Kapitel 85

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Sura

Eine Stunde und dreißig Minuten bis zur Hinrichtung

Wenige Minuten später, komme ich am Krankenhaus mit quietschenden Reifen zum stehen. Mein Herz klopft mir bis zum Hals und ich bin so aufgeregt, dass ich zwei Anläufe brauche, um den Schlüssel aus dem Zündschloss zu ziehen. Ich renne über den Parkplatz und komme erst vor der Intensivstation zum stehen.

»Hallo, ich wurde angerufen, dass Susan Hunter aufgewacht ist und nach mir fragt«, sage ich zu einer Krankenschwester, die im Flur entlangläuft und japse anschließend nach Luft. Sie scheint zu wissen, um was es geht, denn sie nickt.

»Gehen Sie bitte zu Dr. Pickner, er sagt, wie sie sich zu verhalten haben.«

Zu verhalten, frage ich mich gedanklich. Offenbar ist Susan noch etwas verwirrt und ich soll sie nicht mit Fragen überfallen, schießt es mir durch den Kopf und ich halte nach dem Arzt Ausschau. Es ist der Arzt von den letzten Malen und er nickt mir höflich zu, als er mich kommen sieht.

Er teilt mir mit, dass Susan vor einer Stunde aufgewacht ist und seitdem ununterbrochen nach mir fragt. »Stellen Sie ihr bitte nicht so viele Fragen und reden Sie ruhig mit ihr. Auf gar keinen Fall soll sie sich aufregen oder gar einen Schock erleiden.«

»Natürlich«, murmle ich und spüre zeitgleich, wie meine Hände vor Nervosität schweißnass sind.

»Sie können gerne ein paar Minuten mit ihr sprechen, aber nicht länger. Sie ist geschwächt und etwas verwirrt, doch das wird sich in den nächsten Tagen legen.«

Ich lächle bei seinen Worten, da ich mit so guten Neuigkeiten, gerade heute, nicht mehr gerechnet hatte.

Gemeinsam gehen wir zu Susans Zimmer und er klopft an. »Mrs. Hunter, Sie haben Besuch«, sagt er zu ihr und ich trete hinter ihm ein.

Ich muss mich zurückhalten, damit ich nicht die Hände vor das Gesicht schlage, als ich ihren desaströsen Zustand sehe. Da sie wach ist, wirkt es noch um einiges schlimmer. »Hallo, Susan«, krächze ich, da mit einem Mal meine Stimme weg ist. Ich höre, wie hinter mir die Tür zugeht. Offenbar hat der Arzt das Zimmer verlassen.

»Hey«, flüstert sie und ihre Stimme klingt so rau, dass ich kurz zusammenzucke.

»Wie geht es dir?«, frage ich und setze mich auf den Stuhl neben ihrem Bett. Sanft greife ich nach ihrer Hand. Sie versucht zu lächeln, doch ihr Gesicht wirkt eher wie eine Grimasse.

»Ging schon besser«, bringt sie mühsam hervor und ich sehe sie mitfühlend an.

»Ich bin nur froh, dass du wieder aufgewacht bist. Ich hatte solche Angst um dich. Es ist alles meine Schuld!« Tränen bilden sich in meinen Augen, bei ihren schwachen Anblick und ich blinzle sie eilig weg.

»N-nicht d-deine Sch-schuld«, stammelt sie und verzieht den Mund.

»Rede nicht so viel, Susan, das tut deiner Stimme nicht gut«, sage ich einfühlsam und lächle sie verständnisvoll an. Doch Susan schüttelt bloß mit dem Kopf, auch wenn sie danach erneut schmerzverzerrt dreinblickt.

»J-jeffrey«, flüstert sie und ich seufze.

»Ich habe ihn noch nicht Bescheid gesagt, dass du wach bist. Aber das mache ich gleich.«

»Nein!«, sagt sie aufgebracht und das Gerät neben ihr piept etwas schneller.

Verwirrt sehe ich sie an. »Nein? Wieso nicht?«

Susan wirkt mit einem Mal blasser, wobei ich mir das vielleicht auch einbilden kann. Immerhin zieren nach wie vor mehrere Blutergüsse ihr Gesicht.

Meine Freundin schließt kurz die Augen, als würde es sie schiere Kraft kosten, mir das zu sagen, was sie gleich erzählen möchte.

»Er war es.«

Ihr Blick bohrt sich in meinen und ich weiß nach wie vor nicht so recht, was sie meint. »Was war er?«, flüstere ich, obwohl ich, kaum das ich die Worte ausgesprochen habe, plötzlich eine Ahnung habe. Das Gerät neben ihr beginnt noch schneller zu piepen.

»J-Jeffrey hat m-mich von der S-straße gedrängt. Er war es. Er wollte mich zum Schweigen bringen.«

Meine Kinnlade klappt auf und ich bin froh, dass ich sitze, denn sonst hätten womöglich meine Beine einfach nachgegeben. »Das glaube ich nicht! Er ist doch unser Freund!«

»Ich habe Beweise. Wegen Jason.«

Verblüfft starre ich sie an und mein Herz scheint für einen Moment seinen Dienst einzustellen. Mir ist schwindlig und ich atme tief durch, bevor ich ihr antworte. »Du meinst, Jeffrey steckt dahinter?« Sie nickt knapp. »Aber wieso? Das ergibt keinen Sinn.«

Ich hatte mit vielen gerechnet, doch das er dahinter stecken soll? Nein, niemals. Wieso auch? Er kennt Jason doch nicht einmal, oder? Fieberhaft überlege ich und werde erst aus meinen Gedanken gerissen, als Susan meine Hand drückt. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf sie.

»Mein Schreibtisch zuhause. In dem untersten Fach ist ein d-doppelter Boden. Dort liegt eine M-mappe. Mehr brauchst du nicht«, sagt sie mit fester Stimme und wirkt dabei ernst.

»Aber ...«

»Die Zeit läuft ... Jason ...«, murmelt sie und ich sehe zu der Uhr, die in ihrem Zimmer hängt. Es bleibt mir nur noch eine Stunde, bis Jason hingerichtet wird.

»Scheiße«, fluche ich und sehe wieder zu ihr. »Aber ich kann dich hier nicht alleine lassen. Wir müssen die Polizei rufen. Was ist, wenn Jeffrey wiederkommt und ...«

»Geh jetzt! Danach ist immer noch Zeit«, sagt sie zornig und nickt in Richtung Tür.

»Bist du dir ...«

»Sicher? J-j-aa!« Ich überlege nur für den Bruchteil eines Augenblickes, bevor ich aufstehe und sie kurz drücke.

»Ich komme danach sofort wieder und wir rufen die Polizei.«

»Sei vorsichtig. Er ist gefährlich«, flüstert sie und ein Kloß bildet sich bei ihren Worten in meinen Hals. So wirklich kann ich es nicht glauben.

Ich sehe noch einmal zu ihr, bevor ich das Zimmer verlasse und wieder Richtung Parkplatz eile.

Jeffrey soll es also gewesen sein, der sie von der Straße gedrängt hat, grüble ich und kann mir das nicht vorstellen. Ich kenne ihn schon so lange und hätte ihm so etwas niemals zugetraut. Ganz im Gegenteil.

Ob sie sich womöglich irrt? Aber sie sah so überzeugt aus, denke ich mir zeitgleich.

Selbst wenn Jeffrey es tatsächlich gewesen sein soll, wie steckt er in der ganzen Sache mit Jason drin? Wieso will er ihn tot sehen? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!

Die Antwort darauf werde ich hoffentlich in dieser geheimnisvollen Mappe von Susan finden.

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