8. Kapitel: Noch mehr Drachen

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Lydia

Ich schließe die Augen, verlasse mich ganz auf meine anderen Sinne. Man kann einen Wechselflügler zwar meistens nicht sehen. Doch man kann sie hören und fühlen, manchmal auch riechen. In einer Ecke raschelt es, ich gehe darauf zu. Jetzt profitiere ich davon, dass der Raum vollkommen leer ist. Der Wechselflügler gibt ein leises Zischen von sich. Ich beginne leise zu summen, mich ganz auf die Melodie zu konzentrieren. Mein Körper entspannt sich, die Realität rückt in die Ferne. Langsam strecke ich meine Hand nach vorne. Ich kann bereits die Körperwärme des Drachen spüren. In dieser Position verweile ich, die Augen geschlossen, die Hand ausgestreckt. Der Drache zögert, dann legt er seinen Kopf in meine Hand. Dieses berauschende Gefühl von Wärme und Verbundenheit durchdringt mich. An dieses Gefühl werde ich mich nie gewöhnen. Ein plötzlicher Schmerz durchzuckt mich, ich normalerweise teile ich dieses Gefühl mit Lyra. So lange wie jetzt waren wir noch nie getrennt. Doch daran darf ich jetzt nicht denken. Die Wärme des Drachen umgibt mich, lässt mich den Moment genießen. Erst als eine versteckte Tür aufgeht, lösen wir uns aus dieser Stellung. Der Wechselflügler stellt sich schützend vor mich, als ein Mann den Raum betritt. Er muss ungefähr in Viggos Alter sein, ein, zwei Jahre älter als ich. Außerdem hat er eine für diese Lage ungewöhnlich dunkle Hautfarbe. Er muss aus dem Süden kommen. Seine Hände applaudieren mir, ich weis nicht ob es Spott oder Anerkennung ist. „Eine bemerkenswerte Leistung." Sagt er, in seiner Stimme liegt beides. Der Drache knurrt, ich lege ihm eine Hand auf den Hals. Noch sollen sie meine wahre Stärke nicht kennenlernen. „Ich selbst habe es nicht geschafft diesen Drachen zu bändigen. Damit ist die Entscheidung wohl gefallen, du wirst Drachenbändigen." Er tippt mir auf die Brust und lacht. Dann wendet er sich dem Wechselflügler zu. Dieser Windet sich unter seinem Blick und ich verstehe. Es ist Zeit für eine Show! Ich nehme die Hand vom Hals des Wechselflüglers, vielleicht kann ich ein doppeltes Spiel spielen. Dieser Typ wird sein blaues Wunder erleben.

Hicks

„Wie wäre es mit einem Holzklau, oder einem Taifumerang?" Fischbein beugt sich über das Buch der Drachen, während er nach einem passenden Drachen für meinen Vater sucht. Doch keiner scheint der Richtige zu sein. „Ein Holzklau wird nicht genug kraft haben und ein Taifumerang ist zu groß." Wirft Astrid ein. „Was heißt hier nicht genug Kraft!" Ruft mein Vater aus und stemmt die Hände in die Hüfte. Ich muss mich echt zusammenreißen um nicht loszulachen. Anders als die Zwillinge, diese Kugeln sich förmlich auf dem Boden. Einen Moment bin ich neidisch auf sie, sie müssen sich nicht zusammenreißen. Niemand wird dafür sauer auf sie sein. Manchmal glaube ich, dass sie ihre Verrücktheit nur vorspielen um dadurch eine gewisse Freiheit zu haben. Eine Freiheit, die uns anderen nicht vergönnt ist. „Das soll heißen, dass beide Drachen auch vom Typ her nicht passen." Murmle ich. Bei den anderen Drachen und ihren Reitern ist es eindeutig, ihre Charaktere ergänzen sich perfekt. „Wie wäre es mit einem..." „Vielleicht sollten wir die Sache einmal anders angehen." Unterbreche ich Fischbein, bevor dieser weitere Drachen aufzählen kann. Alle im Raum schauen mich überrascht an. „Der Drache sollte ja auch so gut zu seinem Reiter passen, also sollten wir vielleicht überlegen welche Charaktereigenschaften gut zu Vaters passen und dann einen Drachen suchen, auf den diese Zutreffen." Erkläre ich ihnen meinen Plan. Außerdem können wir schneller mit unserer Suche fortfahren, wenn wir das schnell hinter uns bringen. „Also," wende ich mich an meinen Vater: „Wieso schreibst du keine Liste?" Der Angesprochene scheint erst einmal zu überrascht zum Sprechen zu sein. Dann nickt er: „Das werde ich wohl mal tuen." Einen Moment später ist er aus dem Raum verschwunden und irgendwie ist die Atmosphäre sofort entspannter. Ich weis auch nicht, aber diesen Effekt hat mein Vater einfach auf jede beliebige Stimmung. Die Anderen verlassen langsam die Arena, in der seit längerer Zeit die Aufzeichnungen über Drachen aufbewahrt werden. Rotzbacke ist als erstes verschwunden, wahrscheinlich zu seinem Schönheitsschlaf. Die Zwillinge folgen ihm und reden dabei irgendwas von Trends, sie wollen wohl eine Umfrage darüber machen. Auch ich verlasse die Arena und mache mich auf den Weg zur Schmiede um mich auch dort mal wieder blicken zu lassen. Ungefähr auf der Hälfte des Weges höre ich Schritte hinter mir und aus irgendeinem Grund frage ich mich im selben Moment, wieso Ohnezahn und ich nicht geflogen sind. Dieser gedankliche Umweg führt dazu, dass mein Verfolger bei mir ankommt, bevor ich die Situation ganz erfasst habe. Ich sollte wirklich an meiner Auffassungsgabe arbeiten.

Astrid

„Ähm Hicks?" Frage ich. Schon seit der Arena folge ich ihm, doch er scheint es nicht einmal zu bemerken. Ziemlich verwirrt bleibt er vor mir stehen und dreht sich dann langsam um. Um uns herum bleiben die ersten Wikinger stehen und verfolgen das geschehen angespannt. Seit der Schlacht bei Berk haben wir Drachenreiter, vor allem Hicks, es zu einiger Berühmtheit gebracht, auf die ich gut verzichten könnte. „Was ist los?" Fragt Hicks in dem Moment, ich kann seiner Stimme entnehmen, das er versucht nicht allzu genervt zu klingen. Ein falsches Wort und wir beide landen  in der Gerüchteküche, mal wieder. „Du hast was vergessen." Ich reiche ihm einen Zettel. Es ist eine der Drachenskizzen aus der Arena. Aber auf die Rückseite habe ich noch eine eigene Nachricht geschrieben. Patrolie in zwei Stunden bei der Arena. Er nickt mir zu, dann ist er auch schon verschwunden und die Wikinger um mich herum gehen weiter ihres Weges.

Es sind noch nicht ganz zwei Stunden um, als Hicks gefolgt von Ohnezahn, die Arena betritt. Ich stehe in der Mitte und werfe meine Axt auf einige Ziele, die ich an der Wand aufgestellt habe. Sturmpfeil gibt dabei immer wieder glucksende Geräusche von sich, als wolle sie sagen, dass sie es besser könnte. Ich drehe mich zu ihm um und lächle ihn an. Dann gehe ich zu dem Ziel und ziehe meine Axt heraus. „Können wir los?" Frage ich und steige auf Sturmpfeils Rücken.

Lorelei

Die Halle, in der das Keule und Klaue Turnier stattfindet ist gut besucht. Tim, Tom und ich sind nur eines von zwanzig Teams, die um Ruhm und Ehre wetteifern. Oder darum nicht zu sterben. Unsere ersten Gegner kenne ich nicht, aber ich weiß, dass sie aus der Handelsabteilung kommen. Es sind drei große breitschultrige Männer mit einem sehr anzüglichen Lächeln. Generell sind wenig Frauen dabei, was in diesem Laden zum Konzept gehört. Es gibt nur wenige Jägerinnen, die meisten Frauen hier im Hauptquartier sind entweder die Frau von..., die Tochter von... oder eine der Bediensteten im untersten Sektor, so wie ich.

Die Händler sind trotz des nach wie vor anzüglichen Lächelns gar nicht schlecht im Spiel. Es heißt ihr Chef, Viggo Grimborn, lasse sie das Spiel immer wieder spielen um ihr Strategiegeschick zu fördern. Manchmal wünschte ich, er wäre auch mein Chef, denn der fördert höchstens die Dummheit und Geburtenrate hier im Quartier. Tim flucht leise und lenkt meinen Blick so wieder auf das Spielfeld. Einige der Figuren unserer Gegner stehen viel zu nahe bei unserem Chef. Doch gleichzeitig gibt es auch eine Chance für einen Gegenangriff, der schneller als der von unseren Gegnern wäre. Ohne mich mit meinen Mitspielern abzusprechen verschiebe ich eine Figur und lächle unsere Gegner freundlich an. Tim und Tom protestieren nur halbherzig, woran ich erkenne, dass sie die Möglichkeit ebenfalls erkannt haben. Die Händler lächeln siegessicher, eine ihrer Figuren steht jetzt genau vor unserem Chef. Im nächsten Zug könnten sie ihn schlagen, doch Tim bewegt die Figur, die ich vorher in Position geschoben habe, einmal fast ganz über das Spielfeld und schlägt damit den Chef. Wir haben gewonnen, aber die anderen schauen uns nur komisch an. Mein Blick fällt erneut auf die Figur, die den Chef geschlagen hat. Ohne es zu wollen bekomme ich eine Gänsehaut, es ist der Verräter.

Fünf Jahre - und alles danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt