Sirius hatte Schnecken nie besonders viel Beachtung geschenkt. Er betrachtete sie bloß als Werkzeug für den Verwandlungsunterricht, wenn er überhaupt genauer über sie nachdachte. Schnecken waren einfach zu langweilig, es gab so viele spannendere Tiere. Zumindest war das seine Meinung gewesen, bis Snape ihm den Schneckenfluch aufgehalst hatte. Nun hatte sich seine Meinung zu Schnecken grundlegend geändert. Aber vermutlich würde jeder ein anderes Bild von Schnecken bekommen, wenn er mehrere Stunden damit verbrachte, diese zu erbrechen.
Mindestens drei Stunden hatte er über dem Kessel gehangen, in dem sich im Verlaufe der Zeit eine beachtliche Menge an Kriechtieren angesammelt hatte. Während der Zeit, die er nicht gerade damit verbrachte, Schnecken in den Kessel zu spucken, verfluchte er Snape für seinen verdammten Zauber. Nicht nur, dass es nicht gerade angenehm war, ständig Schnecken hervorwürgen zu müssen, er konnte so nicht mit in den Verbotenen Wald. Das ärgerte ihn ungemein. Anstatt mit James und Peter in den Wald zu gehen, musste er nun bei Remus' seltsamen Vorhaben mitmachen. Allerdings konnte er sich glücklich schätzen, überhaupt dazu in der Lage zu sein, etwas zu tun. Und wenn es nur darum ging, irgendwelche toten Tiere auszugraben.
Sirius wankte immer noch ein wenig, als er und Remus unter dem Tarnumhang die Treppen hinunterliefen. Sie hatten absichtlich eine Weile gewartet, um sicher zu sein, dass Professor Kesselbrand auch wirklich weg war, bevor sie sich auf den Weg gemacht hatten. Sirius musste zugeben, dass Remus' Plan sehr gut war. Es war eine geniale Idee, durch den Waldspaziergang Professor Kesselbrand vom Schloss wegzulocken, damit Remus und er sich ungestört an seinem merkwürdigen Friedhof vergreifen konnten. Auch wenn das sehr viel weniger spektakulär war als der Waldspaziergang von James und Peter, was Sirius sehr bedauerte.
Sie traten vorsichtig aus dem Schloss hinaus und bewegten sich zielstrebig auf die Lichtung zu, auf der sich Kesselbrands Friedhof befinden sollte. Sirius war die Merkwürdigkeiten seines Lehrers zwar durchaus gewohnt, aber einen eigenen Friedhof für seine verstorbenen Tiere zu erstellen? Das war selbst für Kesselbrand außergewöhnlich. Allerdings kam das ihrem Plan sehr zugute.
Die Lichtung war leer bis auf die Aushebungen in der Erde. Remus hatte ihm zwar bereits ausführlich davon berichtet, aber es war doch etwas anderes, es mit eigenen Augen zu sehen. Sirius leuchtete die Gruben mit seinem Zauberstab aus und konnte sich kaum von dem Anblick der unversehrten Leichname losreißen, bis Remus ihn anstieß.
„Komm schon, wir haben nicht ewig Zeit!" Und schon lief er zu dem Grab, dessentwegen sie hergekommen waren. Sirius seufzte und folgte ihm, wobei er den Tarnumhang aufrollte. Er konnte ja verstehen, weshalb Remus so unruhig war. Je näher die Vollmondnacht rückte, umso größer wurden seine Befürchtungen, dass sie es nicht rechtzeitig schaffen würden, alles fertigzustellen. Sirius war da allerdings optimistischer und hatte daher beschlossen, Remus zu beruhigen.
Auch jetzt, als die beiden um das gesuchte Grab herumstanden, sprach er ihn an. Sein Freund stand vor der Grube und seine Hände zitterten, als Sirius sagte: „Sei einmal etwas lockerer, Moony! Es gibt keinen Grund, so unruhig zu sein."
Remus blickte wütend zu ihm. „Ach ja? Abgesehen von der Tatsache, dass mich jemand umbringen wird, wenn wir das hier nicht rechtzeitig schaffen?"
„Wir schaffen es aber rechtzeitig. Warum zweifelst du so daran?"
„Ganz einfach: In beinahe einer Woche ist Vollmond und wir haben mit dem Trank und dem ganzen Rest noch nicht einmal begonnen! Es dauert alles viel länger, als ich dachte und..." Er stockte und wandte sich ab.
Sirius bereute seine Worte sofort. Seine Versuche, die Sache harmloser zu machen, als sie war, konnten natürlich nicht funktionieren. Remus schwebte in Lebensgefahr und Sirius trat so auf, als wäre das hier nur eine ihrer kleinen Unternehmungen!
Schuldbewusst legte Sirius seinem Freund die Hand auf die Schulter.
„Hör mal, ich verstehe dich ja. Ich kann schließlich sehen, wie sehr dir das zu schaffen macht. Aber dagegen hilft es auch nicht, so panisch zu sein. Du bist doch immer derjenige gewesen, der uns ständig zu Ruhe und Überlegung gemahnt hat, wenn wir irgendeinen Streich ausgeführt haben. Und das hilft hier genauso wenig. Wir können dem hier nicht entkommen, wenn wir so unruhig an die Sache heran gehen. Verstehst du mich?" Er ließ ein leises Lachen hören. „Eigentlich müsstest du das eher mir sagen, und nicht ich dir."
Remus blickte ihn an und schien etwas erwidern zu wollen, senkte dann aber nur schuldbewusst den Kopf. „Ich... Du hast wahrscheinlich recht, Sirius. Tut mir leid, ich bin nur..."
„Klar bist du so! Wer wäre nicht so in deiner Situation? Aber du hast ja das unglaubliche Glück, jemanden wie mich dabeizuhaben. Du hast recht, wenn du alleine unterwegs wärst, würdest du natürlich scheitern, aber James und Peter sind ja da. Und, noch wichtiger, ich auch! Wir machen deine Unfähigkeit schon wett!"
Sirius legte ein übertrieben hämisches Grinsen auf, woraufhin Remus aufblickte und gespielt wütend rief: „Unfähigkeit? Du wagst es, vor mir von Unfähigkeit zu sprechen? Darf ich dich daran erinnern, wie oft ich euch dreien schon geholfen habe, wenn ihr euch mal wieder in Schwierigkeiten gebracht habt? Pass bloß auf, dass du nicht gleich auch in diesem Grab hier landest, Sirius Black!"
„Dann muss ich dir wenigstens nie wieder bei einer deiner scheinbar so intelligenten Reden zuhören!"
„Wahre Intelligenz erkennt eben nur derjenige, der auch intelligent ist!"
Sirius wollte etwas erwidern, brach aber stattdessen nur in ein bellendes Gelächter aus. Nach einer Weile ging es auch auf Remus über und er fiel mit ein. Sie konnten damit gar nicht mehr aufhören und ehe sie sich sich versahen, lagen beide sich windend auf der Erde.
„Also gut... Ich... ich verspr... ich verspreche, dass... ich verspreche, dass ich ab jetzt nicht mehr... nicht mehr so besorgt bin!" stieß Remus keuchend zwischen den einzelnen Lachern hervor. Sirius hatte keinen Atem, um zu antworten, weshalb er einfach nur nickte. Irgendwann wurden die beiden immer ruhiger, bis sie keuchend nebeneinander lagen und in den Himmel hinauf starrten. Bis auf ihre schnellen Atemzüge war es beängstigend still in der Dunkelheit um sie herum.
Schließlich stand Remus auf und erinnerte Sirius daran, dass sie eine Aufgabe zu erfüllen hatten. Obwohl es ihm schwer fiel, erhob sich Sirius und versuchte, wieder ernsthaft zu sein. Als er neben Remus vor dem Grab stand, sah er seinen Freund von der Seite an und sagte: „Du hast das vollste Recht, besorgt zu sein. Aber wenn du dich dem überlässt, hast du erst recht keine Chance. Und wir stehen hinter dir, damit genau das nicht passiert." Remus warf ihm ein dankendes Lächeln zu, bevor er seine Aufmerksamkeit der Grube zuwandte.
Sirius sah in die Grube hinein und auf den Crup mit dem braunen Fell, dessen Anblick nur ein wenig von dem über die Öffnung der Grube gezogenen Filter getrübt wurde. Sirius' Zauberstab gab ein starkes Licht ab, das den Großteil des Grabes erhellte.
„Remus,", fragte er vorsichtig. „ist das nicht eigentlich so etwas wie... Grabschändung?"
Sein Freund blickte ihn erstaunt an. „Woher kommen diese Gewissensbisse, Tatze? Wir leihen uns den Körper doch nur aus, für einen guten Zweck! Außerdem ist das Tier tot, das wird es garantiert nicht mehr stören."
Sirius nickte und schüttelte sein Unbehagen ab. Remus hatte recht, es war dumm, so etwas zu denken. Stattdessen fragte er seinen Freund: „Hast du eine Ahnung, wie wir das Ding da rausbekommen, ohne dass Kesselbrand es merkt?"
Remus runzelte die Stirn. „Es rauszubekommen, dürfte kein Problem sein. Es hinzubekommen, ohne dass Kesselbrand merkt, dass etwas fehlt... ist schwieriger."
„Aber du hast dir doch sicherlich schon etwas überlegt?"
Remus zögerte. „Ja, natürlich. Das heißt, theoretisch. Im Grunde ist es ganz einfach..." Er hielt inne. „Ehrlich gesagt, hatte ich eigentlich vor, zu improvisieren."
Sirius verdrehte die Augen. „Soll das heißen, dass wir hierhergekommen sind, ohne wirklich einen Plan zu haben?"
„Hey, ich kann mir nicht über alles Gedanken machen! Es ist ja nicht so, als ob du oder James oder Peter mit irgendeiner Idee angekommen wärt!", verteidigte sich Remus.
„Ja, aber das Planen ist deine Aufgabe! Ich meine, ich bin gut darin, Streiche zu planen, aber so eine Expedition..."
„Du hast auch schon so etwas geplant. Darf ich dich an die Sache mit der Vorratskammer der Hauselfen erinnern?"
„Das war doch etwas völlig anderes, außerdem..." Plötzlich verschwand das Licht vor seinem Gesicht. Erschrocken wich Sirius einen Schritt zurück, bevor er merkte, dass er seinen Zauberstab hatte fallen lassen. Remus' Stab flammte sofort auf, aber Sirius hatte bereits gesehen, wo sein Zauberstab hingefallen war: Er lag auf dem Filter über der Grube. Es sah seltsam aus, wie sein leuchtender Zauberstab über dem Körper des toten Tieres zu schweben schien. Schnell nahm er seinen Zauberstab auf, wobei er bemerkte, dass der Filter merkwürdig flackerte und eine rötliche Färbung angenommen hatte. Sirius drehte sich zu Remus um und wollte gerade etwas sagen, als er ein Knurren aus der Richtung des Waldes hörte. Auch Remus schien es gehört zu haben, da er sich sofort umdrehte. Das bedrohliche Knurren kam immer näher, während die beiden Freunde enger zusammenrückten. Trotz der schauerlichen Situation musste Sirius beinahe lachen. Hatte er sich nicht vorher noch beschwert, wie unspektakulär das hier werden würde? Darin hatte er sich ganz offensichtlich getäuscht.
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Das Geheimnis der Heulenden Hütte
FanfictionAm Anfang ihres fünften Schuljahres haben es James, Sirius und Peter endlich geschafft: Sie sind Animagi und können ihren Freund Remus nun bei seinen Werwolfverwandlungen begleiten. Damit steht eigentlich ein Jahr mit noch mehr Streichen und Spaß an...