohlich vor ihm und Rosier aufbaute.
Rosier hatte gerade seine Selbst-Untersuchung beendet, als er zum ersten Mal seine Umgebung richtig wahrzunehmen schien. Sein Blick glitt zum bleichen Peter und dann direkt zur Spinne. Beim Anblick des riesigen Insekts schrie der ach so furchtlose Slytherin auf wie am Spieß und rannte bis zur Erdwand der Grube, wo er sich zitternd zusammenkauerte.
Peter hätte das am liebsten auch getan. Er konnte kaum atmen und der Schweiß lief in Bächen an ihm herunter. Mit geweiteten Pupillen und zitterndem Körper stand er vor dem Ungetüm. Aber anstatt davonzurennen, was sein erster Gedanke gewesen war, blieb er einfach stehen und starrte das langsam näher kommende Geschöpf an.
Die Spinne überragte ihn um beinahe einen halben Kopf. Ihre acht Beine, allesamt so lang wie Peter selbst, bewegten den riesigen Körper unaufhaltsam vorwärts, während die beiden Kneifzangen vor ihrem Maul bedrohlich klickten.
Instinktiv wich Peter mit jedem Schritt der Spinne einen Schritt zurück. Ihm war bewusst, dass das nicht ewig so weitergehen würde. Aber ihm fiel auch nicht ein, wie er sich sonst verhalten sollte. Noch nie hatte er sich seine Freunde so herbei gewünscht wie jetzt. Remus wäre im Nu etwas eingefallen, aber Peters Kopf war leer und wurde nur von seiner Angst beherrscht. Er wusste, dass er dem Tod ins Auge blickte. Und jetzt wusste er auch, dass er nicht sterben wollte. Das war seine Angst: Er hatte Angst vor dem Tod. Und auch davor, was man von ihm halten würde.
Würden seine Freunde ihn bedauern, wenn er starb? Oder ihn als Feigling und Nichtsnutz abstempeln, wie es die meisten Menschen taten, wie auch sein Vater? Der würde garantiert keine Träne vergießen, höchstens Freudentränen. Der Rest seiner Familie würde vielleicht um ihn trauern. Aber würde man ihn trotzdem für einen Versager halten, der seine Aufgaben nie richtig erfüllt hatte?
Peter hatte nie Ruhm gewollt, aber ein wenig Anerkennung schon. Bei seinen Freunden hatte er sie gefunden, wenn auch nicht immer, und das trotz seiner Unsicherheit.
Er wollte nicht sterben. Er wollte weiter mit seinen Freunden Unsinn treiben und durch das Gelände ziehen. Er wollte James weiter bewundern, sich von Sirius belehren lassen, Remus bei seinen Werwolf-Verwandlungen beistehen. Er wollte nicht, dass diese elende Riesenspinne ihm das alles kaputt machte. Er wollte nicht sterben.
Peter fiel auf, dass er immer noch seinen Zauberstab in der Hand hielt. Er richtete ihn auf die Spinne, wobei er versuchte, seine zitternde Hand möglichst ruhig zu halten. Er wusste, dass es fruchtlos war, aber er wollte es zumindest versuchen. Am Rand der Grube hockte immer noch Rosier und starrte schockiert vor sich hin.
Das Tier kam immer näher. Peter hatte seinen Zauberstab bereit, aber jetzt fiel ihm kein Zauberspruch ein. Das war mal wieder typisch: Jetzt, wo es darauf ankam, fiel ihm rein gar nichts ein. Es war zwar schwer, einen Zauberspruch gegen eine Riesenspinne zu finden, aber Peter hatte eine solche Leere in seinem Kopf, dass ihm nicht einmal ein einfacher Spruch einfallen wollte.
Die Spinne schob sich immer weiter nach vorne, wie ein riesiger schwarzer Schatten, der ihn verschlingen wollte. Nur dass ihm aus diesem Schatten zwei feuerrote Augen entgegen starrten. Peters Beine drohten, jeden Moment unter ihm nachzugeben, aber er zwang sich, weiter vor dem Monster zurückzuweichen.
Warum hatten sie nie in der Schule gelernt, wie man sich gegen Riesenspinnen verteidigte? Das wäre jetzt sehr hilfreich gewesen. Peter spulte verzweifelt alle möglichen Unterrichtsstunden seines Lebens in seinem Kopf ab, aber ihm fiel immer noch nichts ein. Sein Herz pochte wie wild, während er immer weiter vor den behaarten Beinen des Geschöpfes zurückwich. Wenn er doch nur wüsste, wie er die Spinne besiegen konnte, wie er sie einfach verschwinden lassen konnte! Verschwinden...
Ein Gedanke blitzte in seinem Kopf auf und ohne Zögern oder weiteres Nachdenken brüllte Peter den Zauberspruch heraus, der ihm gerade in den Sinn gekommen war: „Evanesco!"
Wie zu erwarten gewesen war, geschah nichts.
Das Ungeheuer krabbelte mit seinen acht Beinen noch immer auf ihn zu, aber jetzt, wo Peter endlich ein Zauberspruch eingefallen war, ließ er ihn nicht mehr los.
„Evanesco!", brüllte er erneut, und erneut, und nochmals. Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf sagte ihm, dass dieser Zauberspruch gegen ein solches Tier sinnlos war, aber Peter war zu panisch, um ihr große Beachtung zu schenken.
Er schrie immer weiter denselben Spruch, obwohl die Spinne sichtlich unberührt blieb. Er dachte daran, dass der Zauber schon im Unterricht nicht gewirkt hatte, aber das war ihm momentan herzlich egal. Irgendwann musste doch etwas passieren, wenn er nur konstant weiter brüllte...
Urplötzlich brach die Spinne zusammen. Peter wusste nicht, was geschehen war, aber mit einem gequälten tierischen Schrei aus seinem Maul kippte das Insekt vornüber. Peter blieb verblüfft stehen. Er beobachtete die Spinne, die sich auf dem Grubenboden wand, um sich wieder zu erheben, mit ihren acht, nein, sieben Beinen...
Die Erkenntnis traf Peter wie ein Schlag. Eines der Vorderbeine der Spinne war verschwunden! Offensichtlich hatte sein Spruch funktioniert! Der junge Gryffindor war so erstaunt über das, was ihm gelungen war, dass er zu spät bemerkte, wie das Ungetüm sich erhob und mit einem animalischen Laut auf ihn stürzte. Denn eine Spinne mit sieben Beinen hatte immer noch mehr Beine als er.
Mit einem erstickten Aufschrei drehte Peter sich zur Seite, sodass er nicht von den Kneifzangen, sondern lediglich dem noch vorhandenen Vorderbein erwischt wurde. Er wurde zu Boden geworfen, versuchte aber gleich wieder, sich aufzurappeln. Schließlich hatte er jetzt ein Mittel gegen die Spinne!
Als diese sich gerade in seine Richtung drehen wollte, richtete der Junge seinen Zauberstab auf ein weiteres Bein der Spinne und rief erneut: „Evanesco!"
Kreischend taumelte das Ungeheuer auf seinen nunmehr bloß noch sechs Beinen herum. Leider bewegte es sich dabei genau auf Peter zu, der erneut zu spät auswich und gerade noch verhindern konnte, dass die Spinne ihn unter sich begrub.
Allerdings hatte er nun seinen Zauberstab fallen lassen. Er konnte ihn zwar nur wenige Meter von sich entfernt liegen sehen, aber genauso weit entfernt waren auch die Kneifzangen und roten Augen der Riesenspinne. Und Peter konnte sich denken, dass sie nicht erfreut war.
Als sie nach ihm schnappte, krabbelte Peter nach hinten und entging ihren Hauern nur um Haaresbreite. Seine Hände stießen gegen hartes Holz und mit aller Kraft riss Peter den dicken Ast vom Boden hoch. Er platzierte ihn genau im roten Auge der Kreatur, die daraufhin kreischend zurückzuckte.
So schnell es ihm sein Körper erlaubte, der wirklich nicht für so einen Kampf geeignet war, robbte Peter zu seinem am Boden liegenden Zauberstab. Er erhob sich wankend und visierte die Spinne erneut an, die nun halb blind auf ihn zu torkelte.
Diesmal würde er sie einfach lähmen. Mit einem endgültigen Schritt auf das Untier zu öffnete Peter seinen Mund und begann: „Impedimen..."
Er fühlte etwas Weiches unter seinem Fuß. Es gab unter ihm nach und noch bevor er zu Ende sprechen konnte, fand sich Peter ein weiteres Mal mit dem Rücken auf der Erde liegend wieder. Bevor er wirklich realisiert hatte, was genau geschehen war, schob sich ein großes behaartes Etwas mit klickenden Kneifzangen über ihn, bereit, auf ihn herunterzufahren.
Instinktiv riss Peter seinen Zauberstab hoch und presste ihn in den weichen Hinterleib der Spinne. Es kam ihm nur ein einziger Zauberspruch in den Sinn, den er laut brüllte: „Evanesco!"
Die Riesenspinne fuhr auf ihn herunter.
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Das Geheimnis der Heulenden Hütte
FanfictionAm Anfang ihres fünften Schuljahres haben es James, Sirius und Peter endlich geschafft: Sie sind Animagi und können ihren Freund Remus nun bei seinen Werwolfverwandlungen begleiten. Damit steht eigentlich ein Jahr mit noch mehr Streichen und Spaß an...