Halloween

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Madam Pomfrey musste schon sehr bald feststellen, dass ihre Bemühungen, Besucher von Remus fernzuhalten, ziemlich müßig waren.
Innerhalb der nächsten Tage hatte Remus eine wahre Besucherwelle zu überstehen.
Direkt am folgenden Morgen kam ihn Professor Dumbledore höchstpersönlich besuchen. Er berichtete Remus davon, dass Pitchcraft wohlbehalten in der Abteilung für Gedächtnisschwund im St. Mungo's angekommen war und erkundigte sich nach Remus' Wohlbefinden. Dazu teilte er Remus noch einmal mit, was dieser ohnehin schon wusste: Dass der Rest der Schule Pitchcraft für einen geistesgestörten Zauberer halte, der ihn und seine Freunde nachts draußen angegriffen habe.
„Normalerweise gibt es ja eine Strafe für nächtliche Wanderungen über das Gelände, aber in diesem Fall habe ich beschlossen, angesichts eures Zustandes eine Ausnahme zu machen.", meinte der Schulleiter mit einem Augenzwinkern.
Sie unterhielten sich noch eine Weile über die tatsächlichen Geschehnisse in der Hütte, wobei Dumbledore seinem ehrlichen Bedauern Ausdruck gab, die Gefahr nicht bemerkt zu haben. Remus winkte ab, da ja nichts wirklich geschehen sei. Er war vor allem froh, dass Dumbledore nichts von den Animagus-Verwandlungen seiner Freunde mitbekommen hatte.
Der Schulleiter erzählte ihm auch von Pitchcraft, Fawley und seinem Vater, wobei er Remus im Grunde das erzählte, was er von Professor Fawley bereits erfahren hatte.
Gegen Ende des Besuches fragte Remus Dumbledore plötzlich: „Professor, haben Sie eine Ahnung, wer Pitchcraft geholfen haben könnte?"
Dumbledore blickte ihn über seine Halbmondbrille an und seufzte schwer.
„Nein, Remus, das habe ich nicht. Ich wünschte wirklich, ich hätte eine Spur, aber ich habe selten so wenige Anhaltspunkte gehabt. Nach meinem bisherigen Wissen könnte es jeder begabte Zauberer sein. Vielleicht auch einer, der seine Fähigkeiten nicht offen zeigt. Eine solche Aufgabe würde Voldemort niemals in die Hände eines Laien legen."
„Aber ist es nicht wahrscheinlich, dass die Person hier in der Nähe lebt?", fragte Remus. „In Hogsmeade oder sogar in Hogwarts? Woher hätte sie sonst von mir und meinem Zustand wissen sollen?"
„Es ist auf keinen Fall auszuschließen. Aber auch Außenstehende hätten das Geheimnis der Hütte lüften können, wenn sie einigermaßen scharfsinnig gewesen wären. Und dieser Mensch ist äußerst scharfsinnig, schließlich hat er all seine Spuren sorgfältig verwischt." Der Schulleiter stieß resigniert die Luft aus. „Ich tue, was ich kann, um ihn zu finden, Remus. Der Gedanke, dass er eventuell hier in der Schule sein Unwesen treibt, macht mit zu schaffen. Aber leider habe ich auch noch andere Sorgen, gerade in dieser Zeit, in der die dunklen Mächte sich immer mehr erheben, in allen Teilen der Welt." Dumbledore sah auf einmal sehr müde aus.
Remus versuchte, verständnisvoll zu klingen, als er sagte: „Das verstehe ich, Professor. Außerdem haben Sie ja selbst gesagt, dass Sie mein Leben vorerst nicht in Gefahr glauben, nicht wahr?"
Dumbledore ließ ein leises Lächeln sehen. „Ja, das stimmt. Und selbst wenn er dich, aus welchem Grund auch immer, attackieren sollte: Ich werde auf jeden Fall dafür sorgen, dass dir nicht nochmal so etwas widerfährt, Remus. Egal, ob ich den Anstifter finde oder nicht." Er warf einen Blick auf Madam Pomfrey, die ungeduldig zusah. „Ich glaube, ich sollte jetzt gehen, bevor ich Poppy noch länger von ihrem Patienten abhalte."
Er stand auf und warf Remus einen langen Blick zu. „Die Schüler halten dich im Moment übrigens für eine Art Helden. Das solltest du genießen, denn es wird nicht lange anhalten. In einer Woche wird sich vermutlich niemand mehr an die Geschehnisse vor Halloween erinnern können."
Mit diesen Worten und einem Augenzwinkern verschwand er und ließ Remus ein wenig verwirrt zurück. Gleich darauf war schon Madam Pomfrey zur Stelle, um ihn zum Schlafen zu bewegen, obwohl Remus überhaupt nicht müde war.
Er hatte auch gar keine Chance zu schlafen, da Dumbledore nur der Anfang der Besucherwelle war, die nun über ihm hereinschwappte.
Seine Freunde besuchten ihn jeden Tag für mindestens eine Stunde und erzählten ihm von den Ereignissen des Tages.
James erzählte ihm voller Stolz, wie sie Mulciber am Hosenbund an der Decke des Kerkers aufgehängt hatten, während Sirius feixend von einem kolossal schiefgegangen Versuch James', Lily anzumachen, schwadronierte. Peter gab zum Besten, wie Professor Shifaq beim Versuch, einen Dementor-Angriff zu simulieren, Tracy Greengrass beinahe in einem Eisklotz eingefroren hatte.
Remus hörte schweigend zu und genoss es, von dem alltäglichen, verrückten Leben in Hogwarts zu hören. Es erinnerte ihn daran, dass der Schrecken vorbei war und er selbst ebenfalls wieder in diesen Alltag eintauchen konnte.
Er hörte noch mehr Geschichten im Verlauf der Tage. Seine Freunde hatten offenbar die Vorbereitungen auf das Halloween-Fest sabotiert und die Schuld glücklich einigen Slytherins in die Schuhe geschoben. Sirius hatte sich anscheinend wieder mit Megan versöhnt, obwohl Remus sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie er das geschafft haben sollte. Sein Verdacht war, dass Sirius in Wirklichkeit bei dem Versöhnungsversuch gescheitert war und es jetzt einfach nicht zugeben wollte.
Aber das war Remus selbst ziemlich gleichgültig. Er lehnte sich zurück und hörte so lange entspannt den Geschichten zu, bis Madam Pomfrey die Nase voll hatte und seine Freunde vor die Tür schickte.
James, Sirius und Peter waren allerdings nicht die einzigen, die ihn besuchten. Dumbledore hatte augenscheinlich nicht übertrieben, als er meinte, Remus sei zu einer Art Held geworden.
Er hatte das Gefühl, dass ihn so gut wie jeder Gryffindor auf der Schule besuchte, selbst die, mit denen er noch nie etwas zu tun gehabt hatte, und sogar einige Ravenclaws und Hufflepuffs ließen sich blicken. Nur die Slytherins schienen ihn zu meiden, was Remus allerdings nicht wirklich tragisch fand. Schon die Mengen an Gryffindors, die ihn beglückwünschten und die angeblichen Geschehnisse von ihm hören wollten, erdrückte ihn beinahe. Madam Pomfrey regte sich so sehr auf, dass Remus ständig befürchtete, sie würde jeden Augenblick umkippen.
Die Erst- und Zweitklässler wuselten um sein Bett herum und baten ihn inständig, nochmal zu erzählen, während die Jungen der oberen Klassen ihm beifällig auf die Schulter klopften und die Mädchen ihn bewundernd anhimmelten. Zumindest die meisten von ihnen.
Wirklich erinnern konnte er sich hinterher nur noch an den Sechstklässler Frank Longbottom, der ebenfalls Vertrauensschüler war, und seine Freundin Alice Fawley. Remus begriff erst, als die beiden schon wieder weg waren, dass Alice tatsächlich die Tochter von Professor Fawley war.
Eine besonders lange Zeit besuchte ihn Lily, die ihn mit fast schon rührender Besorgnis betrachtete und ihm ebenfalls viel vom Alltag erzählte. Remus fragte sich, ob sie das nur tat, weil sie beide Vertrauensschüler-Kollegen waren und er ihr einfach Leid tat. Aber es gefiel ihm mehr, zu glauben, dass sie sich wirklich um ihn sorgte.
Lily erzählte ihm die Geschichte von James' Versuch, sie zu erobern, die ihm auch Sirius schon erzählt hatte. Allerdings kam James in dieser Geschichte noch einmal schlechter weg als in Sirius' Variante. Woran das wohl lag?
Aber nicht nur Schüler besuchten ihn. Auch Professor Kesselbrand stattete ihm einen Besuch ab.
Der Lehrer stand auf seiner magischen Krücke vor ihm und erzählte Remus, dass in der letzten Woche anscheinend einer seiner Crups aus seiner Grabstätte verschwunden sei.
Remus gab sich höchst erstaunt und angemessen empört über ein so dreistes Verhalten.
Kesselbrand hatte anscheinend erst geglaubt, dass das Verschwinden des Crup etwas mit den seltsamen Vorgängen im Wald zu tun hatte, und sich geärgert, dass er seine Crups nicht besser geschützt hatte.
Nun ja, der Killer-Crup war schon eine recht sichere Methode, die Gräber zu schützen, dachte sich Remus. Aber er hütete sich, es laut auszusprechen.
Zum Glück, fuhr Kesselbrand fort, sei die Crup-Leiche seit gestern wieder aufgetaucht. Vielleicht war sie auch immer da gewesen und Kesselbrand hatte sich einfach vertan, das konnte in seinem Alter ja schon einmal vorkommen.
Remus sagte seinem Lehrer, dass er diese Erklärung sehr plausibel fand und dass er sich nicht mehr den Kopf über den Crup zerbrechen solle.
Kesselbrand stimmte ihm darin zu und wünschte ihm nochmals gute Besserung, bevor er den Krankenflügel verließ.
Remus ließ sich zurück in die Kissen sinken und stieß erleichtert die Luft aus. Sirius schien doch noch daran gedacht zu haben, die Leiche wieder zurückzubringen. Damit war auch dieses Problem gelöst.
Zufrieden schloss er die Augen und versank sofort in einem traumlosen Schlaf.

Das Geheimnis der Heulenden HütteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt