Bäume, Bäume, nichts als Bäume. Peter konnte sich nicht erinnern, etwas anderes gesehen zu haben, seit sie mit ihrer kleinen Gruppe aufgebrochen waren. Das war natürlich einerseits gut, da ihnen so noch kein bösartiges Tier in den Weg gelaufen war. Andererseits wurde Peter langsam müde und fragte sich, ob sie jemals ans Ziel kommen würden, was auch immer das war.
Hagrid hatte seit dem Anfang ihres Marsches kein Wort mehr verlauten lassen, sondern war stur seinen Weg gegangen, auch wenn er sich immer wieder vergewisserte, dass die beiden Schüler noch da waren. Peter hätte am liebsten gefragt, wohin es ging, aber er wagte es lieber nicht. Er hatte einen gewissen Respekt vor dem großen Mann, der außerdem gerade irgendwie schlechte Laune zu haben schien. Also sagte Peter lieber gar nichts und folgte stumm.
Evan Rosier redete dagegen ohne Unterlass. Seit ihrem Aufbruch hatte er sich ständig beschwert: Wie ungerecht diese Bestrafung doch sei, wie gefährlich es im Wald sei, wie sehr Kesselbrand das alles bereuen würde, wenn sein Vater das höre... Irgendwann hatte sich Peter an das Gerede gewöhnt und auch Hagrid schien dem keine Beachtung zu schenken.
Peters Blick ging zum Boden. Er wusste, dass er nicht einfach nichts tun konnte, auch wenn seine Freunde nicht dabei waren. Es fiel ihm allerdings schwer, sich auf das Finden der Pflanzen zu konzentrieren. Er wusste zwar, unter welchen Lebensbedingungen sie zu finden waren, aber er hatte trotzdem viele Befürchtungen. Was, wenn er etwas falsch machte? Bestimmt würde er die falschen Pflanzen pflücken. Wäre James hier gewesen, hätte er sich auf dessen Rat verlassen können, aber alleine war er viel zu unsicher. Er traute sich nicht zu, die richtigen Pflanzen zu finden. Er wusste ja, dass er kein allzu kluger Kopf war. Peter war nicht gut darin, die Initiative zu übernehmen und vollkommen auf sich gestellt zu sein. Normalerweise taten das seine Freunde, während er bloß mithalf und tat, was ihm gesagt wurde.
Nun war er zwar auch im Gewächshaus von Professor Chanton alleine gewesen, aber das war etwas anderes gewesen. Dort hatte er immer die Gewissheit gehabt, dass jemand da war, um ihm notfalls zu helfen, da er ja nicht weit vom Schloss entfernt gewesen war. Außerdem war das Gewächshaus klar strukturiert und Peter konnte schnell die gesuchten Pflanzen erkennen. Hier, im Wald, war alles verschlungen, uneindeutig und dunkel. Dazu war niemand da, auf den er sich hätte verlassen können. Rosier redete die ganze Zeit bloß und Hagrid konnte er auch nicht einweihen. Am liebsten hätte sich Peter aus der Gruppe weggeschlichen, um alleine zu suchen, aber er hatte zu viel Angst, sich zu verirren. Würde das passieren, wäre der Wald sein Ende, und davor hatte Peter unheimliche Angst. Also blieb er lieber bei den anderen und versuchte, so gut es ging, seine Pflanzen zu finden, auch wenn er sich nicht viel Erfolg versprach. James hatte mittlerweile bestimmt schon alles gefunden. Er war viel mutiger als Peter.
Ein Schrei holte ihn in die Realität zurück. Peter drehte sich um und sah, dass Rosier über eine Wurzel gestolpert war. Jetzt wälzte er sich wütend im Dreck. Peter wollte ihm aufhelfen, aber Rosier schlug seine Hand beiseite.
„Fass mich nicht an, Gryffindor!", zischte er, während er sich aufsetzte.
Peter zog seine Hand zurück, während Hagrid hinter ihm rief: „Was ist denn los? Wir müssen noch weitergehen."
„Ich gehe nicht weiter! Ich glaube, ich habe mir was gebrochen!", jammerte der Slytherin.
Hagrid kam mit wütendem Blick zu ihm herüber gestapft. „Das war doch bloß eine Wurzel, du jämmerlicher Wurm. Nimm dich zusammen und zeig mal ein bisschen Mumm, Rosier!"
„Aber es tut weh!", protestierte der Schüler. „Ich gehe keinen Schritt mehr!" Er setzte einen trotzigen Gesichtsausdruck auf.
Hagrid brummte irgendetwas Unverständliches in seinen Bart und meinte dann lauter: „Nun gut, dann gehen Peter und ich eben alleine weiter. Du kannst ruhig hier sitzen bleiben. Aber hab keine Sorgen, dass du alleine sein wirst, oh nein. Um diese Zeit treibt sich hier gerne allerhand Getier herum. Und du willst wirklich nicht wissen, was die mit kleinen Schülern wie dir anstellen, oh nein, das willst du nicht."
Damit drehte sich Hagrid um und marschiert weiter, mit Fang an seiner Seite.
Peter blickte unentschlossen zu Rosier herunter, bevor er langsam weiterging. Rosier sah ihm kurz erschrocken nach, dann fluchte er und stellte sich aufrecht hin, bevor er weiterging, wobei er das Gesicht verzog. Peter vermutete allerdings, dass das nur gespielt war, die Beine Rosiers schienen jedenfalls gut zu funktionieren.
„So etwas darf der nicht mit mir machen!", schimpfte der Slytherin vor sich hin, während er sich seinen Weg bahnte. „Wenn mein Vater erfährt, dass ich mir eine solche Behandlung von einem solchen Fettwanst gefallen lassen muss, dann..."
Er ließ den Satz unvollendet. Peter wusste nicht, ob er antworten sollte. Er wollte Rosier eigentlich sagen, dass Hagrid bestimmt keine Angst vor seinem Vater hatte, aber er traute sich nicht. Stattdessen blieb er stumm, während Rosier weiter redete:
„Man müsste diese ganze Schule neu aufbauen. Kein einziger anständiger Lehrer ist hier, da muss man wirklich etwas ändern..."
„Hast du Angst?", fragte Peter plötzlich, bevor er es zurückhalten konnte.
Rosier starrte ihn einen Moment an, bevor er mit hoher und lauter Stimme entgegnete: „Angst? Wie kommst du darauf, Pettigrew? Warum sollte ich Angst haben?"
„Weil du soviel redest. Mein Onkel hat mir einmal erzählt, dass Menschen, die Angst haben, oft reden, um über ihre Angst hinwegzutäuschen." Außerdem sprachen die hohe Stimme und die heftige Reaktion ebenfalls dafür, aber das traute der Junge sich nicht zu erwähnen. Er kannte diese Anzeichen von sich selbst, auch wenn er im Falle der Angst eher gar nicht redete.
Rosier lachte auf, was stark gezwungen klang. „Das kann nur ein Feigling wie du glauben, Pettigrew. Ein Slytherin hat keine Angst, im Gegensatz zu solchen erbärmlichen Kreaturen wie dir."
Peter wusste nicht, was er erwidern sollte. Wären James oder Sirius oder sogar Remus hier gewesen, hätte er vermutlich einen spöttischen Witz auf diese Beleidigung gerissen, aber ohne Beistand seiner Freunde wagte er es nicht.
Rosier plapperte allerdings ohnehin weiter, ohne Peter Zeit zu einer möglichen Antwort zu geben: „Ich habe nämlich den Vorteil, auf der Seite zu stehen, die niemanden zu fürchten braucht. Ich bin ein Reinblüter und mein Vater ist mit Du-weißt-schon-wem verbündet."
Sobald er das letzte Wort gesprochen hatte, schien der Wald augenblicklich um einiges dunkler und stiller zu werden. Selbst das Rauschen des Windes setzte für einen Moment aus.
Peter zitterte. Natürlich wusste er, wer Er-dessen-Name-nicht-genannt-werden-durfte war, aber er hatte noch nie erlebt, dass jemand in der Schule ihn wirklich erwähnte, geschweige denn zugab, dass die eigene Familie mit ihm zu tun hatte.
„Jetzt hast du Angst, nicht wahr?", fragte Rosier grinsend. „Das solltest du auch. Wenn der dunkle Lord erst die Welt übernommen hat, wird endlich alles so werden, wie es sein sollte. Die Muggel und Schlammblüter sterben, genauso wie die Blutsverräter, und die Zauberer beherrschen die Welt."
Dafür, dass er so überzeugt von der Zukunft war, sprach er erstaunlich leise. Peter musste sich anstrengen, ihn zu hören, obwohl er direkt neben dem Jungen ging.
„Der dunkle Lord wird es aber nicht schaffen.", sagte Peter zuversichtlich. „Das Ministerium ist stärker als er."
Rosier lachte verächtlich auf. „Das glaubst du wirklich, oder? Die Feiglinge im Ministerium haben keine Ahnung, zu was Du-weißt-schon-wer imstande ist. Glaub mir, Pettigrew, schon bald wird das Ministerium geschlagen sein und dann werden die ach so tapferen Zauberer vor Ihm im Staub kriechen. Nur wer jetzt schon klug genug ist, die Seite zu wechseln, wird belohnt werden."
Peter wurde die Situation langsam unangenehm. Er wollte schneller gehen, um von dem Slytherin wegzukommen, aber der packte ihn plötzlich an der Schulter.
„Du bist auch ein Reinblüter, Pettigrew.", flüsterte er dem Gryffindor ins Ohr. „Du hast noch die Chance, auf die richtige Seite zu wechseln, bevor es zu spät ist. Lass deine falschen Freunde los und suche dir richtige. Oder willst du etwa mit ihnen sterben? Denn genauso wird es kommen, Pettigrew. Sie werden sterben, alle, die sich dem dunklen Lord widersetzen. Sei klug."
Peter versuchte, sich loszureißen, aber Rosier war stärker als er und hielt ihn gnadenlos fest.
„Warum solltest du immer am Rockzipfel von Potter hängen? Das willst du doch gar nicht. Du könntest viel höher stehen, wenn du dich Ihm anschließt. Du willst doch nicht auf der Verliererseite stehen, nicht wahr? Denn ihr werdet verlieren. Ihr habt nicht genügend Kraft, um es mit uns aufzunehmen. Niemand hat das, nicht einmal Dumbledore. Also sag mir, möchtest du leben oder sterben? Gewinnen oder verlieren?"
Mit blitzenden Augen sah Rosier den Gryffindor-Schüler an. Er war einen halben Kopf größer als Peter, weshalb er zu ihm aufschauen musste. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Natürlich wollte Peter lieber leben als sterben, aber wer sagte ihm, dass der dunkle Lord wirklich so stark war, wie Rosier behauptete? Nach allem, was Peter gehört hatte, war er grausam und verachtete all seine Gefolgsleute. Da waren Peter seine Freunde, seine echten Freunde, viel lieber. Allerdings sah Rosier ihn mit einem so harten Blick an, dass Peter sich nicht sicher war, ob es für ihn gesund wäre, das zu sagen.
In diesem Moment hörten sie Hagrid rufen: „Wo bleibt ihr denn? Wir sind gleich da, also bewegt euch gefälligst hier rüber!"
Erleichtert, Rosier nicht antworten zu müssen, riss Peter sich los und lief schnell zu Hagrid herüber. Der stand mit seinem Hund am Rand einer Grube, die ein wenig einer kleinen Schlucht ähnelte. An ihrem Rand fiel die Erde plötzlich steil ab und ebnete sich erst nach einer ganzen Menge an Metern wieder. Sie reichte weiter, als Peter springen konnte, und schien auch recht tief zu sein. Peter ließ seinen Zauberstab aufleuchten und besah sich den Boden der Grube. Sie war doch weniger tief, als er geglaubt hatte, aber ein Sprung hinein wäre trotzdem nicht angenehm. Der Boden war von Blättern, Sträuchern und kleinen Bäumen bedeckt, zwischen denen Flecken dunkler Erde hervorstachen. Vielmehr konnte Peter nicht erkennen, und er hatte längst nicht die ganze Grube erfasst. Sie zog sich nämlich nicht nur weit in die Breite, sondern auch in die Länge, wie eine Schnittwunde mitten durch den Wald.
Peter hob den Kopf und fragte: „Müssen wir da runter?"
Hagrid lachte laut auf. „Oh nein! Da unten wimmelt es nur so von Kreaturen, die liebend gerne Schüler fressen. Wenn sie einen erst mal kennen, wie mich, dann sind sie eigentlich ganz lieb. Aber ihr geht lieber nicht da runter."
Peter schluckte. Die Gewächse auf dem Boden sahen auf einmal sehr gefährlich aus.
„Und wie kommen wir dann da rüber?"
Hagrid schwenkte seine Laterne, sodass Peter eine Holzbrücke erkennen konnte, die das andere Ende der Grube mit diesem hier verband.
„Wer hat die gebaut?", wollte Peter wissen, aber Hagrid war bereits auf dem Weg zur Brücke. Hinter Peter kam Rosier an und starrte in den Abgrund hinunter.
„Wohin führt der uns?", fragte er entsetzt.
Peter hielt es nicht für nötig, ihm eine Antwort zu geben. Er hatte ja selbst keine. Stattdessen ging er zur Brücke, über die Hagrid bereits hinüberging. Sie war im Grunde bloß ein ellenlanges Stück Holz, das auf beiden Seiten der Grube befestigt war. Es gab kein Geländer und das Holz, das ohnehin schon mürbe aussah, knarrte unheilverkündend unter dem Gewicht des Wildhüters. Peter beschloss, mit dem Hinübergehen zu warten, bis Hagrid die andere Seite erreicht hatte. Am liebsten wäre er natürlich gar nicht gegangen.
Als Hagrid drüben angekommen war und auffordernd seine Laterne schwenkte, holte Peter tief Luft und setzte seinen Fuß auf die Brücke. Er selbst war leichter als Hagrid, weshalb die Brücke ihn ohne weiteres aushielt. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen und zwang sich, ja nicht nach unten zu sehen. In diesem Moment rempelte ihn von hinten jemand an und beinahe wäre Peter von der Brücke gefallen.
„Na los, Pettigrew, beeil dich mal!" Rosier wippte ungeduldig hin und her.
Ächzend stand Peter wieder auf und bewegte sich vorwärts. Hinter ihm folgte Rosier schnellen Schrittes und rief ihm erneut zu: „Jetzt sei doch nicht so lahm! Die Brücke bricht schon nicht!"
„Vorsicht, Junge!", rief Hagrid von drüben. „Von dieser Brücke fällt man leicht!"
Rosier ließ ein verächtliches Schnauben hören und hüpfte absichtlich auf der Brücke herum. Peter drehte sich ängstlich zu ihm um, weil das Knarren der Brücke immer lauter wurde.
„Du solltest aufhören!", riet er Rosier, der daraufhin nur lachte und noch stärker hüpfte.
„Hör auf!", brüllte nun auch Hagrid. „Du wirst es bereuen!"
Rosier lachte nur immer weiter und beschimpfte sie beide, während Peter unschlüssig vor ihm stand. Er befürchtete, dass er fallen würde, wenn er versuchte, Rosier vom Springen abzuhalten. Aber er schien einfach nicht aufhören zu wollen.
Immer heftiger hüpfte er herum und lachte beinahe schon hysterisch. Hagrid fluchte von hinten und wollte die Brücke wieder besteigen.
Da sprang neben ihm plötzlich ein riesiges schwarzes Tier aus dem Gesträuch und warf ihn um. Er ließ er die Lampe fallen, die mit einem Ruck ausging und alles in Dunkelheit hüllte.
Jetzt passierten mehrere Dinge zugleich. Peter ließ einen erstickten Schrei hören. Fang begann zu heulen. Hagrid rang mit was auch immer da gerade auf ihm gelandet war. Und Rosier rutschte aus.
Peter bemerkte zu spät, dass der Junge hinter ihm wankte und nach etwas griff, das ihm Halt bieten könnte. Dieses Etwas war dummerweise Peter selbst. Ehe er richtig begreifen konnte, was alles passiert war, wurde er an der Schulter nach hinten gerissen und verlor den Boden unter den Füßen. Und gemeinsam mit einem schreienden Evan Rosier stürzte er dem Boden der Grube entgegen.
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Das Geheimnis der Heulenden Hütte
FanfictionAm Anfang ihres fünften Schuljahres haben es James, Sirius und Peter endlich geschafft: Sie sind Animagi und können ihren Freund Remus nun bei seinen Werwolfverwandlungen begleiten. Damit steht eigentlich ein Jahr mit noch mehr Streichen und Spaß an...