Kapitel 1

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Sura

Ich tippe die letzten Zeilen von meinem Bericht und überfliege alles noch einmal. Zufrieden nicke ich einen Moment später und kopiere es in eine Mail, um das Geschriebene meiner Chefin zu schicken, damit sie den Artikel absegnen kann.

Während ich darauf warte, dass mein Laptop die Datei sendet, strecke ich meine Arme nach oben und kreise mit dem Kopf. Mein Genick knackt laut, genau wie meine Schultern und mir wird bewusst, dass ich schon seit einer gefühlten Ewigkeit an meinem Schreibtisch sitze und irgendwelche unbedeutenden Schlagzeilen schreibe.

Nachdem ich mich mit meiner letzten Story vor einem Jahr ziemlich in die Nesseln gesetzt habe, bekam ich die unehrenhafte Aufgabe, Berichte über die hingerichteten Straftäter zu schreiben. Ein Job um den sich wirklich niemand reißt.

In Texas werden jedoch Woche rund vier Gefangene hingerichtet. Nach amerikanischem Gesetz ist es nötig, dass Augenzeugen dabei sind, die bezeugen, dass der Häftling auch tatsächlich getötet wurde.

Es ist jedes Mal für mich eine große Überwindung dabei zu sein, auch wenn ich absolut für die Todesstrafe bin.

Ganz ehrlich? Jeder der im Todestrakt sitzt, hat es verdient. Dennoch bescheren mir die letzten Worte sowie das gequälte Stöhnen der Häftlinge, noch Wochen danach Albträume.

Aber was will ich machen? Beschweren kann ich mich nicht, dass ich nicht mehr so zu etwas gehen möchte. Denn dann bin ich meinen Job schneller los, als ich Tschüß sagen kann. Und verdammt, ich brauche diesen Job.

»Sie haben wohl gerade Langeweile, Sura?«, spricht mich meine Chefin an, die plötzlich vor meinem Schreibtisch auftaucht. War sie nicht gerade eben noch in ihrem Büro?

»Nein, natürlich nicht. Ich habe Ihnen gerade die Berichte über die letzten zwei Hinrichtungen geschickt«, erkläre ich ihr schnell. Doch sie hebt nur eine perfekt gezupfte Augenbraue und presst missbilligend ihre rot geschminkten Lippen zusammen.

Prompt komme ich mir wieder wie ein Fußabtreter vor. Was ist nur aus meinem Leben geworden? Ich hatte die Chance eine aufstrebende Reporterin zu werden. Aber jetzt ...

»Und da dachten Sie, dass Sie sich jetzt ausruhen können?«, reißt sie mich aus meinen Gedanken.

»Verzeihen Sie, Mrs. Billings, dass es so auf sie gewirkt hat.« Ich setze eine Unschuldsmiene auf, doch bei dieser Eisprinzessin wirkt sie kein bisschen.

Sie ist gerade mal vier Jahre älter als ich, mit ihren dreiunddreißig Jahren, und hat es dennoch schon zur Chefin der Zeitung geschafft. Natürlich ist es auch von Vorteil, wenn man den vorherigen Chef vögelt, ihn heiratet und ihm dann das Zepter aus der Hand reißt.

»Jeffrey ist krank. Sie müssten bitte heute für ihn bei der Hinrichtung in Huntsville einspringen.«

Das gefälschte Lächeln auf meinem Gesicht verblasst sofort und mir bricht der kalte Angstschweiß aus. Das kann nicht ihr Ernst sein! Das wäre diese Woche die Dritte, bei der ich dabei sein muss!

»Mrs. Billings, es tut mir leid. Aber ich war diese Woche schon bei zwei und Brenda war noch gar nicht«, versuche ich mich herauszureden.

»Wollen Sie sich etwa weigern? Verstehe ich das richtig?« Vor Schreck, bekomme ich gar keine Antwort heraus. »Brenda ist nicht mehr für die Hinrichtungen mit zuständig. Sie kümmert sich ab sofort um Wichtigeres. Jeffrey und Sie sind momentan die Einzigen, die ich für so etwas belangloses entbehren kann. Und nun beeilen Sie sich. In einer Stunde geht es los.« Ohne einen weiteren Blick verschwindet sie und lässt mich verzweifelt zurück.

Ganz super. Also sind Jeffrey und ich die einzigen armen Seelen in dieser Redaktion, die zu so etwas gehen müssen. Ich frage mich einmal mehr, wie tief mein Leben noch sinken kann.

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