Kapitel 48

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Jason

Eine Woche und fünf Tage bis zur Hinrichtung

Ein lautes Poltern auf dem Gang lässt mich hochschrecken und ich fahre mir mit einer Hand über die geschorenen Haare.

Meine Augen fühlen sich geschwollen von dem wenigen Schlaf an und als ich mich aufsetze, spüre ich jeden Knochen in meinem Körper. Ich bewege meine Finger und hole zischend Luft, als ich meine linke Hand kaum schließen kann. Offenbar habe ich Samuel gestern doch heftiger verprügelt, wie ich bisher angenommen hatte.

Die Klappe in meiner Zellentür geht auf und ein Tablett mit merkwürdig aussehendem Essen erscheint. Besser wie nichts, denke ich mir und nehme es.

Lieber würde ich jetzt gemeinsam mit Phil und Dean zusammen sitzen. Diese Einsamkeit und Isolation macht mich verrückt. Doch anders habe ich es nicht verdient. Ich hätte mich gestern zusammenreißen müssen, aber als Chims ausgerechnet über Sura hergezogen hat ... Nein, das konnte ich ihm nicht durchgehen lassen!

Die drei Tage werde ich schon überstehen.

Ich kratze den Rest auf meinem Teller zusammen, als es laut an meiner Zellentür hämmert. »Häftling 3367, zurücktreten!«, poltert ein Wärter davor und ich rolle mit den Augen, folge aber den Befehl.

Diese dämliche Nummernbezeichnung geht mir auf den Sack. Können die nicht meinen Namen nennen?

Ich stelle den Teller wieder auf das Tablett und halte meine Hände durch die Öffnung. Die Handschellen werden mir angelegt und einen Moment später öffnet sich die Tür. Zwei grimmig aussehende Wärter stehen mir gegenüber und einer von ihnen legt mir Fußschellen an. Ich grinse den anderen frech an, doch er verzieht keine Miene. Spielverderber.

»Häftling 3367, vorwärts!«, ruft der Kräftigere von beiden und ich muss mir einen Kommentar verdrücken, als er mir den Befehl gibt. Es gibt Wachmänner, die behandeln einen trotz dieser Umstände wie Menschen und dann gibt es welche, die zeigen einem deutlich, dass sie uns Häftlinge für wertlos halten.

Manchmal frage ich mich, was wohl passieren würde, wenn einfach alle Zellentüren aufgehen und die Insassen die Wärter fertig machen. Die hätten doch absolut keine Chance.

Ich werde in einen Einzelraum gebracht und bereits als wir in die Richtung gehen, ist mir klar, wer mich dort erwarten wird.

Die Männer bringen mich in den Raum, nehmen mir die Handschellen ab und schließen anschließend die Tür. Leo steht mit dem Rücken zu mir. Offenbar ist er sauer, weil ich mich erneut in Schwierigkeiten gebracht habe.

»Ey Mann, tut mir leid, dass ich mich schon wieder mit Chims angelegt habe, aber ...«, beginne ich, verstumme jedoch, als Leo sich mir zuwendet.

Mir klappt die Kinnlade auf und ich mustere das Veilchen um sein Auge, die dicke Lippe und die geschwollene Nase. »Was zum Teufel ist denn mit dir passiert?«, bringe ich nach einem kurzen Schockmoment hervor und Leo zuckt als Antwort mit den Schultern. »Wer war es?«, brumme ich und balle die Hände zu Fäusten.

»Das weiß ich nicht.«

»Lüg mich nicht an!«, blaffe ich.

»Ich weiß es wirklich nicht, Jason. Nach der Arbeit haben mir zwei Typen aufgelauert und mich zusammengeschlagen.«

Mein Puls beginnt zu rasen und Wut macht sich in meinem Körper breit. Am liebsten würde ich irgendetwas zerschlagen.

»Verdammter Mist! Ich habe dir gesagt, dass du aufpassen sollst! Die ganze Recherche ist doch mittlerweile ein einziges Himmelskommando!«

Leo setzt sich und ich tue es ihm gleich, obwohl mich die Wut rasend macht.

»Ich werde jetzt nicht aufgeben und Sura lässt sich ebenfalls nicht davon abbringen«, stellt er klar und ich verenge die Augen. Wo er am Anfang noch wollte, dass ich sie ausnutze, macht er sich offenbar nun selbst ein wenig Sorgen um sie.

»Gebt bitte auf euch Acht«, murmle ich. Ich würde es niemals laut zugeben, aber die Beiden bedeuten mir wirklich viel. Leo ist der Einzige, der stets zu mir gehalten und für mich gekämpft hat. Und Sura ist mir mittlerweile mehr ans Herz gewachsen, als mir guttut. Ich darf gar nicht dran denken, dass ich diese Welt in ein paar Tagen für immer verlassen werde.

»Hörst du mir überhaupt zu?«, reißt mich Leo aus meinen Überlegungen und ich sehe ihn verwirrt an.

»Hm?«, brumme ich und er rollt mit den Augen.

»Manchmal würde mich wirklich interessieren, was in deinem Kopf vor sich geht.« Ich verschränke die Arme, da ich es ihm lieber nicht sage. »Ich wollte wissen, wieso du schon wieder mit Chims zusammengestoßen bist. Was hat deine Wut dieses Mal entfacht?«, bohrt er nach und hebt dabei fragend eine Augenbraue an.

Ich reibe mir über mein stoppeliges Kinn und weiche seinem Blick aus. »Er weiß von Sura«, bringe ich einen Moment später hervor und kaum das ich es ausgesprochen habe, blitzt wieder Chims abscheuliches Gesicht vor mir auf. Dieser verdammte Wichser.

»Wie meinst du das?«, fragt Leo und ich sehe ihn direkt an.

»Er wusste, dass ich sie getroffen habe. Allein. Er weiß, dass du Wärter geschmiert hast.«

Leos Gesichtsfarbe wechselt von Rot zu weiß und wieder zurück. »Woher weiß er davon?« Seine Stimme klingt tonlos und ich bemerke, wie sich Schweißperlen auf seiner Stirn bilden.

»Was fragst du mich das? Ich habe ihm die Fresse poliert und gesagt, er solle das verdammt nochmal für sich behalten.«

Leo nickt, als würde er es nun doch gut heißen, was ich getan habe. »Ich kümmere mich darum.«

»Kümmern? Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass es eine scheiß Idee war!« Ich schlage vor Wut mit der Faust auf den Tisch.

»Ich bereue es trotzdem nicht!« Leos Blick bohrt sich in meinen und ich weiß genau, was er damit meint, ohne dass einer von uns Beiden es aussprechen muss. »Zwar hat es dieser Chims verdient, aber du hättest ihn dennoch nicht zusammenschlagen dürfen.«

»Ich finde die Isolation auch nicht gerade prickelnd, doch das war es wert.«

»War es das auch wert, dass du deinen Kumpel Phil nicht noch einmal vor seiner Hinrichtung sehen wirst?«

Verblüfft halte ich inne und ein Kloß bildet sich in meinem Hals, als mein Verstand realisiert, was er da gerade gesagt hat. Er hat recht! Verfluchte Scheiße! »Aber ... ich ... nein ...«, stammle ich, da ich keinen klaren Satz mehr hervorbringen kann.

»Du darfst Montagfrüh erst wieder mit auf den Hof und zu den anderen. Doch da ist er bereits in der Sonderzelle und wird für die Hinrichtung am Abend vorbereitet. Tut mir leid, Kumpel«, sagt Leo leise und klingt dabei bedrückt.

Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und ich würde vor Frust am liebsten laut schreien. Wieso habe ich da nur nicht dran gedacht, bevor ich auf diesen Wichser losgegangen bin?

Phil hat die drei schwersten Tage, seines restlichen Lebens vor sich und ich bin nicht als sein Freund da, um ihn zu unterstützen. Ich fühle mich mit einem Mal miserabel und würde am liebsten die Zeit zurückdrehen.

Hoffnungsvoll sehe ich Leo an, doch er schüttelt sofort mit dem Kopf, als hätte er meine Gedanken lesen können. »Ich kann leider nichts für dich tun. Der Direktor war eindeutig und macht keine Ausnahmen. Tut mir wirklich leid.«

»Mir auch«, flüstere ich und wünschte, ich könnte Phil noch sagen, was für ein guter Freund er für mich hier war.

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