Das Ende vom Anfang

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„Kommen Sie schon, Madam Pomfrey, er ist unser Freund!"
„Ich bedaure sehr, Mr. Potter, aber ich glaube nicht, dass Mr. Lupin momentan in der Lage ist, Besuch zu empfangen."
„Er ist doch schon seit zwei Tagen hier drin, es geht ihm bestimmt wieder besser!"
James stand gemeinsam mit Sirius und Peter vor der Tür zum Krankenflügel und sah Madam Pomfrey mit bittendem Blick an, doch die Krankenpflegerin blieb stur.
„Mr. Lupin darf nicht gestört werden, nach allem, was ihm widerfahren ist. Das müssen Sie verstehen."
„Wir wissen doch, was ihm widerfahren ist!" Sirius verschränkte die Arme vor der Brust.
„Und gerade deswegen sollten Sie das größte Verständnis aufbringen." Madam Pomfrey senkte die Stimme. „Nicht jeder übersteht einfach so einen Mordversuch und eine Verwandlung innerhalb einer Nacht."
„Aber Remus schon!", sagte Peter überzeugt.
James sah Madam Pomfrey an und verdrehte innerlich die Augen. Vor zwei Tagen hatten sie noch selbst im Krankenflügel gelegen. Nach der Sache mit den Ohnmachtspillen – ein wunderbares Souvenir aus Zonko's Laden – waren sie Stunden später im Krankenflügel aufgewacht, ohne zu wissen, was in der Zwischenzeit geschehen war. James hatte Remus entdeckt, der im Bett neben ihm lag, und war für einen Moment davon überzeugt gewesen, dass er tot war.
Madam Pomfrey hatte ihm dann allerdings versichert, dass Remus nur ohnmächtig war und daher noch längere Zeit im Krankenflügel bleiben musste. James, Sirius und Peter durften hingegen gehen, nachdem sie an einer Besprechung mit Dumbledore und Professor Fawley teilgenommen hatten. Die Besprechung war sehr aufschlussreich gewesen und hatte zu einigen Erkenntnissen geführt, die nicht so leicht zu verarbeiten gewesen waren. Die drei Rumtreiber hatten insbesondere Probleme, zu akzeptieren, dass Professor Fawleys Absichten ihnen gegenüber nicht feindselig gewesen waren. Auch jetzt noch betrachtete James den Lehrer mit misstrauischem Blick, wenn er ihn sah.
Zwei Tage hatten sie sich geduldet, bevor sie Remus besuchten. Und jetzt wollte Madam Pomfrey sie einfach nicht einlassen!
Aber nicht mit den Rumtreibern.
Madam Pomfrey stand immer noch mit verschränkten Armen da, aber James war entschlossen, sich nicht so einfach abwimmeln zu lassen. Er setzte gerade zu einer weiteren Bitte an, als hinter Madam Pomfrey eine zwar leise, aber relativ bestimmte Stimme rief: „Madam Pomfrey, es ist in Ordnung. Sie können hereinkommen, ich habe nichts dagegen."
Madam Pomfrey drehte sich um. Hinter ihr entdeckte James Remus in dem Bett, das der Tür am nächsten stand. Er grinste ihm zu.
„Mr. Lupin,", protestierte Madam Pomfrey. „ich kann sie noch nicht mit diesen Störenfrieden reden lassen. Sie sind noch zu schwach dazu! Wenn Sie einen Rückfall erleiden..."
„Ich werde einen Rückfall erleiden, wenn ich noch länger hier liegen muss, ohne eine Beschäftigung zu haben. Ich möchte mit meinen Freunden sprechen!" Remus hatte sich aufgesetzt und blickte Madam Pomfrey herausfordernd an.
Die Krankenpflegerin schüttelte den Kopf. „Diese Jugendlichen... Meinetwegen, aber nur ein paar Minuten!"
Sie trat zur Seite und die drei Gryffindors stürmten an ihr vorbei, wobei James es sich nicht verkneifen konnte, Madam Pomfrey noch ein spöttisches Grinsen zuzuwerfen.
Remus lächelte sie an. Er war immer noch ziemlich blass, sah aber ansonsten so fröhlich aus wie eh und je.
James setzte sich direkt auf die Bettkante, was Sirius und Peter ihm gleichtaten.
„Na, Moony, alles klar?", fragte er. Es tat verdammt gut, seinen Freund so wohlauf zu sehen. Trotz seiner Blässe sah Remus besser aus er als in den ganzen vergangenen zwei Wochen getan hatte.
„Ja, im Moment schon.", meinte Remus und lächelte leicht. „Das habe ich aber nicht unbedingt euch zu verdanken."
„Na hör mal!", entrüstete sich Sirius. „Wir haben das Schloss aufgeweckt und Professor Fawley befreit! Also, nicht direkt, aber trotzdem lag es an uns."
„Ihr wart auch die, die ihn überhaupt erst eingesperrt haben."
„Du warst doch selbst dafür!"
„Ja, ich weiß, ich weiß. Es ist ja alles gut verlaufen." Remus hielt kurz inne. „Was genau ist eigentlich schiefgelaufen mit unserem Plan?"
Peter räusperte sich. „Also, bei mir hat alles gut funktioniert. Und bei Sirius auch."
„Ja.", bestätigte Sirius. „Erst im Wald hat er Verdacht geschöpft. Er hat gemerkt, dass James der Hirsch war." Er sah sich um, um sicher zu sein, dass Madam Pomfrey nicht mithörte, aber sie war am anderen Ende des Raumes mit irgendwelchen Kräutern beschäftigt.
James nickte. „Das war echt übel, als er mich gezwungen hat, mich zurückzuverwandeln." Er erinnerte sich nicht gerne daran. So einen Schmerz hatte er noch nie verspürt.
Remus sah betroffen aus. „Ich hätte das nicht zulassen sollen. Er hätte euch beinahe umgebracht. Er wollte euch foltern!"
„Jetzt halt aber mal die Luft an, Remus!" James blickte seinem Freund bestimmt in die Augen. „Mach dir keine Vorwürfe, du kannst nichts dafür. Wir haben es verbockt." Es war ein seltsames Gefühl, zugeben zu müssen, dass er etwas falsch gemacht hatte, aber es stimmte wohl.
„Nun ja, eigentlich hast du alles richtig gemacht im Wald.", erwiderte Sirius. „Ich glaube, der Trank hat einfach nicht mehr gewirkt."
„Wieso das denn?", fragte Peter.
„Weil er nicht vollständig war.", beantwortete Remus die Frage. „Megan hat ihn abgezapft, als wir ihn noch gebraut haben. Deswegen hat die Wirkung nicht so lange angehalten."
„Also, hätte Fawley unseren Kessel nicht umgestoßen, wäre alles nach Plan verlaufen?" James konnte die Worte, die er aussprach, kaum glauben. „Unfassbar. Das werde ich ihm nochmal sagen."
„Du wirst gar nichts sagen!", entgegnete Remus. „Wir können froh genug sein, dass Fawley und Dumbledore nichts von den Verwandlungen mitbekommen haben. Sie glauben, dass ihr Pitchcraft einfach so entgegengetreten seid."
„Und der Rest der Schule auch!" Ein zufriedener Glanz stand in Sirius' Augen. „Nur mit dem Unterschied, dass ihnen erzählt wurde, dass Pitchcraft die Schule angreifen wollte und wir vier ihm entgegengetreten sind. Wir sind momentan so was wie Helden!"
„Nicht für lange.", meinte Remus.
„Ist doch egal. Solange wir noch Helden sind, können wir uns auch so benehmen, oder? Das haben wir verdient. Und ganz besonders du, Remus." James sah selbstbewusst in die Runde.
„Da hast du wohl recht.", murmelte der Werwolf.
Eine Weile sagte niemand ein Wort.
Dann sagte Peter, wie um das Thema abzuschließen: „Es ist schön, dass du nicht tot bist, Remus."
Remus blickte ihn an und musste ganz plötzlich grinsen. „Das finde ich auch, Peter."
„Ja, wenn du gestorben wärst, weil wir uns nicht gegen Pitchcraft wehren konnten, hätte ich mir wohl für immer Selbstvorwürfe gemacht.", sagte James.
Remus zog eine spöttische Miene. „Was, James Potter und Selbstvorwürfe?"
James lächelte nicht. Er wollte Remus zeigen, dass er es wirklich ernst meinte. „Ja, in diesem Fall schon. Du bist unser Freund, Remus. Noch wichtiger, du bist ein Rumtreiber. Wir würden alles für dich tun." Er runzelte kurz die Stirn. „Naja, fast alles."
Sirius gab einen zustimmenden Laut von sich. „Eigentlich hätten wir uns noch mehr gegen Pitchcraft wehren sollen. Wir hätten uns auf ihn werfen sollen, auch ohne Zauberstäbe."
„Unsinn, dann hätte er euch erst recht getötet.", meinte Remus. „Ihr habt ganz richtig gehandelt. Niemand von euch soll für mich sterben." Er sah sie alle nacheinander an. „Danke."
„Warum bedankst du dich?", fragte James empört. „Wir sind doch gerade deswegen Freunde, weil wir so etwas ganz von uns aus machen. Wir wollen kein Dankeschön! Nimm es zurück!""
Remus lächelte und nickte. Dann sagte er: „Eigentlich war es ja ein schönes Abenteuer."
Da konnten ihm die anderen nur zustimmen. Sogar Peter, der in der Regel Abenteuern aus dem Weg ging, äußerte sich lebhaft zu den vergangenen Tagen.
Der Begeisterungsschwall hielt allerdings nicht lange an, weil Madam Pomfrey sie schon bald aus dem Krankenflügel warf, da sie ihre Besuchszeit schon erheblich überschritten hatten. Und diesmal war sie wirklich unerbittlich.
Die drei gaben Remus noch das Versprechen, bald wiederzukommen, dann waren sie bereits aus der Tür hinaus.
Auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum kamen sie an Peeves vorbei, der konzentriert in einer Ecke schwebte und Kürbisse ausschnitt, die vermutlich mehr als gewöhnliche Kürbisse waren. Halloween stand in ein paar Tagen an und vermutlich hatte der Poltergeist so einiges an Überraschungen in den Kürbissen parat.
James verkniff sich ausnahmsweise das Verlangen, Peeves einen Fluch auf den Hals zu jagen. Zu sehr freute er sich über Remus' baldige Genesung.
Während sie weitergingen und über die verschiedenen Halloween-Scherze diskutierten, die sie selbst loslassen wollten, bogen sie um eine Ecke, hinter der sie beinahe mit Professor Fawley zusammenstießen.
Als sie einander erkannten, murmelten die Rumtreiber eine kurze Entschuldigung und wollten bereits weitergehen, als der Lehrer sie zurückrief: „Seid ihr mir gegenüber immer noch so misstrauisch?"
Sie hielten an und drehten sich zu ihm um. Er kam mit einem versöhnlichen Ausdruck auf dem Gesicht auf sie zu. Sein gelähmtes Bein zog er nach.
James machte es sich zur Aufgabe, für sie zu antworten: „Nein, Professor, aber es ist schwer, nach diesen zwei Wochen zu glauben, dass sie kein mörderischer Mistkerl sind."
Fawley musste lachen. „Nun ja, da hast du wohl recht. Und ich entschuldige mich aufrichtig für mein Verhalten. Ich hätte offener sein müssen, dann wäre ein paar Missverständnissen vorgebeugt worden. Ich bin nicht unbedingt sehr klug vorgegangen, mein einziger Gedanke war, jeden von Julius fernzuhalten, damit ich ihn mir allein vornehmen konnte." Er warf ihnen einen entschuldigenden Blick zu. „Kommt ihr gerade von Remus?"
James nickte. „Wenn Sie ihn auch besuchen wollen, sollten Sie sich in Acht nehmen. Madam Pomfrey hat keine gute Laune."
Fawley weitete die Augen. „Oh je, da muss ich mich also vorsehen. Aber ich habe ja erst kürzlich gegen einen Meisterauroren gekämpft, da dürfte ich es gerade noch so gegen eine wütende Madam Pomfrey schaffen."
„Und sie sind wirklich ein echter Auror gewesen?", fragte Peter mit großen Augen.
Fawley nickte. „Ein ganz echter, bis mir das Malheur mit meinem Bein passiert ist."
„Warum erzählen Sie das den Schülern nicht?", fragte Sirius.
Fawely zuckte die Schultern. „Es ist etwas schmerzlich, an eine Vergangenheit erinnert zu werden, die viel Unerfreuliches enthält. So die Erinnerung an meinen alten Freund Pitchcraft, um nur ein Beispiel zu nennen. Außerdem ist diese aus und vorbei, ich werde nie wieder als Auror arbeiten. Warum sollte man allzu sehr in der Vergangenheit verweilen?" Er betrachtete sie eine Weile. „Ihr habt da etwas sehr Mutiges getan. Etwas Mutiges und auch Leichtsinniges, und alles, um Remus zu beschützen. Ich gebe zu, dass ich euch das so nicht zugetraut habe. Das war mein größter Fehler in den letzten Wochen."
„Ja, uns unterschätzen manche." James zuckte mit den Schultern. „Aber wir würden es nochmal machen."
„Da habe ich keinen Zweifel dran. Und das finde ich bewundernswert an euch. Nicht viele Menschen gehen so viel Risiko für ihren Freund ein. Wobei, risikofreudig wart ihr ja schon immer, und meistens für Sachen, die sich eher nicht lohnen."
Wie bitte? Und wie sich diese Sachen lohnten! Ein richtig guter Streich war unfassbar lohnenswert, wie James fand.
„Eigentlich sollte ich euch dafür sogar ein paar Punkte verleihen.", fuhr Fawley fort.
Jetzt horchten sie auf. Ein paar Hauspunkte waren immer schön.
„Auf der anderen Seite habt ihr mich angegriffen und eingesperrt. Dafür sollte ich euch auf jeden Fall einige Punkte abziehen. Wenn ich dann noch ein paar zusätzliche Punkte für euren nächsten Streich abziehe, der sicher kommen wird, heben sich die Punkte gegenseitig auf." Er lächelte sie so freundlich an, als habe er ihnen gerade den Hauspokal verliehen.
James protestierte als Erster. „Das ist unfair. Das mit dem Einsperren war ein Missverständnis, und unser nächster Streich könnte Ihnen ja auch gefallen, oder etwa nicht?"
Fawley hob die Augenbrauen. „Ach, meinst du? Nun ja, selbst wenn dem so wäre, erhaltet ihr immer noch null Punkte. Und soll ich euch auch verraten, weshalb?"
James und die anderen sah ihn herausfordernd an.
Fawley lächelte breit. „Als Ex-Auror empfinde ich es nämlich als ungeheure Schande, hinterrücks von einigen Fünfklässlern außer Gefecht gesetzt zu werden. Ich nehme das leider zu persönlich, weshalb ich euch bedauerlicherweise keinerlei Positivpunkte verleihen kann." Er nickte ihnen mit freundlicher Miene zu, wobei James sicher war, auch ein wenig Schadenfreude in seinen Zügen entdecken zu können. Dann drehte er sich um.
Als er seinen Weg zum Krankenflügel fortsetzte, rief ihm James hinterher: „Wissen Sie was? Sie sind vielleicht nicht mörderisch, aber ein Mistkerl sind Sie trotzdem!"
Fawley blieb stehen und drehte sich kurz zurück.
„Da magst du recht haben, James. Aber dafür sind Lehrer schließlich auch da, oder?" Er zwinkerte und ließ die drei Schüler dann stehen.
„Für ihn müssen wir auf jeden Fall auch noch einen Streich vorbereiten.", stellte Sirius fest. „Einen großen."
James nickte geistesabwesend, während er Fawley hinterher sah. Doch er konnte nicht umhin, plötzlich wieder die Sympathie für Professor Fawley zu entwickeln, die er vor der Sache mit Pitchcraft verspürt hatte. Fawley hatte sie gerade so heruntergemacht, wie sie selbst oft Leute heruntermachten. Das hatte er früher bereits gemacht. Es war natürlich vollkommen inakzeptabel, aber gleichzeitig erhöhte es Fawleys Ansehen bei James. Nicht viele Lehrer hatten einen solchen Humor.
Ab jetzt würde James Professor Fawley nicht mehr misstrauen. Zumindest bis zu einem gewissen Grad. Einen Streich mussten sie ihm natürlich trotzdem spielen. Einen großen, wie Sirius gesagt hatte.

Das Geheimnis der Heulenden HütteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt