Kapitel 71

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Sura

Drei Tage bis zur Hinrichtung

Die halbe Nacht habe ich nach Hector gesucht, doch er bleibt verschwunden. Ich fürchte, sie haben ihn möglicherweise mitgenommen, nachdem sie ihn erwischt hatten.

Mein Herz krampft sich bei dem Gedanken zusammen, was sie ihm angetan haben. Die Fellbüschel und das Blut haben Bände gesprochen.

Heute Morgen hatte auch bereits eine Nachbarin bei mir geklingelt und sich über den Lärm gestern Abend beschwert. Offenbar haben diese Typen ordentlich Krach gemacht. Wortlos habe ich ihr einfach nur die Nase vor der Tür zugeknallt, da ich sonst womöglich noch ausfällig geworden wäre. Anstatt das sie sich Gedanken macht, regt sie sich lieber auf.

Meine Laune sinkt immer mehr auf den Nullpunkt, während ich die Spuren in meiner Wohnung weiter beseitige. Sie haben erneut sämtliche Schubladen ausgeleert und sogar meine Kissen aufgeschlitzt. Ich weiß genau, wonach sie gesucht haben, doch glücklicherweise trug ich die DVD sowie alle Unterlagen bei mir. Dennoch bin ich mir sicher, dass sie nicht so einfach aufgeben werden. Hätte ich doch nur Hector schon eher weggebracht ...

Erneut bilden sich Tränen in meinen Augen, aber dieses Mal hauptsächlich aus Zorn auf mich selbst. Ich wusste, dass sie ihn im Visier hatten und ich? Ich habe es dennoch nicht wahrhaben wollen. Diese Typen wissen genau, dass Hector das Einzige ist, was ich liebe und besitze.

Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, als ich an Susan denke. Was ist, wenn sie dasselbe mit Jeffrey anstellen?

Ich schüttle den Kopf, um die grausigen Vorstellungen zu vertreiben.

Mein Handy gibt ein Piepen von sich und ich greife danach. Es ist lediglich Leo, der mir mitteilt, dass wir uns vierzehn Uhr vorm Gefängnis treffen.

Ich antworte nicht, sondern stecke es einfach wieder ein. Am liebsten würde ich absagen, doch das bringe ich nicht übers Herz. Es ist das letzte Mal, dass ich Jason sehen werde und daheim herumsitzen und wegen Hector zu trauern, macht die Situation nicht besser. Lieber suche ich nach einen Weg, wie ich diesen Leuten endlich das Handwerk legen kann, sodass sie nie wieder mich oder andere verletzen können. Sie müssen dafür büßen, was sie all den Menschen und Hector angetan haben!

Ich balle die Hände zu Fäusten und rede mir selbst Mut zu. Als ich jedoch ein weiteres Fellbüschel unter dem Sofa hervorhole, ist mir prompt wieder ganz elend zumute.

Eilig stecke ich es in einen Müllsack und stehe ächzend auf. Mittlerweile ist meine Wohnung halbwegs ansehnlich und von dem gestrigen Chaos ist fast nichts mehr zu erkennen.

Ich bringe den Müll in die Küche und als ich wieder zurück ins Wohnzimmer gehe, wird mir bewusst, dass es jetzt nichts mehr gibt, womit ich mich ablenken könnte. Kurz überlege ich, ob ich zu Susan fahre, doch als ich heute Morgen im Krankenhaus angerufen habe, wurde mir lediglich gesagt, dass ihr Zustand unverändert ist.

Am besten ich fahre nach dem Besuch bei Jason dorthin, denke ich mir und mir graut es bereits, wenn ich heute Abend, in eine leere Wohnung ohne Hector heimkomme. Der Kater war die meiste Zeit seltsam zu mir, aber dennoch habe ich ihn lieb gewonnen. Er war mein ein und alles.

Ich wische mir über die Wange, da ich erneut zu weinen angefangen habe. »Ach, Hector«, murmle ich und schluchze auf, als ich seinen Kratzbaum ganz einsam in der Ecke stehen sehe.

Es klingelt plötzlich an meiner Wohnungstür und ich zucke so zusammen, dass ich das Handy in meiner Hand fallen lasse. Ich beschließe, es einfach zu ignorieren. Wer etwas will, kommt nochmal, denke ich mir.

Einen Moment später klingelt es erneut, dieses Mal länger. Als ich nach wie vor nicht reagiere, klopft jemand an meine Wohnungstür. Misstrauisch laufe ich leise zur Tür, damit man von draußen nicht meine Schritte hört und spähe durch den Spion. Was ich dort erkenne, verschlägt mir den Atem.

Eilig reiße ich die Tür auf und die Nachbarin, die sich vorhin noch beschwert hat, steht mit einem Bündel in ihrem Arm vor mir. »Mrs. Hill, Sie haben doch so eine hübsche Katze, nicht wahr?«, sagt sie dieses Mal freundlicher und lächelt breit.

Ich reiße den Mund auf, aber kein Ton kommt heraus. Das Bündel bewegt sich und ein ziemlich zersauster und geschafft wirkender Hector schaut mich verächtlich an. »Hector!«, rufe ich laut und er gibt ein leises anklagendes Mauzen von sich.

»Hab ihn unten im Keller in einer Ecke gefunden. Musste zweimal hinsehen, da ich ihn fast nicht bemerkt hatte«, erklärt sie mir und ich halte ihr die Tür auf, damit sie hereinkommen kann. Kaum steht sie drinnen, nehme ich ihr das Bündel ab. Offenbar hat sie ihn in ein Handtuch eingewickelt. Als ich es öffne, erkenne ich auch warum. Ganze Stellen in seinem Fell sind kahl und er hat einige Kratzspuren.

Seine Schnurrharre sind auf der linken Seite fast komplett ab und an seiner linken Pfote fehlt eine Kralle, wie ich durch das getrocknete Blut erkenne. Ansonsten scheint er wohlauf zu sein und ich kann mein Glück kaum fassen. Offenbar konnte er diesen Typen entwischen.

»Wie konnte das denn passieren?«, fragt mich die ältere Frau und ich überlege fieberhaft, was ich ihr antworten soll.

»Wenn ich das nur wüsste«, murmle ich und sie holt zischend Luft, als sie das Chaos in meiner Küche bemerkt.

»Ist etwa jemand hier eingebrochen? Wir müssen die Polizei rufen!«

»Lassen Sie das meine Sorge sein«, fahre ich sie an und sie wirkt sofort beleidigt. »Tut mir leid, ich wollte nicht so böse klingen. Ich bin Ihnen unendlich dankbar, dass sie meinen Kater gefunden haben!« Sie nickt, antwortet jedoch nicht.

Ich setze Hector auf dem Sofa ab und er putzt prompt sein Fell. Als ich ihn über dem Kopf streichle, schnurrt er sogar kurz, bevor er sich auf seinen Kratzbaum verzieht. Offenbar hat er nur einen Schrecken, aber sonst nichts schlimmeres. Ich nehme mir vor, ihn dennoch bei einem Tierarzt untersuchen zu lassen. Hector rollt sich auf der obersten Platte zusammen und leckt immer mal wieder über eine kahle Stelle. Der arme Kerl.

»Mrs. Kaminsky, ich wollte Sie schon gestern um einen Gefallen bitten.«

Meine Nachbarin horcht auf und blickt zu mir. »Ich bin ganz Ohr, Schätzchen«, antwortet sie freundlich und lächelt dabei.

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