13. Kapitel: Grimborn

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Lorelei

„Wie vergiftet?" Frage ich mit zitternder Stimme. Auf einmal habe ich einen dicken Glos im Hals. Wieso sollte irgendjemand mein Leben beenden wollen? Die Heilerin, Theodora, seufzt. „Wir wissen nicht genau wie, wir wissen nur, dass es so ist." Sie schaut mich mitleidig an. „Ich habe dich für die nächste Woche Krankgeschrieben. Bis dahin müssen wir herausfinden, wer für diesen Anschlag verantwortlich ist." Erklärt sie mit sanfter aber bestimmter Stimme. Ich versuche zu protestieren, so eine Krankschreibung könnte mir den Job kosten. Dann fällt mir wieder ein, dass ich diesen Job garnicht freiwillig mache. Es ist verrückt, aber mit den Jahren vergisst man das zwischen der ganzen Verachtung tatsächlich ab und zu. Statt also wie geplant zu protestieren fällt mir etwas Anderes ein: „Wir?" Frage ich, auf die Schnelle fällt mir niemand ein, der sich hier für mich einsetzen könnte. Tarik vielleicht, aber er muss vor allem auf das Leben seiner Tochter achten. Ich würde ihn nur ungern in irgendwas hineinziehen. Die Bettdecke raschelt, als Theodora sich zu mir setzt. „Ja wir, ich, du, Verena, Rudolf und noch ein paar andere. Vielleicht hilft uns sogar der Herr Grimborn." Bei dem Ausspruch seines Namens zucke ich zusammen. Aber gleichzeitig durchströmt ein wunderbar warmes Gefühl mich ein Gefühl wie durch eine Verbindung... mit einem Drachen. Das mir das ausgerechnet jetzt wieder einfällt. Sofort ist das warme Gefühl wieder verschwunden und die Trauer, die nun schon so alt ist breitet sich mal wieder in mir aus. In meinem ersten Jahr hier konnte ich abends nur weinen, erst danach wurde es besser.

Um mich abzulenken komme ich auf den letzten Namen zurück, den Theodora genannt hat. „Wieso sollte Viggo Grimborn (ich betone den Namen, als ob es völlig absurd wäre ihn zu nennen) ausgerechnet mir helfen?" „Nun ja, er hat dir gestern bereits einmal geholfen und als er dich hergebracht hat, hat er..." Sie bricht ab und mustert die Decke, als hätte sie sie noch nie gesehen. „Hat er, was?" Versuche ich noch mehr aus ihr heraus zu bekommen. Es funktioniert, sie lächelt kurz, dann fährt sie fort: „Hat er die ganze Zeit vor sich hingemurmelt, dass du wichtig wärst und, dass Lydia ihn umbringen würde, wenn du stirbst."

Lydia

Ich achte genau auf Viggos Körperhaltung, was wird er nun tun? Auf jeden Fall tut er nicht das, was ich erwartet hätte. Er seufzt und lässt die Schultern sinken. Dann lehnt er sich in seinem Sessel zurück. Es sieht nicht überheblich aus, eher müde. „Ich kann verstehen, das du so denkst und werde das akzeptieren. Trotzdem wirst du bald auf Dinge stoßen, die dich an allem Zweifeln lassen werden. Wenn du einfach nicht mehr weiter weißt, dann komm hierher, meine Tür steht immer für dich offen." Er lächelt wehmütig. Diesen Satz hat er schon einmal zu mir gesagt. Das war ganz am Anfang unserer Beziehung. „Wenn deine chaotische Familie dir den letzten Nerv raubt, dann komm hierher, meine Tür wird immer für dich offen stehen." Hat er damals gesagt, als ich vollkommen am Ende war und er hat gelächelt. Aus irgendeinem Grund glaube ich, dass diese Assoziation gewünscht war. Mit meiner Familie ist irgendwas, was ich bisher übersehen habe. Seine Worte sind nicht nur ein Angebot, sie sind auch eine Herausforderung dieses Etwas herauszufinden. Ehe ich mich versehe lächle ich und nicke. „Wenn das wirklich der Fall sein wird, werde ich kommen." Verkünde ich mit klarer Stimme. Viggos Gesicht hält sich etwas auf. „Das ist schön." Sagt er und erhebt sich von seinem Sessel. „Und jetzt komm, General Krogan lässt man nur ungern warten." Er verzieht das Gesicht. „Glaub mir, mit ihm ist echt nicht gut Kirschenessen." Ich denke an den Dunkelhäutigen Mann von gestern. Der mich so überheblich behandelt hat. Kurz muss ich erneut lächeln. „Da könntest du recht haben." Scherze ich und stehe ebenfalls auf. Gemeinsam treten wir durch die Tür in den Flur. Für einen Moment habe ich tatsächlich keine Schmerzen. Für einen Moment ist es so, als wäre zwischen mir und Viggo wieder alles so wie früher. Als könnten wir wieder Freunde sein oder mehr.

Dann ist der Moment vorbei und ich füge mich mal wieder in mein schreckliches, kompliziertes, wunderbares Leben.

Hicks

Sprachlos stehen wir da, während immer mehr Menschen um uns beginnen zu applaudieren. „Weise Worte mein junger Freund, sehr weise Worte." Sagt der Mann von vorher, der anscheinend ihr Anführer ist. „Wenn ihr wollt könnt ihr über Nacht hierbleiben." Mit einem Schlag fallen mir gleich mehrere Steine vom Herzen. Ich weiß nicht, was wir gemacht hätten. Wenn diese Caldera Leute uns nicht freundlich gesinnt gewesen wären. Auch die Anderen scheinen erleichtert zu sein, weder weiterfliegen noch kämpfen zu müssen. Nur Astrid bleibt misstrauisch. „Und wer sagt uns, dass ihr nicht doch mit den Drachenjägern zusammenarbeitet und was weiß ich mit uns macht, während wir schlafen?" Fragt sie und in ihrer Stimme schwingt eine gesunde Portion Misstrauen mit. „Wir versprechen es euch und Versprechen sind bei uns heilig." Aus der Menge tritt ein Mädchen, dass ungefähr in unserem Alter zu sein scheint. Sie sieht blass aus und ringt offensichtlich mit sich. Schließlich fast sie sich doch ein Herz. „Ihr seid wirklich meinem Cousin begegnet?" Fragt sie mit großen Augen und hinter mir schnappen einige Drachenreiter, Astrid, Rotzbacke, die Zwillinge, hörbar nach Luft. Nur Fischbein beschränkt sich darauf, seine Fingerspitzen nervös gegeneinander zu schlagen. „Iris, jetzt verunsichre unsere Gäste nicht gleich wieder." Mischt der Mann sich wieder ein, bevor ich oder ein anderer Drachenreiter etwas unternehmen kann. Das Mädchen, oder eher die Frau oder noch besser, Iris, senkt den Kopf. „Tut mir leid Vater, aber ich kann es mir einfach nicht vorstellen." Flüstert sie, wenn nicht so eine Stille herrschen würde, hätte ich sie nicht verstanden. „Ihr müsst wissen, dass mir Viggo sehr geholfen hat, als mein Großvater gestorben ist." Fügt sie einen Moment später an uns gewandt hinzu. „Ich kann einfach nicht glauben, dass er sich so verändert hat." Ihre Stimme hat etwas bitteres trauriges in sich, sodass mir einen Moment ganz schwer ums Herz wird. Dann klatscht Iris' Vater erneut in die Hände. „Es wird denke ich Zeit für das Abendessen." Erklärt er.

Astrid

Als der Vater von dieser Iris gesagt hat, dass es Zeit für das Abendessen wäre. Hätte ich nie vermutet, was er damit meint. Wie sich herausstellt ernähren die Wikinger hier sich nämlich fast ausschließlich von den Pflanzen, die sie auf ihren Feldern anbauen. Ich weiß nicht, wie das möglich ist, aber das Klima ist hier, viel weiter im Norden, wärmer als bei uns. Vielleicht liegt das an dem erloschenen Vulkan. Jedenfalls wurde uns alles Mögliche angeboten, aber kein Fleisch und, den Göttern sei dank, auch kein Fisch. Nicht, das ich Fisch nicht mag, aber es gab seit einer gefühlten Ewigkeit fast immer Fisch. Da kommt mir das ganze Obst und Gemüse gerade recht und lecker ist es auch. Das finden auch meine Freunde, denn während wir unter freiem Himmel zu Abend essen breitet sich eine Art „gefräßige Stille" über uns aus, die erst gebrochen wird, als Hicks fragt, wie Iris denn genau verwandtschaftlich zu Viggo stehe. Diese überlegt nicht lange sondern beginnt sofort zu erklären: „Viggo ist der Sohn der Schwester meines Vaters, also mein Cousin. Ich bin mit ihm über die „Nicht-Drachenjäger-Linie" verwandt." „Und wie hast du ihn so erlebt?" Frage ich sie. Mehr um irgendwas zu sagen, als aus Interesse. Doch das, was sie erzählt passt zu dem, was ich von Lydia weiß. Sie erzählt uns mit leiser Stimme davon, wie Viggo ihr nach dem Tod ihres Großvaters, also auch seines Großvaters, geholfen hat, zurück ins Leben zu finden. Das alles erzählt sie uns vertraulich, aber ohne eine Spur misstrauen gegenüber uns Fremden. Es ist ein blindes Vertrauen, das ich nicht mehr habe (falls ich es jemals hatte) und um das ich sie ohne Zweifel beneide. Das, was sie aber sagt, als Fischbein sie nach diesem „Urvertrauen" fragt, das beeindruckt mich wirklich. Es erinnert mich sogar ein wenig an Lydia: „Drachen haben einen guten Instinkt, wenn sie euch so vertrauen, wie sie es tun, dann kann auch ich euch ohne Sorgen vertrauen."

Fünf Jahre - und alles danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt