Nächtliche Abstecher

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Es war ungewöhnlich, nachts ohne Tarnumhang durch das Schloss zu laufen. Es war zwar nicht so, als hätte James das noch nie getan, aber das war immer eher ungeplant so gewesen, weil er den Umhang kurzzeitig verloren hatte oder einfach auf die schnelle Idee gekommen war, dass es sich ohne Umhang besser lief. Aber den Umhang willentlich von Beginn an zurückzulassen, das hatte James noch nie getan. Es war in der Tat ein seltsames Gefühl, durch die Gänge zu gehen und zu wissen, dass jeder ihn sehen konnte, der seinen Weg kreuzte. Aber das machte auch den Reiz aus. James liebte die Gefahr, das Risiko, erwischt zu werden, und durch das Risiko des fehlenden Tarnumhanges bekam dieses Gefühl nochmals eine neue Dimension.
Peter dachte eher nicht so. James war froh, dass er als Ratte neben ihm herlief, das verhinderte wenigstens irgendeine panische Reaktion von ihm. Peter konnte zwar engagiert sein, aber er war auch furchtbar ängstlich. Das hatte James immer schon an ihm gestört. Wenn Peter Angst bekam, machte er oft Sachen, die ihre Aktionen gefährdeten. Wenn er jedoch keine Angst hatte, war er ein wertvoller Verbündeter, der seinen Teil leistete, wenn es darauf ankam. Außerdem gefiel es James, wie Peter ihn bewunderte. Er genoss es, zu hören, wie genial er wieder gewesen war und bei Peter konnte er sich auch immer darauf verlassen, dass dieser es ihm auch sagte. Nun lief er als Ratte vollkommen vor Entdeckung geschützt vor ihm her.
Es war gar nicht so leicht, bis zum Ziel unentdeckt zu bleiben. Einmal wäre James beinahe in Argus Filch hineingelaufen und konnte sich gerade noch hinter einer Rüstung verstecken. Ganz zu schweigen von Filchs nervigen kleinen Fallen, die zum Glück nicht zahlreich vorhanden waren, aber wenn sie doch einmal da waren, passte James höllisch auf, um sie ja nicht auszulösen.
Eigentlich war es ironisch, dass Remus ihnen eingeschärft hatte, sich auf dem Weg zu den Feldern von Hogwarts auf gar keinen Fall erwischen zu lassen, wenn man bedachte, dass der Plan vorsah, sich genau an diesem Ort erwischen zu lassen. James war das ziemlich gleichgültig, solange sie es schaffen konnten, in den Wald zu gelangen, nur Peter hatte einige Bedenken deswegen. Natürlich, Peter hatte immer Bedenken.
James hingegen freute sich sogar darauf, wenn auch noch aus einem anderen Grund. Als die Ratte vor ihm durch die Tore zum Gelände außerhalb des Schlosses zischte, vernahm er ein leises Geräusch von hinten. Blitzschnell drehte er sich um und erkannte gerade noch so, wie eine dunkle Gestalt sich schnell hinter einer Wand in Sicherheit brachte. Hinterhältig lächelnd drehte sich James wieder zum Tor und schlüpfte hinaus in die schwarze Nacht. Er wusste ganz genau, wer ihm folgte. Und es würde sehr lustig werden, wenn diese Person erst erkannte, was für einen Fehler sie begangen hatte.

James Potter. Dieser Name stand für Arroganz, Selbstverliebtheit und einen denkbar schlechten Sinn für Humor. Das war zumindest Severus Snapes Ansicht und er wusste, dass er nicht der einzige mit dieser Meinung war. Aber seltsamerweise gab es viel zu viele, die Potter als eine Art Helden ansahen. Tja, er konnte eben Quidditch spielen, da kümmerte natürlich niemanden sein unverschämtes Wesen. Severus hatte schon bei seinem ersten Treffen mit Potter und seinem Chaos-Freund Black gewusst, was er von ihnen zu halten hatte. Im Laufe der Jahre hatte sich aus dieser Abneigung ein leidenschaftlicher Hass herausgebildet, den Potter mit ihm teilte. Das wäre allerdings noch nicht einmal so schlimm, wenn Potter sich nicht an Lily heranmachen würde. Beim Gedanken an sie zog sich Severus' Inneres schmerzlich zusammen. Zu seinem Glück verabscheute Lily Potter ebenso wie Severus es tat, aber trotzdem spürte er, dass sich seine eigene Beziehung zu Lily mehr und mehr verschlechterte. Er wollte es kaum wahrhaben, aber das schwarzmagische Interesse, das Severus mit seinen Freunden teilte, schien Lily mehr und mehr von ihm abzuschotten. Natürlich redeten sie noch oft miteinander, aber es war nicht mehr so vertraut wie früher. Severus bedauerte das, wusste aber nicht, wie er es verhindern sollte. In den Augen seiner Freunde war Lily nichts weiter als ein Schlammblut, eine Schande für die Zauberergemeinschaft. Manchmal versuchte Severus, Lily auch so zu sehen, aber er konnte es nicht, ebenso wenig wie er sich von seinen Freunden lossagen konnte. Und als wenn dieser Zwiespalt nicht schon genug gewesen wäre, tauchte auch immer noch dieser James Potter auf und trieb ihn regelmäßig zur Weißglut. Da war es kein Wunder, dass seine Wut schon einmal mit ihm durchging.
Möglicherweise ließ er sich zu leicht provozieren, aber bei einer derartigen Unverschämtheit, wie Potter sie besaß, war das zu rechtfertigen, wie Severus fand. Er ergriff jede Gelegenheit, die Potter ihm bot, um ihn bloßzustellen, und die heutige Nacht war eine gute Gelegenheit.
Erst hatte Severus geglaubt, Potter hätte ihn hinters Licht geführt, aber dann hatte er ihn doch entdeckt, wie er klammheimlich die Treppen herunterlief, ganz allein. Sofort hatte sich Severus darangemacht, ihn zu verfolgen, gemeinsam mit einem seiner Freunde aus Slytherin, Evan Rosier. Dem hatte er von Potters Ankündigung erzählt, natürlich ohne Lily zu erwähnen, und er war sofort dafür gewesen, Potter nachts abzufangen. Ehrlich gesagt war Severus gar nicht undankbar, dass jemand dabei war, auch wenn er es durchaus auch alleine schaffen würde. Aber auf diese Weise war es einfach sicherer.
Einmal hätte Potter sie beinahe erkannt und Severus hatte Evan und sich gerade noch hinter eine Säule zerren können. Jetzt beobachteten sie, wie Potter durch das Tor nach draußen verschwand.
„Ein kleiner Abstecher nach draußen?", fragte Evan böse lächelnd. „Möglicherweise will er sogar in den Verbotenen Wald!"
„Dann sollten wir ihn vorher abfangen, wenn wir ihn vors Messer liefern wollen.", erwiderte Severus und trat hinter der Säule hervor.
„Oder wir lassen ihn einfach in den Wald gehen. Soll er doch dort gefressen werden, der elende Gryffindor!", murmelte Evan gehässig.
„Nichts lieber als das, bloß wird Potter sich nicht fressen lassen. Ich habe ihn und seine vermaledeiten Freunde schon öfters bespitzelt. Die waren schon oft im Wald und sind immer lebend wieder herausgekommen."
Evan schnaubte. „Na schön, dann erledigen wir ihn eben. Los, komm!" Er schritt zielstrebig zum Tor und Severus folgte ihm.
Es war draußen zwar dunkel, aber der Mond gab ein genügendes Licht ab, sodass Severus und Evan den Weg erkennen konnten und auch sahen, wie Potter in Richtung des Verbotenen Waldes lief. Erst als sie näher kamen, erkannten sie, dass Potter gar nicht auf den Wald zusteuerte. Er lief zur Hütte des Wildhüters.
„Er geht zum fetten Hagrid!", murmelte Evan und rümpfte dabei die Nase. Severus konnte es ihm nicht verübeln. Der beleibte Halbriese hatte eine ebenso kranke Liebe für gefährliche Tiere wie Professor Kesselbrand und das roch man auch. Severus hatte einmal seine Hütte betreten und war froh gewesen, dass er sie wieder verlassen konnte. Der Wildhüter achtete wirklich nicht auf Ordnung, geschweige denn auf Hygiene.
Potter verschwand hinter der Hütte, in der noch Licht brannte. Als Severus und Evan sich heranschlichen, hörten sie Stimmen. Hagrids tiefer, dröhnender Bass erklang und kurz darauf eine krächzende Stimme, die Severus sofort als die von Professor Kesselbrand erkannte.
„Das ist ja genial, so können wir Potter gleich einem Lehrer überreichen!", frohlockte Evan und auch Severus grinste. Potter würde gleich die Überraschung seines Lebens erleben. Schnell huschten die beiden um die Hütte herum und sahen Potter nur einige Meter weiter mit einer zweiten Person sprechen. Erst bei näherem Hinsehen erkannte Severus, dass es der dicke und ängstliche Freund Potters war: Peter Pettigrew.
Obwohl Severus sich fragte, wie um alles in der Welt Pettigrew auf einmal aufgetaucht war, lief er trotzdem mit erhobenem Zauberstab auf die beiden zu, noch vor Evan.
Pettigrew sah ihn als erster und zupfte Potter erschreckt am Ärmel. Potter drehte sich mit seiner typischen Arroganz um und grinste den Slytherin überheblich an.
„Auf frischer Tat ertappt, Potter!", rief Severus schadenfroh aus. Pettigrew, der Feigling, zitterte am ganzen Leib. Potter blieb seltsamerweise ganz ruhig.
„Guten Abend, Schniefelus!", sagte er schmierig grinsend. „Ach, und Rosier ist auch dabei. Das hätte ich nicht erwartet, aber du warst ja schon immer ein Feigling, Schniefelus. Du selbst bekommst ja nie was alleine hin!"
„Ja, lache nur, solange du noch kannst!", entgegnete Evan gehässig. „Gleich grinst du nicht mehr so blöd."
„Oh, ich glaube doch." Potter schlenderte ein paar Schritte auf die beiden Schüler zu. „Mein Freund und ich können euch zwei locker ausschalten. Nicht wahr, Peter?"
Pettigrew zuckte zusammen und sah nicht so aus, als glaube er an das, was Potter dort sagte. Er sah jämmerlich aus. Potter warf ihm einen Blick zu, den Severus nicht sehen konnte, aber aus irgendeinem Grund schien der Pettigrew zu beruhigen. Sein Blick glitt kurz an den beiden vorbei, dann schluckte er und trat an die Seite Potters.
„Na bitte. Sieh sie dir doch nur an, Peter." Potter machte eine große Show daraus. „Solange wir es nur mit den beiden zu tun haben, können wir nicht verlieren. Schniefelus hier kann vor lauter Haaren gar nichts sehen und ist auch so eine Niete, wie wir wissen. Und du Rosier, ich muss es sagen, kannst noch weniger als Schniefelus, und das will schon etwas heißen. Versuche nur einen Schwebezauber und du verzauberst dich selbst."
„Das sieht man ja auch schon an seinen Zähnen.", sagte Pettigrew, der mit jedem Wort mutiger zu werden schien. „Jemand mit so schlechter Zahnpflege kann kein guter Zauberer sein." Potter fing augenblicklich an zu lachen.
Auch Pettigrew grinste und Severus wurde wütend. Potter und sein kleiner Freund würden ihre Späße schon bald bereuen. Auch Evan neben ihm schien die Geduld zu verlieren.
„Witzig, witzig, Potter.", zischte er. „Aber..."
„Nichts aber!", unterbrach Potter ihn. „Du kannst nichts sagen. Solange wir es nur mit euch zu tun haben, haben wir kein Problem!"
„Ja,", stimmte auch Pettigrew zu. „Ihr jagt uns keine Angst ein!"
Die große Betonung, die die beiden auf Worte wie „Ihr" und „Euch" legten, machte Severus stutzig. Irgendetwas stimmte nicht.
Evan schien das nicht so zu sehen. Er ging vollends darauf ein. „Gegen uns habt ihr vielleicht eine Chance, aber...", hier machte er eine Kunstpause, „was ist mit Lehrern?" Er hob den Zauberstab und feuerte wilde Funken in die Luft. Das Knistern und Knattern musste bis zum Schloss zu hören sein.
Im nächsten Moment flog auch schon die Tür der nicht weit entfernten Hütte auf.
„Kein Entkommen für euch!", rief Evan und richtete den Zauberstab auf Potter und Pettigrew, die sich nicht vom Fleck rührten. Seltsamerweise schien ihnen die Aussicht auf Bestrafung nichts auszumachen. Severus gefiel das ganz und gar nicht. Und im nächsten Moment, als die Schritte von Kesselbrand und Hagrid immer näher kamen, fiel ihm der Fehler ein, den Evan und er gemacht hatten. Ein dummer Fehler.
„Evan, wir sollten gehen!", drängte er seinen Freund, aber der wollte nicht hören. Und im nächsten Moment standen der Lehrer und der Wildhüter schon vor ihnen.
„Soso, vier Schüler, die nachts außerhalb ihrer Betten sind.", tadelte Professor Kesselbrand.
„Professor!", brüstete sich Evan. „Ich und Severus haben diese beiden hier auf frischer Tat beim Herausschleichen ertappt!" Er deutete auf Potter und Pettigrew.
„Ah ja", machte Kesselbrand. „Das kann ich sehen. Und was soll ich mit dieser Information anfangen?"
Evan sah verwirrt aus. Severus wollte ihm ein Zeichen geben, aber Evan achtete sowieso nicht auf ihn. „Wir wollen Ihnen diese beiden übergeben, das ist alles!"
„Und dafür haben Sie nachts ebenfalls die Betten verlassen und sich genau so schuldig gemacht wie diese beiden?" Kesselbrand sah den Slytherin mit unverhohlenem Spott an.
Evan wollte etwas sagen, aber die Worte kamen nicht heraus. Severus sah, dass es ihm dämmerte. Er selbst seufzte nur und warf dem schadenfroh dastehenden Potter einen tödlichen Blick zu. Sie waren komplett auf Potters Provokationen eingegangen und nun hatten sie den Salat. Severus könnte sich ohrfeigen. Er musste an das alte Sprichwort: „Mitgefangen, mitgehangen" denken und hätte beinahe gelacht. Aber nur beinahe.
„Also, Hagrid,", wandte der Professor sich an den Wildhüter. „was sollen wir jetzt mit diesen hier machen?"
Hagrid kratzte sich an seinem riesigen, behaarten Kopf. „Keine Ahnung, Sir. Sie sind der Befugte."
„Ach ja, richtig!" Kesselbrand sah die vier ernst an, obwohl Severus sich einbildete, ein unterdrücktes Grinsen zu sehen. „Also dann. Es ist keinem Schüler erlaubt, nachts auch nur einen Fuß vor den Gemeinschaftsraum zu setzen. Sie vier sind bis an die Schwelle des Verbotenen Waldes gekommen, von daher erwartet Sie eine prächtige Strafe, davon können Sie ausgehen." Er schien kurz nachzudenken. „Fangen wir mit den Punkten an. Mr. Snape, Mr. Rosier, Ihnen ziehe ich jeweils 50 Punkte für Ihr Haus ab. Dasselbe gilt für das Haus unserer beiden Gryffindors hier."
„Aber wir haben die da überführt!", rief Evan empört aus. „Da sollten wir doch wenigstens weniger Punktabzug bekommen."
Kesselbrand blickte Evan mit unbeweglichem Gesicht an und sagte schließlich: „Eigentlich verdienen Sie sogar noch mehr Punktabzug – ich habe in meiner Schulzeit nie irgendwelche Mitschüler verpetzt."
Ein nerviges Gekicher ertönte von den beiden Gryffindors und sogar Hagrid lachte kurz auf, sah aber direkt schuldbewusst drein.
Kesselbrand lächelte kurz, dann fuhr er fort: „Wie dem auch sei, bei einer solchen Tat wie der Ihren verdienen Sie eine ganz besondere Strafe. Aber welche nur?"
Er blickte zu Hagrid und überlegte. Severus betete, dass sie sich bald entschieden. Er war müde und wollte so schnell wie möglich aus der Kälte hier in den warmen Gemeinschaftsraum.
Da hörte er ein Flüstern von Pettigrew, das allerdings so laut war, dass jeder Anwesende es hören konnte: „James, er wird uns doch nicht in den Verbotenen Wald schicken?"
Potter antwortete ebenso laut: „Doch, das könnte er, aber solange es ihm nicht einfällt, macht er das bestimmt nicht!"
Kesselbrand drehte sich um und verkündete auf einmal laut: „Ich habe mich entschieden. Es wird Ihnen gut tun. Sie werden alle einen Abstecher in den Wald machen."
Potter und Pettigrew sogen überrascht die Luft ein, als hätten sie das niemals erwartet. Evan klagte: „Aber wir sind Schüler! Im Verbotenen Wald sterben wir, wenn wir alleine da rein gehen!"
„Deshalb gehen Sie ja nicht alleine.", erwiderte der Professor ungerührt. „Ich werde Sie begleiten. Kommen Sie auch mit, Hagrid?"
Der große Mann wirkte unentschlossen. „Also, ich weiß nicht, aber wenn Sie es wünschen, Professor..."
„Ich bitte darum!", rief Kesselbrand aus. „Und nehmen Sie Fang mit, dann kann der sich auch austoben." Der Lehrer wirkte erstaunlich glücklich. Er hüpfte auf seinen Krücken herum, als wäre er erst siebzehn, während er aus Hagrids Hütte noch eine Laterne holte. Der verrückte Mistkerl. Severus verspürte nicht die geringste Lust, in den Wald zu gehen. Finster blickte er zu Potter und Pettigrew. Sie wirkten alles andere als niedergeschlagen, sondern mehr als zufrieden.
Potters Blick traf seinen und für einen Moment starrten sie einander an, Severus mit düsterem Blick und Potter mit einem fröhlichen Zwinkern. Als Severus den Blick abwandte, hatte er das merkwürdige Gefühl, dass Potter und Pettigrew genau das erreicht hatten, was sie gewollt hatten. Das Einzige, was sich diesem Gefühl in den Weg stellte, war die Tatsache, dass sich der Junge keinen Grund vorstellen konnte, aus dem die beiden die Bestrafung auf sich nahmen. Sie hätten doch viel einfacher in den Wald gelangen können!
Als sein Lehrer für Pflege magischer Geschöpfe sie schließlich lautstark zum Verbotenen Wald führte, ergab sich Severus ohne Murren in das unausweichliche Schicksal. Er ließ sich definitiv zu leicht provozieren.

Amyus Fawley hatte den Mond schon immer gemocht. Ihn bloß anzuschauen beruhigte ihn bereits und seine Beschaffenheit und Kraft hatten ihn schon immer fasziniert. Das war für einen Astronomie-Lehrer nicht besonders ungewöhnlich und auch der Rest des Firmaments faszinierte ihn mehr als genug, aber der Mond war etwas Besonderes. Vielleicht hatte er einfach Respekt vor der großen Kraft des Himmelskörpers. Er beeinflusste die Meere auf der Erde, und wenn er sich in seiner ganzen Pracht zeigte, ließ er die Menschen nicht schlafen, weckte in den einen vielleicht romantische Gefühle – und in den anderen ein Monster.
Fawley beobachtete gerne den Mond auf dem Astronomieturm, wenn er alleine hier oben war. Heute hatte er den Turm die ganze Nacht für sich alleine, da er keine Klasse unterrichten musste. Also musste er sich einen anderen Zeitvertreib für die Nacht suchen, denn Schlafen kam für ihn nicht infrage.
Er hätte die ganze Nacht den Mond beobachten können, aber er hatte leider einen Termin. Ein Gespräch mit einem Zauberer, der noch gar nicht wusste, dass er ein Gespräch mit ihm haben würde.
Fawley hatte sich umgehört, welchen Eindruck Julius Pitchcraft auf die Leute in Hogsmeade machte. Viele kümmerten sich gar nicht um ihn, aber die, die es taten, konnten sich nicht erklären, was er hier wollte. Fawley wusste es ganz genau. Aber das war kein Wunder, schließlich kannte er Pitchcraft besser, als ihm lieb war. Außerdem wussten die meisten Leute auch nicht, was sich in der Heulenden Hütte verbarg – Fawley schon. Und Pitchcraft wusste es auch.
Ein kühler Windhauch wehte über den Turm und Fawley zog seinen Mantel etwas enger zu. Er sollte bald losgehen, um den ehemaligen Auror in seinem Gasthaus zu treffen. Er wusste natürlich nicht, dass er kommen würde, aber das war nicht weiter wichtig. Er würde ihn erkennen, sobald er vor seiner Tür stand.
Seine Gedanken glitten zu Remus Lupin. Keine Frage, dass er Pitchcraft nichts von dessen Enttarnung erzählen würde. Es wäre dem Auror allerdings auch egal, wenn er es hörte, da war sich Fawley sicher. Was konnten ein paar fünfzehnjährige Schüler schon ausrichten? Und Fawley wusste, dass er recht hatte. Dennoch musste er ihre Einmischung verhindern. Er hatte eine genaue Vorstellung davon, wie die nächste Vollmondnacht ablaufen würde, nein, ablaufen musste. Er musste Remus und seine Bande an Chaos-Freunden von Pitchcraft fernhalten, was nicht so einfach war, wie er sich das vorgestellt hatte. Aber da war er selbst schuld gewesen, schließlich wusste er, wie talentiert die Jungen waren.
Nachdem sie ihm das Zaubertrankbuch letzte Nacht quasi unter der Nase weg gestohlen hatten, hatte Fawley sich vorgenommen, vorsichtiger zu sein. Er hatte sich ein wenig umgehört, ob jemand die Jungen irgendwo einen Zaubertrank brauen gesehen hatte, war aber angesichts der negativen Aussagen nicht überrascht gewesen. Ohne Zweifel hätte er den Zaubertrank mit dem richtigen Engagement bereits gefunden, aber es war ja sowieso noch über eine Woche bis zum Vollmondsonntag. Also hatte er noch mehr als genügend Zeit. Wenn der richtige Augenblick da war, würde er den Gryffindors sowohl den Trank als auch das Buch stehlen, sodass sie nicht erneut einen Trank brauen konnten und gar nicht erst die Chance hatten, in der Vollmondnacht dazwischenzufunken. So waren James, Sirius und Peter dann gezwungen, sich aus der Angelegenheit herauszuhalten. Remus natürlich nicht. Die ganze Angelegenheit ging ja nur um ihn. Und falls dessen Freunde selbst nach Verlust ihres Mittels noch gegen Pitchcraft kämpfen wollten, musste Fawley sie wohl oder übel mit Gewalt dazu zwingen, sich herauszuhalten. Schwierige Situationen forderten eben schwierige Entscheidungen. Fawley wollte seine Schüler nicht verletzen. Aber es geschah schließlich alles nur zu ihrem Besten und das würden sie später auch verstehen. Besonders Remus musste es verstehen. Aber da hatte Fawley keine Sorge. Remus war ein intelligenter Junge. Er würde es verstehen. Ob der Werwolf ihn verstehen würde, war natürlich eine gänzlich andere Frage.
Tief durchatmend drehte sich der Professor mit einem letzten Blick auf den schon an Fülle zugenommenen Mond von der Brüstung weg und lief die Treppe zum Astronomieturm herunter. Er hatte ein wichtiges Gespräch mit einem verrückten Zauberer.


Das Geheimnis der Heulenden HütteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt