Remus saß auf seinem Bett im Schlafsaal der Fünftklässler. In seinen Händen hielt er eine relativ dünne Phiole mit einer grauen Flüssigkeit darin. Vorsichtig entkorkte er das Behältnis und roch an der Flüssigkeit. Ein leicht scharfer Geruch kitzelte ihn in der Nase. Ja, das war definitiv ihr Trank. Noch nicht ganz fertig, aber für ihre Zwecke sollte er genügen. Das musste er jedenfalls.
Es war Sirius' Idee gewesen, eine zweite Phiole mitzunehmen, falls Megan ihm ihre nicht sofort geben wollte. Ein einfacher Austausch der Phiolen durch Sirius und eine einfache Übergabe in Gestalt eines harmlosen Zusammenstoßes – ein einfacher Plan. Remus fragte sich, ob Megan überhaupt einen Unterschied zwischen einem ihr unbekannten Trank und schmutzigem Wasser aus dem Klo der Maulenden Myrte bemerkte. Vermutlich eher nicht
Bedächtig drehte Remus die Phiole in seinen Händen und betrachtete die Flüssigkeit darin. Und, ganz plötzlich, brach er in ein sehr lautes, beinahe hysterisches Lachen aus. Es hielt nur kurz an, wirkte aber wie eine Befreiung. Natürlich waren seine Probleme mit dem Trank noch nicht aus der Welt geschafft. Ihm war klar, dass ihr Plan immer noch kolossal schief gehen konnte. Aber trotzdem waren seine Überlebenschancen gerade, im Vergleich zu heute Morgen, um ein Vielfaches gestiegen.Der Samstag näherte sich dem Ende. Die Sonne stand bereits tief und leuchtete in einem tiefen Blutorange. So hatte es zumindest ausgesehen, als Peter gemeinsam mit James unter dem Tarnumhang aus dem Verbotenen Wald gekommen war, und der verzauberte Himmel der Großen Halle während des Abendessens hatte es ebenfalls gezeigt.
Natürlich konnte keiner von ihnen wirklich etwas hinunterbringen. Remus aß vor Vollmond sowieso nie viel, und jetzt erst recht nicht. Aber auch Peter und die anderen beiden aßen heute eher schlecht als recht. So früh wie möglich zogen sie sich aus der Halle zurück und suchten ihren Schlafsaal auf. Dort besprachen sie noch einmal jedes Detail.
Remus' Frage, ob sie alles vorbereitet hätten, konnten James und Peter getrost bejahen. Sie hatten alles im Wald genau so vorbereitet, wie sie es geplant hatten. Und mit Genugtuung sah Peter, dass auch Remus und Sirius erfolgreich gewesen waren angesichts der kleinen Phiole voller Trank, die Remus in Händen hielt. Das schien zwar auch nicht ganz ohne Probleme abgelaufen zu sein, aber Peter traute sich nicht nachzufragen, was es mit dem roten Fleck auf Sirius' Wange auf sich hatte. Stattdessen saß er neben James auf dessen Bett und hörte zu, wie Remus mit ihnen noch einmal den Plan durchging. Peter wusste zwar eigentlich, was er zu tun hatte, aber er war trotzdem dankbar, dass Remus es nochmal wiederholte. Es konnte ja durchaus sein, dass er etwas vergessen hatte. Und es war wichtig, dass er sicher wusste, was er tun musste. Schließlich war er derjenige, der den Trank tragen musste.
Nachdem Remus geendet hatte und sicher war, dass jeder seinen Teil des Plans verstanden hatte, saßen sie eine Weile stumm da.
Schließlich räusperte sich Sirius: „Also dann... wir sollten uns auf den Weg machen. Es wird dunkel, und wir sollten an Ort und Stelle sein, bevor... bevor es losgeht." Er klang merkwürdig heiser. Remus nickte langsam.
„Du hast recht. Wir haben alles besprochen, und geübt bis zum Abwinken. Jetzt heißt es alles oder nichts. Entweder gewinnen wir oder wir verlieren komplett. Es gibt keine andere Möglichkeit." Er wirkte darum bemüht, einen zuversichtlichen Tonfall anzustimmen, aber selbst Peter konnte die Besorgnis aus seiner Stimme heraushören.
James erhob sich und stand für einen Moment so da, als wüsste er nicht recht, warum er das gerade getan hatte. Dann streckte er den Rücken durch, rückte seine Brille zurecht und meinte: „Das ist wie ein Quidditchspiel! Wir müssen den Schnatz fangen, sonst gewinnt das andere Team. Und zu unserem Glück,", jetzt lächelte er überlegen, „bin ich der beste Qudditchspieler der Schule."
„Dir ist schon bewusst, dass du ein Jäger bist und kein Sucher?", entgegnete Sirius spöttisch.
„Na und? Das eine ist doch wie das andere.", meinte James frech grinsend.
Peter wünschte, er hätte James' Zuversicht. Er versuchte, so zu tun, als hätte er sie, aber seine Hände verrieten die Wahrheit. Sie zitterten wie Espenlaub, als er ebenfalls aufstand, also verbarg er sie hinter dem Rücken.
Remus sah zu seinen Freunden auf. Er sah sie eine Weile an, bevor er sich erhob und sagte: „Wenn jemand diesen Schnatz fangen kann, dann seid ihr das. Es gibt niemanden, dem ich mehr vertraue. Wir werden Pitchcraft zeigen, was es heißt, gegen die Rumtreiber vorzugehen!" Seine Stimme war fest, trotz seines blassen Gesichtes.
James stimmte eilig zu: „Er wird nicht einmal in die Nähe der Hütte kommen, dafür werden wir sorgen. Und morgen werden wir in der Großen Halle sitzen, es uns ordentlich schmecken lassen, und unseren Sieg feiern!"
„Aber nur, wenn wir siegen.", warf Sirius ein. „Ich meine, es steht außer Frage, dass wir siegen, aber es könnte natürlich trotzdem sein, dass wir verlieren. Aber weißt du was, Remus? Das kann dir in dem Fall auch egal sein, denn davon wirst du am Ende sowieso nichts mehr mitbekommen." Er grinste schief, bis er die Blicke der drei sah. „Was ist? Ein wenig humorvolle Motivation kann doch nicht schaden!"
Remus grinste. „Danke, Tatze. Ich werde daran denken, wenn ich in der Hütte bin."
Peter hätte gerne auch etwas gesagt, aber er brachte kein Wort heraus. Stattdessen sah er Remus nur an, mit so viel Ermutigung, wie er in einem Blick ausdrücken konnte. Und Remus erwiderte diesen Blick mit einem freundschaftlichen Lächeln. Dann musterte er sie alle drei einmal kurz, bevor er noch einmal den Mund öffnete: „Also, Tatze, Wurmschwanz, Krone: Zeigt diesem Zauberer, zu was Rumtreiber in der Lage sind!"
„Gerne, Moony!", erklang es aus drei Mündern zugleich. Remus überreichte Peter die Phiole mit dem Trank, James nahm den Tarnumhang in die Hand, und alle drei verließen den Raum. Als Peter noch einmal zurück sah, sah er, wie Remus wieder auf dem Bett saß und gedankenverloren vor sich hinstarrte. Peter spürte ein furchtbares Ziehen im Magen. Es konnte gut sein, dass er seinen Freund gerade zum letzten Mal sah.
Den Tarnumhang streiften sie erst über, als sie aus dem Gemeinschaftsraum hinaus waren und sicher sein konnten, dass niemand sie beobachtete. Dann liefen sie los, den Abenteuern dieser Vollmondnacht entgegen.
DU LIEST GERADE
Das Geheimnis der Heulenden Hütte
FanfictionAm Anfang ihres fünften Schuljahres haben es James, Sirius und Peter endlich geschafft: Sie sind Animagi und können ihren Freund Remus nun bei seinen Werwolfverwandlungen begleiten. Damit steht eigentlich ein Jahr mit noch mehr Streichen und Spaß an...