Kapitel 74

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Sura

Zwei Tage bis zur Hinrichtung

Lustlos esse ich meine Cornflakes und sehe immer wieder zu dem Brief von Jason rüber, der nach wie vor ungeöffnet, aus meiner Handtasche lugt. Er hat mich gebeten, ihn erst nach seiner Hinrichtung zu öffnen. Zwar habe ich versprochen, ihm diesen Wunsch zu erfüllen, doch was ist, wenn womöglich das fehlende Puzzleteil darin steht und er mir unwissentlich einen Hinweis liefert?

Andererseits war es sein letzter Wunsch ... Wie könnte ich ihm den versagen? Ich esse weiter und beschließe, es spontan am Mittwoch zu entscheiden. Mittlerweile sind es nur noch achtundvierzig Stunden, bis sie ihm die Giftspritze verabreichen. Wie konnten diese vier Wochen nur so schnell vergehen?

Wenn ich doch nur mehr Zeit gehabt hätte, denke ich mir und schiebe die Schüssel von mir, da mir nun vollends der Appetit vergangen ist.

Mein Blick schweift weiter zu dem Katzenspielzeug, das auf dem Boden herumliegt. Mein Magen zieht sich bei dem Gedanken an Hector zusammen. Ich habe ihn erst einmal meiner Nachbarin gegeben, die ihn gefunden hat. Sie hat sich gefreut und wird mit ihm heute zum Tierarzt gehen, um zu überprüfen, ob er nicht doch Verletzungen hat.

Ich bin froh, dass sie tatsächlich eingewilligt hat sich um ihn zu kümmern. Donnerstag werde ich ihn wieder zu mir holen, da ich glaube, dass all der Schrecken dann ein Ende hat. Denn dann ist Jason ja ... Ich kann diesen Satz nicht einmal zu Ende denken und mein Frühstück will sich bei dem bloßen Gedanken einen Weg nach oben kämpfen.

Stattdessen erinnere ich mich an seine sanften Küsse. Es hat sich sogar fast so angefühlt, als gäbe es keine Hindernisse mehr, die uns im Weg stehen. Wenn es doch nur wirklich so wäre ...

Ich kippe die Schüssel mit dem Inhalt weg und wasche sie kurz aus, bevor ich mir meine Handtasche schnappe. Jasons Brief verstaue ich ihn das Geheimfach. Ich sehe auf mein Handy, doch wie zu erwarten war, hat mich niemand angerufen oder geschrieben.

Kurz überlege ich, ob ich Leo anrufen und ihm sagen soll, dass ich Jason heute noch einmal besuchen möchte, bevor er in Einzelhaft kommt, entscheide mich jedoch dagegen. Ich werde ihn danken, wenn ich ihm am Mittwoch sehe, dass er Jason und mir dieses Gespräch ermöglich hat.

Nach wie vor weiß ich nicht wie er es angestellt hat, aber er wird mit Sicherheit einige Hebel in Bewegung gesetzt haben.

Ich ziehe mir die Schuhe an, schnappe mir die Schlüssel und mache mich auf den Weg zu Susan ins Krankenhaus.

***

»Guten Tag, ich würde gerne zu Susan Hunter«, sage ich freundlich zu der Empfangsdame und sie sieht kurz auf.

»Melden Sie sich bitte bei einem Arzt auf der Intensivstation. Vorher bekommen Sie keinen Zutritt zu ihrem Zimmer«, erklärt sie mir und ich nicke.

Als ich auf der Intensivstation ankomme, entdecke ich gleich den Arzt von den letzten Malen. Er blickt auf, als er mich kommen sieht und nickt mir kurz zu.

»Hallo, wie geht es Susan? Ist sie aufgewacht?«

Er schüttelt bedauernd mit dem Kopf und mein Magen zieht sich zusammen. Ich weiß, dass mich das Krankenhaus angerufen hätte, sollte sich etwas an ihren Zustand ändern, aber dennoch hatte ich Hoffnungen. »Mrs. Hunter ist mittlerweile außer Lebensgefahr und wir fahren seit gestern die Medikation langsam herunter«, erklärt er mir.

»Was für eine Medikation?«

»Die, die sie im künstlichen Koma hält. Das passiert nicht von heute auf morgen. Wir müssen das schrittweise und sehr langsam machen. Ihre Werte sind jedoch stabil und auch die Schwellung in ihrem Gehirn ist deutlich zurückgegangen.«

»Heißt das, sie wird wieder vollkommen gesund?«, frage ich erleichtert und umklammere meine Handtasche fester. Der Arzt jedoch presst kurz die Lippen zusammen, bevor er mir antwortet.

»Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht beantworten. Ich kann leider nicht voraussagen wie Sie den Unfall und das Koma weggesteckt hat. Wir werden jedoch unser Bestes geben. Sie können nun gerne für ein paar Minuten zu ihr. Es wird ihr beim Aufwachen helfen, wenn Sie vertraute Stimmen hört. Ihr Bruder war gestern Nachmittag auch schon da«, erklärt er lächelnd und ich stutze bei seinen Worten.

»Ihr Bruder?«, hake ich nach und er nickt.

»Ja, ein netter junger Mann. Er wirkte sehr besorgt und meinte, er hätte erst jetzt von dem Unfall erfahren.«

Verwirrt runzle ich die Stirn. »Susan hat keinen Bruder«, sage ich ernst und er zieht eine Augenbraue nach oben.

»Sind Sie sich sicher? Vielleicht hat ihre Freundin ihn nur nie erwähnt?«, sagt er.

»Hm, vielleicht«, murmle ich, obwohl ich ganz genau weiß, dass dem nicht so ist. Der Arzt nickt mir zu, bevor er sich wieder seiner Akte, die er nach wie vor in der Hand hält, widmet.

Mit rasendem Puls und schweißnassen Fingern, betrete ich Susans Zimmer. Ich eile auf sie zu, doch ihr Herzschlag wird nach wie vor auf dem Monitor angezeigt und ihre Brust hebt und senkt sich, dank dem Schlauch, der auf ihrem Mund liegt.

Für einen Moment hatte ich Angst, dass man ihr etwas angetan haben könnte. Wer auch immer gestern hier war, er war auf jeden Fall nicht ihr Bruder. Ich weiß ganz genau, dass sie keinen hat.

Ich ahne, wer dieser mysteriöse Besucher war. Mit Sicherheit einer von denen, der sie von der Straße gedrängt hat. Offenbar wollten sie sehen, ob sie ihr Werk vollbracht haben. Da sie jedoch im Koma liegt, stellt sie anscheinend erst einmal keine Gefahr für sie dar. Zumindest im Moment, denke ich mir besorgt und ein kalter Schauer fährt mir über den Rücken.

Doch wie kann ich sie nur beschützen, wenn sie aufwacht? Die Polizei wird meinen Befürchtungen keinen Glauben schenken, da man nach wie vor von einem Unfall ausgeht. Genau wie bei Brandon und Mira. Diese Leute sind wirklich verdammt clever, das muss man ihnen lassen.

Ich beschließe, dass Jeffrey und ich ab jetzt ein Auge auf sie werfen werden. Jeff kennt, glaube ich, auch ein paar ihrer anderen Freunde, vielleicht helfen die uns mit.

Oder du findest endlich die Beweise, die diesen grausamen Menschen das Handwerk legen, schießt es mir durch den Kopf und ich setze mich an Susans Bett.

»Ich verspreche dir, Susan, dass ich auf dich aufpassen werde. Keiner wird dir mehr wegen mir leid antun können.« Ich drücke ihre Hand, die zwar warm ist, aber den Druck nicht erwidert.

Der Monitor piept unablässig weiter neben mir und ich erzähle ihr noch ein wenig von dem Treffen mit Jason. Dieses Mal lasse ich auch nicht den Kuss aus, den sie, wenn sie wach wäre, wahrscheinlich bis ins kleinste Detail analysieren würde. Wehmut erfasst mich und ich wische mir über die Augen. In letzter Zeit bin ich wirklich nur am heulen.

Nach einer halben Stunde verabschiede ich mich von ihr und verlasse das Zimmer. Während ich nach draußen laufe, versuche ich Jeffrey anzurufen, doch er geht nicht ran. Kurzerhand hinterlasse ich ihm eine Nachricht, dass er heute noch einmal unbedingt nach Susan sehen soll.

Zwar glaube ich nicht, dass solange wie sie nicht wach ist, eine Gefahr besteht, aber Vorsicht ist besser wie Nachsicht. Das habe ich ja auch bei Hector gemerkt, denke ich mir und bin froh, dass es Gott sei Dank so gut ausgegangen ist.

Während ich über den Parkplatz laufe sehe ich mich um, doch nirgendwo ist ein auffälliges Auto zu erkennen. Dennoch fühle ich mich beobachtet, als ich in meinen Wagen steige.

Das beklemmende und nagende Gefühl beschleicht mich die ganze Zeit über und ich werde nach wie vor nicht die Ahnung los, dass mich jemand verfolgt.

Doch egal wie oft ich in den Rückspiegel sehe, es ist niemand zu erkennen. »Du wirst paranoid«, sage ich zu mir selbst und zucke im selben Moment zusammen, als mein Hintermann hupt, da die Ampel vor mir bereits längst auf grün gesprungen ist.

Bevor ich ins Büro fahre, werde ich noch einmal bei Jason vorbeischauen. Anschließend werde ich heute Nachmittag mein Glück bei Alkims Sekretärin versuchen. Sie verschweigt etwas, da bin ich mir sicher. Vielleicht finde ich auch endlich heraus was und kann so doch noch Jason retten.

Ich weiß, dass ich viel zu euphorisch bin, aber wenn ich es nicht wäre, dann ... Nein, daran will ich nicht mal denken.

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