6. Kapitel: Frage und Antwort

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Lydia

Was soll ich jetzt sagen? Die eine Möglichkeit ist, dass ich die Wahrheit sage. Sie die aber nicht kennen und ich so ganz Berk in Gefahr bringe. Die andere Möglichkeit ist, dass ich Lüge, sie aber die Wahrheit kennen und wer weis, was dann passiert...
„Hier und dort, Levis hat mir ja keine Ruhe gelassen." Das ist zumindest zum Teil die Wahrheit. Die Frau vor mir scheint es auf jeden Fall zu schlucken, denn sie fragt nicht weiter nach. „Wie schätzen sie das Verhältnis zu ihrem Bruder ein?" Sie notiert etwas auf dem Zettel. „Ich habe keine Geschwister, aber wenn sie Levis meinen, dann wäre es schlechter als schlecht. Er würde mich liebend gern tot sehen." Das ist auch kein Geheimnis, eigentlich ist diese Befragung bis jetzt sehr einfach, zu einfach! Die Frau macht sich weiter Notizen, dann lächelt sie mich an. „Sie können einigen Berichten zur Folge sehr gut mit Drachen umgehen. Stimmt das?" Wie können sie das wissen? Ich habe es immer geheim gehalten! Aber das ist jetzt schon eine Weile her, die Zeiten haben sich geändert. Wieder einmal wird mir das schmerzlich bewusst. Längst stehen nicht mehr alle auf der selben Seite. Jahrelang habe ich den Riss, den die Drachenjäger durch unsere Gesellschaft ziehen, überbrückt. Diese dünne Naht ist jetzt gerissen, die Welt ist endgültig gespalten und das hier ist viel größer als die Drachenjäger. Mir wird bewusst, dass wir womöglich vor einem der größten Kriege unserer Geschichte stehen. „Wären sie so gütig meine Frage zu beantworten?" Ja, die Frage. Irgendwas war in dieser Spritze, was mich ganz müde macht. Mir fällt es immer schwerer bei der Sache zu bleiben. „Ich bin in Fönen aufgewachsen. Respektiere die Drachen und sie respektieren dich, ist auch mein Motto." Fönen, meine Kindheit. Die Freunde die ich hatte, ich sehe Levis, Heidrun, Karo und mich beim spielen. Wir waren unzertrennlich und jetzt sind wir in alle Himmelsrichtungen verstreut. „Haben sie meine Frage verstanden?" Heidrun und ihre Eltern sind von einer Reise nicht zurückgekehrt. Levis wollte unbedingt Oberhaupt werden, bei unserer letzten Begegnung hätte er mich fast umgebracht. Karo ist bei der Handelsgesellschaft, ich habe sie ewig nicht mehr gesehen. Nur ich bin hier, ohne Licht, ohne Freunde, ohne Hoffnung. Die Stimme der Frau erklingt wieder. Ich höre sie nicht mehr. Vor mir ist nur noch Dunkelheit, irgendwo habe ich gelesen, dass manche Leute die Dunkelheit als Erlösung betrachten. Ein alter Kult weit weg von hier. Ich möchte Erlösung, mein Leben ergibt keinen Sinn mehr. Es gibt keine Hoffnung mehr. Die Dunkelheit umgibt mich. Hier gibt es keinen Schmerz und kein Leid. Alles hier ist gut, ich kann gehen. Ich lasse meinen Körper los und gleite in die Bewusstlosigkeit.

Hicks

„Wie ich sehe lebt ihr noch." Mein Vater klopft mir auf die Schulter. Nach einer kurzen Besprechung mit den Beschützern sind wir direkt zurück nach Berk. Ohne uns gibt es viel zu wenig Schutz. Wir sind die halbe Nacht geflogen, fast den ganzen Tag. Jetzt ist es fast schon wieder dunkel. „Die Beschützer helfen uns. Ihnen sind die Drachenjäger schon lange ein Dorn im Auge." Erstatte ich meinem Vater Bericht. Er lässt uns zwar fast komplett freie Hand, doch ab und zu müssen wir ihm sagen, was wir vorhaben. Im Dorf haben sich die meisten inzwischen an die Drachen gewöhnt. Ein paar Griesgrame gibt es zwar immer noch. Doch die faselten schon immer davon, dass früher alles besser war. Egal was passierte, früher wäre sowas nicht passiert, denn früher war alles besser. Unsere Gruppe zerstreut sich langsam, wir sind erschöpft vom Flug und machen uns so auf den Weg ins Bett. Zum Schluss stehen nur noch mein Vater, Astrid, Sturmpfeil, Ohnezahn und ich da. Ich und Astrid umarmen uns kurz, dann trennen sich auch unsere Wege und Vater und ich machen uns auf den Weg zu unserer Hütte.

Den Großteil des Weges davon legen wir schweigend zurück. Ich weis nicht, wie ich die Beziehung zwischen ihm und mir beschreiben soll. Sie ist besser geworden aber manchmal reden wir noch immer an einander vorbei. Irgendwann, kurz vor unserer Hütte bricht mein Vater schließlich das Schweigen. „Ich habe mir etwas überlegt." Das wäre nichts neues, ich weis noch wie er mir einfach so mitgeteilt hat, dass ich zum Drachentraining muss. Zweimal, wohl gemerkt. „Mhm..." Mache ich also nur, was soll man darauf sagen? „Ich würde gerne Drachenreiten lernen und ich denke du kannst mir dabei helfen." Was?!

Astrid

Ich gehe den Weg zur Hütte meiner Eltern nur langsam. Fast zwei Wochen war ich nicht mehr hier. Fast zwei Wochen hatte ich nicht mehr meine Ruhe. Jetzt möchte ich einfach nur die Stille genießen, auch wenn das meinen Heimweg in die länge zieht. Eigentlich lauge ich deswegen auch einen Umweg. Deswegen und weil ich gut darauf verzichten kann mit Hicks und seinem Vater zusammen zu laufen. Nichts gegen Haudrauf, aber nach zwei Wochen mit Rotzbacke und den Zwillingen sind meine Nerven am Ende. Was nicht die besten Vorraussetzungen für ein Gespräch mit Haudrauf sind. Zumindest wenn man Hicks glauben darf. Unwillkürlich stiehlt sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Das zwischen ihm und mir ist etwas besonderes.

Im selben Moment tippt mir jemand auf die Schulter und ich zucke zusammen. Hinter mir steht Gothi, unsere Heilerin, und schaut mich nachdenklich an. Dann schreibt sie etwas auf den Boden. Ich kneife die Augen zusammen, Sturmpfeil neben mir schnaubt leise. Irgendwie ist eine düstere Stimmung aufgekommen und das Lächeln auf meinem Gesicht verschwindet. „Die Welt ist im Wandel." Steht da. „Lauerst du den Leuten immer in der Nacht auf um kryptische Nachrichten auf den Boden zu schreiben?" Frage ich verwirrt. Ist die Welt nicht immer im Wandel? Gothi schreibt inzwischen wieder. „Nein, nur wenn die Umstände es erfordern." Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Ich komme mir vor wie in einer dieser Gruselgeschichten, die Grobian so gerne am Lagerfeuer erzählt. „Welche Umstände?" Frage ich also und meine Stimme klingt zittriger, als ich es für möglich gehalten habe. Mein Instinkt rät mir dringend, diese Sache ernst zu nehmen. Doch andererseits bin ich eigentlich immer noch die furchtlose Astrid Hofferson. Wann bin ich so schreckhaft geworden? „Wenn ich nichts sage wird es niemand tun." Augenblicklich habe ich Rotzbackes Stimme im Ohr: „Eigentlich kann man das nicht sagen nennen." Oh Gott, diese zwei Wochen waren echt nicht gut für mich. Inzwischen ist Gothi verschwunden. Doch auf dem Boden steht noch etwas und mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken, als ich zu lesen beginne.

Unbekannt

Ich laufe über die Flure, in denen ich mich auskenne. Ich laufe an den Türen vorbei, die zu unserem Gefangenentrakt gehören. Ich laufe zu den Ställen, die viel zu eng für die Drachen sind. Es ist als hätte die Fremde in dem Zimmer einen Schalter bei mir umgelegt. Plötzlich erinnere ich mich wieder an alles, was ich Jahrelang verdrängt habe. Ich habe es in den hintersten Winkel meines Gehirns gepackt, damit sie es nie erfahren. „Lorelei?" Ruft jemand hinter mir. „Lorelei!" Ich drehe mich um und sehe Tom, seinen Bruder Tim im Schlepptau. Wir kennen uns schon ewig, nur dass sie im Gegensatz zu mir freiwillig hier sind. Solche Daten sind nicht offiziell, doch ich erkenne es an ihren Ansichten und ihrer Arbeitsmoral. Sie sehen sich als Teil in einem riesigen Puzzle, dass eine bessere Welt erschaffen wird. Ich weis nicht, was für eine Welt das sein soll. Doch ich wusste immer, dass es eine Welt ist, in der ich nicht leben möchte. Falls sie es jemals schaffen sollten diese Welt zu verwirklichen werde ich meinem Leben ein Ende setzen. Das habe ich vor Jahren beschlossen und an diesem Beschluss halte ich fest. „Was ist?" Frage ich nun. Meine Schicht ist beendet. Eigentlich interessiert niemanden, was ich danach mache. „Wir brauchen noch jemanden für unser Team beim Keule und Klaue Turnier. Hättest du Lust dazu?" Keule und Klaue, ein uraltes Strategiespiel. Hier wird es auch eingesetzt um die Mitarbeiter zu überwachen. Wer darin gut ist, wir entweder befördert oder verschwindet. Ich strebe keins von beidem an, aber ich kann dabei ihre Strategie beobachten. Vielleicht nützt es mir etwas. Vielleicht kann ich doch etwas bewegen. Ich sage zu.

Fünf Jahre - und alles danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt