Kapitel 9

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Jason

Drei Wochen und fünf Tage bis zur Hinrichtung

Gelangweilt stehe ich da und sehe dem Wärter dabei zu, wie er mir die Fußfesseln anlegt. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie der andere mich wachsam mustert. Wahrscheinlich ist er neu hier, zumindest habe ich ihn hier noch nie zuvor gesehen.

Ich hebe meinen Blick und starre ihn direkt an. Er weicht meinem nicht aus, sondern presst seine Lippen lediglich zusammen. Schon allein seine Körperhaltung verrät mir, was er von mir hält. Für ihn bin ich menschlicher Abschaum.

„Ist irgendetwas?", frage ich ihn und hebe eine Augenbraue an. Normalerweise lasse ich mich nicht dazu bewegen, mit den Wärtern zu reden. Aber irgendetwas an diesem Typen lässt meine Alarmglocken losschrillen.

„Sprich mich noch einmal so herablassend von der Seite an und du hast ein Problem", zischt er und legt eine Hand auf sein Waffenholster. Soll mich das etwa einschüchtern?

„Sie sind neu hier, nicht wahr? In knapp vier Wochen werde ich sowieso hingerichtet, aber Sie können auch gerne jetzt schon meinem Leben ein Ende bereiten", sage ich grinsend und provoziere ihn damit noch ein Stückchen mehr.

Der andere Wärter erhebt sich, nachdem er mit dem anlegen fertig ist und wirft mir einen bösen Blick zu. „Häftling 3367, reißen Sie sich zusammen", blafft er und gibt mir einen Schubs zur Tür hinaus. Durch die Fußfesseln komme ich leicht ins Straucheln, doch ich fange mich schnell.

„Arschloch", höre ich den anderen noch murmeln, aber ich reagiere nicht. Ich habe mich schon genug aus der Reserve locken lassen.

Normalerweise bringt man mich so schnell nicht aus der Ruhe. Was zum Teufel ist also heute mit mir los? Muss wohl daran liegen, dass ich die ganze Nacht kein Auge auf dem harten Bett zugetan habe, weil ich ständig nur über das Gespräch zwischen dieser Reporterin und mir nachgedacht habe.

Das ich jetzt gleich erneut ein Gespräch mit ihr haben werde, macht die Sache nicht gerade besser. Ich habe gestern bereits viel zu sehr meine Deckung fallen lassen. 

Und dennoch ist dieses dringende Bedürfnis tief in mir da, mit ihr über alles zu reden. Der Knast macht aus mir wirklich noch einen Waschlappen.

Die Wärter bringen mich in die vorgesehene Kabine und nachdem sie mir die Handschellen abgenommen haben, greife ich zum Hörer, um mit Sura zu reden, die bereits auf mich wartet.

Ein Lächeln liegt auf ihren Lippen und eine leichte Röte ziert ihre Wangen. Mein Blick gleitet über ihren Körper, zumindest über das, was ich durch die Glasscheibe erkennen kann und ich lecke mir mit der Zunge über die Lippen als mir einmal mehr auffällt, wie attraktiv sie ist.

Mit Sicherheit ist sie vergeben, denke ich mir grimmig.

Aber selbst wenn kann es mir doch eigentlich scheißegal sein. In ein paar Wochen werde ich diese Welt sowieso für immer verlassen.

Meine Laune sinkt prompt noch ein wenig mehr und ich sehe Sura fast schon genervt an. „Guten Morgen, Jason", begrüßt sie mich fröhlich und ich frage mich, wie man so gut gelaunt sein kann, wenn man jemanden besucht, der im Todestrakt sitzt.

„Hallo", brumme ich und bemerke, dass vor ihr ein Zettel liegt. Hat sie etwa schon wieder blöde Frage aufgeschrieben?

„Wie geht es dir?", fragt sie mich.

„Gut", antworte ich karg und versuche ihre Schrift zu entziffern.

„Ist irgendetwas passiert, Jason?" Ich sehe bei diesen Worten auf und bemerke, dass sie mich ängstlich mustert.

Irgendwie reicht schon dieser blöde Zettel vor ihr, um meinen Puls auf hundertachtzig zu bringen. Warum auch immer. Bevor ich mich zurückhalten kann, bricht auch schon meine angestaute Verärgerung aus mir heraus. „Nein. Alles super. Wie war das eigentlich noch einmal mit der Reservierung für die Hinrichtung? Soll ich dir einen schönen Platz reservieren? Vielleicht kannst du noch ein paar Fotos für eine gute Schlagzeile machen", knurre ich und könnte mir selbst eine scheuern, als ich ihren erschrockenen Gesichtsausdruck registriere.

Mann, meine Laune hat definitiv den Nullpunkt erreicht.

„Aha, also alles wieder auf Anfang? Ich dachte, wir würden uns nach gestern verstehen", zischt sie.

Sofort wird mir mein eigener Fehler bewusst. Verdammt, ich bin einfach zu aufbrausend. „Sura, ich ..."

„Schon gut, Jason. Ich habe es kapiert", unterbricht sie mich und jegliche Sanftheit aus ihren Augen ist verschwunden. Offenbar hat sie jetzt genauso eine scheiß Laune wie ich. Ich presse meine Lippen zusammen und unterdrücke den Impuls, mir durch die Haare zu fahren. „Ich stelle dir ein paar Fragen und es wäre schön, wenn du dich dazu herablassen würdest, zu antworten." Ihre Stimme klingt kalt und professionell.

„Wie du willst", sage ich leise und mache nun genauso dicht wie sie. Krampfhaft umklammere ich den Hörer. Ich warte eigentlich nur darauf, dass er zerbricht, so fest, wie ich gerade mit meiner Hand zudrücke.

„Wieso wurdest du unehrenhaft entlassen?"

Ich zucke bei ihrer Frage zusammen, antworte jedoch nicht. Das geht sie nichts an. Fast keiner weiß davon und das ist auch gut so.

„Okay, nächste Frage. Wie viele Menschen hast du als Navy Seal getötet?"

Sie sieht mich wachsam an, doch erneut reagiere ich nicht.

„Wieso hast du Aaron Jones getötet? Ist bei dir ein Schalter im Kopf umgeklappt, als du unehrenhaft entlassen wurdest? Muss ziemlich hart für dich gewesen sein. Immerhin hast du deinen Job geliebt und plötzlich standest du vor dem Nichts. Hat er eine dumme Bemerkung gemacht? Ist dir da der Kragen geplatzt? Oder hattest du einfach so schlecht Laune wie heute?"

Sie feuert die Worte wie eine Irre heraus und ich muss ein Grinsen unterdrücken. Denkt sie wirklich, sie kann mich so aus der Reserve locken? Ich habe gelernt, wie man mit solchen verletzenden und schnell abgefeuerten Fragen umgeht. Mir braucht sie nichts vorzumachen. Immerhin musste ich in meiner Seal Zeit selbst einige Verhöre durchführen.

Ich lehne mich nach vorne und sehe sie lächelnd an. „Hau ab, Sura. Du bist nur eine dämliche Reporterin, wie all die anderen, die vor dir hier waren. Ich werde dir nichts über den Mord an Aaron Jones erzählen, weil ich mich an nichts erinnere. Das ist die Wahrheit. Also zisch ab und lass dich hier nie mehr blicken", knurre ich.

Ich grinse sie noch einmal böse an und knalle anschließend den Hörer auf die Halterung, bevor ich den Wärtern ein Zeichen gebe, dass ich zurück in meine Zelle möchte.

Ich habe mich von ihrem schönen und netten Äußeren blenden lassen und für einen Moment tatsächlich gedacht, dass sie die Wahrheit wissen will und nicht etwas, das eine Schlagzeile wert ist.

Was in jener Nacht, als ich gefangen genommen wurde, passiert ist, wird wohl nie wirklich herauskommen. Und seltsamerweise ist es mir tatsächlich egal.

Ich habe damit abgeschlossen. Niemand wird um mich trauern und vielleicht ist es auch ganz gut so.

Ich verdränge Sura erschrockenes Gesicht vor meinem inneren Auge und unterdrücke das schlechte Gewissen. Immerhin war ihr nettes Lächeln am Anfang sowieso nur eine Farce, oder?

*Ich hoffe, es hat euch wieder gefallen. <3 Das nächste Kapitel gibt es wieder am Sonntag. :-) (Da findet Sura übrigens heraus, wieso Jason unehrenhaft entlassen wurde. Habt ihr vielleicht schon eine Idee?)*

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