Wilde Tiere, wildere Bäume

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Unter ihren Füßen knackte das Geäst. Professor Kesselbrand ging mit der Lampe in der Hand voran, während die beiden Schüler ihm missmutig folgten. James starrte vor sich auf den Boden und kickte einige heruntergefallene Äste weg. Er war wütend, dass Kesselbrand ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Wären er und Peter gemeinsam unterwegs gewesen, hätten sie sich gut unterstützen können, aber alleine war alles schwieriger. Schließlich hatte James nun zwei Menschen um sich herum, die nicht merken durften, was sein eigentliches Ziel war. Und zu allem Überfluss war einer dieser Menschen auch noch Schniefelus.
Der trottete neben ihm her und sagte kein Wort. Sein Gesicht wurde von seinen schwarzen Haaren verdeckt, weshalb es trotz der Lampe schwierig war, ihn zu erkennen. Als er die in sich zusammengesunkene Gestalt sah, fragte er sich erneut, wie jemand mit so einem Menschen sympathisieren konnte. Abgesehen von seinem hässlichen Aussehen und seinem finsteren Charakter war der Slytherin zudem tief in die dunklen Künste verstrickt. James hegte keinen Zweifel daran, dass Snape und der Rest seiner Freunde aus Slytherin es kaum erwarten konnten, sich dem dunklen Lord anzuschließen. Umso mehr war es James ein Rätsel, wie Lily Zeit mit Schniefelus verbringen konnte und nicht mit ihm. War er eifersüchtig? Ja, vielleicht. Aber James war sich sicher, dass Lily noch rechtzeitig erkennen würde, dass es nur einen für sie gab und das war garantiert nicht Schniefelus.
Konzentriert richtete er seinen Blick auf den Boden. Trotz der ungünstigen Situation musste er die Pflanzen finden, die sie suchten. Denn so, wie die Dinge standen, musste er das alleine tun. Peter mochte im Team hilfreich sein, aber er alleine würde wahrscheinlich nichts finden. Er hatte bestimmt nicht den Mut, sich von seiner Gruppe wegzuschleichen, um eine Pflanze aufzusammeln. Also lastete alles auf James' Schultern.
Dummerweise war der Ort, an dem sie sich gerade befanden, denkbar ungünstig für seine Zwecke. Die Bäume standen sehr dicht – die drei mussten sich teilweise zwischen den Stämmen hindurchzwängen – und der Boden war äußerst feucht. Hier würde er die Pflanzen nicht finden. Die Fangzähnige Geranie brauchte viel Platz, um sich zu entfalten und Kartoffelbauchpilze waren äußerst empfindlich im Bezug auf Feuchtigkeit, sie brauchten trockenen Boden.
Eigentlich war es ein Witz, dass er die letzteren hier im Wald suchen musste. Normalerweise waren sie in den Gewächshäusern in Hülle und Fülle vorhanden. Aber ausgerechnet jetzt herrschte ein Mangel an Kartoffelbauchpilzen in Hogwarts, über den Professor Chanton sich bereits lauthals beschwert hatte. Also musste James auch diese Gewächse im Wald finden. Dazu musste er allerdings warten, bis sie an einen Ort im Wald kamen, der die richtigen Voraussetzungen hatte. Aber das würden sie bestimmt irgendwann, da war James zuversichtlich.
„Professor,", begann just in diesem Moment Schniefelus neben ihm, „wohin führen sie uns eigentlich?"
„Na, zu den Riesen, die hier im Wald hausen, um dich loszuwerden, Schniefelus!", rief James ihm zu.
„Klappe, Potter!", knurrte er.
„Oder was?", entgegnete James angriffslustig.
Kesselbrand mischte sich ein: „Ruhe, alle beide! Sie wollen wissen, wohin es geht, Mr. Snape? Nun, wir machen uns zu den Zentauren auf. Sie sind schon seit geraumer Zeit sehr unruhig und ich möchte den Grund erfahren."
„Und da müssen wir mitkommen?", fragte der Slytherin verdrießlich. „Ich habe keine Lust darauf, nach irgendwelchen Ponys zu suchen!"
„Hüten Sie um Ihretwillen besser Ihre Zunge, Mr. Snape. Zentauren sind schon sehr empfindliche und leicht reizbare Geschöpfe, wenn sie nicht unruhig sind. Ich habe die Absicht, Sie hier heil herauszubringen. Und deswegen werden weder Sie noch Mr. Potter irgendwelche Späße versuchen, wenn wir auf die Zentauren treffen, verstanden?" Dabei blickte er James scharf an.
„Bei mir brauchen Sie keine Sorgen zu haben, nur auf Schniefelus hier sollten Sie aufpassen. Bei dem weiß man nie." James grinste seinen Mitschüler frech an.
Schniefelus warf ihm einen giftigen Blick zu. „Ja, Potter, pass lieber auf, bevor ich dich den Zentauren vorwerfe!"
„Und hören Sie bitte mit ihren Streitereien auf, zumindest, solange wir hier im Wald sind. Hier muss man todernst bei der Sache sein, sonst ist es schnell um einen geschehen. Versuchen Sie einfach, ein bisschen erwachsen zu sein. Das ist mit ein Grund, weshalb ich mich für den Wald als Bestrafung entschieden habe. Enttäuschen Sie mich nicht und bleiben Sie vor allem in meiner Nähe, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist." Der Professor drehte sich wieder um und ging weiter.
Die beiden Schüler warfen sich gegenseitig einen bösen Blick zu, bevor sie weitergingen. James war es ziemlich gleichgültig, dass Kesselbrand ihnen das Herumalbern und die Streitereien verboten hatte. Er hatte im Moment sowieso Besseres zu tun und Schniefelus konnte er noch bei vielen anderen Gelegenheiten triezen.
Sie bahnten sich ihren weiteren Weg durch die dicht stehenden Bäume und das feuchte Geäst, bis sie irgendwann auf eine recht große, baumfreie Lichtung kamen. Kesselbrand schenkte der Lichtung kaum Beachtung und marschierte stur geradeaus auf die nächsten Bäume zu. James und Schniefelus folgten ihm, als James auffiel, dass der Boden der Lichtung erstaunlich trocken war. Er bückte sich und befühlte die Erde sowie die auf ihr liegenden Blätter und Äste. Tatsächlich, sie waren nicht feucht. Suchend blickte sich James um und entdeckte etwas weiter rechts einige Gewächse. Da konnten sich durchaus Kartoffelbauchpilze drunter befinden. Forschend sah James zu seiner Gruppe. Kesselbrand hatte schon beinahe den Rand der Lichtung erreicht und Schniefelus folgte ihm mit gesenktem Kopf. Sie würden es nicht bemerken, wenn er kurz weg war.
Schnell huschte er zu den Gewächsen und zückte seinen Zauberstab. „Lumos", flüsterte er, woraufhin sich die Umgebung erhellte. Nun konnte James die Gewächse genauer betrachten. Und er wurde enttäuscht. Obwohl er die Pflanzen mehrmals durchsuchte, entdeckte er die typischen rosa Schoten eines Kartoffelpilzes nicht. Frustriert drehte er sich um. Kesselbrand und Schniefelus waren nicht mehr zu sehen, aber James wusste ungefähr, wo er sie zuletzt gesehen hatte. Er lief zu den Bäumen und verschwand zwischen ihnen. Sein Zauberstab erleuchtete ihm den Weg durch die Bäume, als er sich beeilte, seine Gruppe wieder einzuholen.
Auf einmal hörte er links neben sich ein Geräusch, als wenn neben ihm etwas durch den Wald lief. Etwas sehr Großes. Sofort blieb der Junge stehen und flüsterte: „Nox!"
Das Licht des Zauberstabes erlosch. Mit angehaltenem Atem stand James in der Dunkelheit und lauschte. Hatte er sich das Geräusch eben eingebildet?
In diesem Moment knackte es wieder, diesmal rechts von ihm. Er brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass sich das Geräusch auf ihn zu bewegte. Geistesgegenwärtig warf er sich auf den Boden und im nächsten Moment brach auch schon eine riesige Gestalt auf vier Beinen aus den Bäumen hervor und war im nächsten Moment schon wieder verschwunden. In der Richtung, die auch James hatte einschlagen wollen.
Leise keuchend erhob sich James, rückte seine Brille zurecht und starrte in die Richtung, in der das Wesen verschwunden war. Das Geräusch, das die Beine des Wesens auf der Erde gemacht hatten, hatte sich nach Pferdehufen angehört. Also hatte Kesselbrand recht mit den Zentauren gehabt. James schluckte und ging langsam weiter in die Richtung, in der der Zentaur verschwunden war und die höchstwahrscheinlich auch sein Lehrer und Schniefelus eingeschlagen hatten. Während er vorwärtsging, hörte er immer deutlicher das Hufgetrappel der Zentauren um ihn herum, aber zum Glück sprang ihm keiner mehr in den Weg. Die Zentauren schienen sich alle auf eine Stelle zuzubewegen, der auch James sich immer mehr näherte. Auf einmal nahm er einen schwachen Lichtschein wahr und hörte ein ohrenbetäubendes Geschrei. Je mehr er sich näherte, umso heller wurde der Schein, bis er an die Quelle des Lichtscheins kam. Als er sie sah, drückte er sich sofort an einen Baum, um außer Sichtweite zu bleiben. Nach kurzer Zeit warf er erneut einen Blick auf das Geschehen hinter dem Baum.
Auf einer kleinen Lichtung lag die immer noch brennende Lampe von Professor Kesselbrand auf dem Boden. Der Professor selbst jedoch kniete mit erhobenen Händen auf dem Waldboden, während eine ganze Horde von Zentauren mit angelegten Pfeilen und Bogen um ihn herumstanden. Und sie sahen nicht gerade fröhlich aus.

Das Geheimnis der Heulenden HütteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt