11. Kapitel: Sorgen über Sorgen

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Lydia

Am nächsten Morgen werde ich später als sonst abgeholt. Das gehört sicher auch zu ihrer Strategie. Seit es hell ist und die ersten Sonnenstrahlen durch mein vergittertes Fenster gefallen sind bin ich auf den Beinen und laufe in der kleinen Kammer auf und ab. Immer wieder frage ich mich wie es weiter gehen soll. Bis jetzt hatte ich mein Schicksal immer selbst in der Hand. Es ist ein ungewohntes Gefühl, keine Kontrolle mehr zu haben.

Irgendwann geht die Tür doch auf und eine neue Wache kommt ins Zimmer. Sie packt mich zur Abwechslung am Arm, zum Glück an dem, der nicht verletzt ist, und führt mich aus der Zelle. Irgendwie kommt er mir freundlicher als die meisten hier vor. Ich schaue im ins Gesicht und erkenne trotz der Maske, die alle Wachen hier tragen, das sie noch relativ jung ist. Vielleicht ein zwei Jahre älter als ich. Unwillkürlich frage ich mich, wie sie wohl hier her gekommen ist. Diese Festung ist voller Geschichten. An der Oberfläche sieht man es nicht, doch auch diese Festung ist gefüllt von Hoffnungen, Wünschen, Ängsten und auch Verrat. Konflikte brodeln unter der Oberfläche und ich weiß nicht, wie lange dieser „unfehlbare" Chef sie noch unterdrücken kann. Auch das muss man mit einbeziehen, die einfachste Möglichkeit einen Anführer zu stürzen ist, ihm das Fundament zu entziehen. Ein Anführer, der niemanden hat, den er führen kann, ist kein Anführer mehr. Einem guten Anführer kann sowas fast nicht passieren. Doch ein Anführer, der Wunsche, Ideen, Ideale unterdrückt, dem kann es passieren, das diese sich selbstständig machen. Lange wird es nicht mehr dauern, die Frage ist nur, wer diese Schlacht verlieren wird. Immer weiter laufen wir durch diese riesige Festung. Noch immer habe ich sie nicht ganz gesehen, aber dieser Gang kommt mir bekannt vor. Schon einmal war ich auf dem selben Weg. Vor der dritten Tür auf der rechten Seite bleibt die Wache stehen. Sie gibt ein Klopfzeichen. Dreimal kurz, dann fünfmal kurz, dann zweimal kurz, nochmals zweimal kurz und dreimal lang. Die Tür wird geöffnet, ich stehe in einem schön eingerichteten Raum. Irgendwie kommt er mir bekannt vor.

Hicks

Ein schrecklicher Schrecken schleppt sich durch die Wolken zu uns und klatscht mir ins Gesicht. Ein schadenfrohes Lachen ertönt und ich werfe Rotzbacke einen wütenden Blick zu. Zumindest wäre er wütend, wenn der Schrecken nicht immer noch auf meinem Gesicht säße. Zum Glück gibt es hier gute Winde, sonst wären wir schon abgestürzt. Ohnezahn schnaubt empört und schlägt mit den Flügeln. Irgendwie schaffe ich es tatsächlich den Drachen aus meinem Gesicht zu entfernen, meine Sicht klärt sich und mir wird klar, das wir direkt auf ein Unwetter zufliegen.

OK, ruhe bewahren. Sonst passiert...
„Äh Hicks, wir steuern genau auf ein Unwetter zu." Fischbein spielt nervös mit seinen Fingern, wie er es immer tut. Das sehe ich, als ich meinen Kopf nach hinten drehe. Gleichzeitig fliegt ein Drache aus der Formation und Rotzbacke schreit auf. Er und Hackenzahn verlieren rapide an Höhe. Ich gebe Ohnezahn das Zeichen sie aufzufangen. Kurz vor der Wasseroberfläche gelingt uns das und wir segeln über das Meer hinweg, das sich stürmisch aufbäumt. Rotzbacke murmelt etwas wie: „Ich hasse Unwetter." Aber vielleicht hieß es auch: „Meine schöne Frisur." Die Zwillinge applaudieren, als wir wieder zu den Anderen stoßen. Astrid schlägt sich die Hand vor den Kopf und ihr Drache kommt kurz vor der Wolkenwand zum Stehen. Mit den Flügeln schlagend stehen alle Drachen nun in der Luft und ihre Reiter schauen mich an. „Was für ein Schauspiel." Ruft Raffnuss aus und wirft ihre Hände in die Luft. „Ganz großes Kino." Pflichtet ihr Bruder ihr bei. „Oskar verdächtig." Schlägt sie nun wieder vor. „In mehreren Kategorien." Taffnuss steht nun auf seinem Drachen und schaut ehrfürchtig zum Himmel. „Ein Spektakel, wie es sich nur einmal im Leben bietet." „Äh, wovon genau redet ihr?" Rotzbacke, der immer noch nass ist hat die Arme verschränkt. „Na von dem Schauspiel." Erklärt der männliche Zwilling. „Drache fliegt Junge ins Gesicht. Junge fliegt fast in Unwetter. Anderer Drache verliert die Kontrolle. Anderer Junge stürzt ab. Anderer Junge wird pitschnass. Junge rettet ihn." Fasst Raffnuss zusammen. „Zwillinge sind begeistert." Fügt ihr Bruder hinzu und die beiden schlagen ihre Köpfe zusammen.

Astrid

„Können wir bitte unser weiteres Vorgehen besprechen?" Manchmal sind diese Zwillinge nicht auszuhalten. Manchmal oft, manchmal sehr oft. „Ganz deiner Meinung Astrid, mein Fleischklöpschen mag keine Gewitter." Pflichtet Fischbein mir bei, wie Taff Raff beigepflichtet hat. Ich werde meinen Kopf jetzt aber sicher nicht gegen seinen schlagen. Genervt schaue ich zu Hicks, der allerdings nach unten schaut und die letzten Sätze gar nicht mitbekommen hat. „Da unten scheint etwas zu sein." Murmelt er und gibt Ohnezahn ein Signal, der daraufhin an Höhe verliert. Es ist unglaublich mit anzusehen, wie gut sich die beiden schon nach so kurzer Zeit verstehen. Ich schaue zurück zu den restlichen Drachenreitern, die nur mit den Schultern zucken und dann ebenfalls in den Sinkflug übergehen. Ich folge ihnen und sobald wir die Wolkendecke durchbrochen haben sehe ich es auch. Vor uns im Meer liegt eine Insel. Ein riesiger Berg bildet ihre Mitte, er hat in der Mitte einen Krater und ist bis zur Spitze bewachsen. Trotzdem sieht er aus wie ein Vulkan. „Ein erloschener Caldera Vulkan." Murmelt Fischbein. „Das sind Vulkane, die tiefe Krater in der Mitte haben." Erklärt Taffnuss uns. Woher er das weiß weiß ich nicht. Doch niemand erhebt Einspruch. Es stimmt. Wir sind jetzt näher an die Insel herangeflogen. Von nahem sieht sie noch schöner und friedlicher aus, vor allem im Gegensatz zu den dunklen Wolken am Himmel. In der Ferne donnert es schon und der Wind frischt auch stark auf. Wir versammeln uns mit unseren Drachen erneut um Hicks, aber der schaut nur nach unten. „Ich hoffe wir finden hier Unterschlupf." Erklärt er, dann steuern Ohnezahn und er auf die Mitte des Caldera Kraters zu. Von dort steigt Rauch auf. Keine Aschewolke oder so, einfach nur Rauch. In dem Krater befindet sich ein richtiger grüner Dschungel, der uns mit tausend fremden Geräuschen empfängt und in der Mitte von allem steht ein kleines Dorf, aus dem der Rauch aufsteigt.

Fünf Jahre - und alles danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt