15. Kapitel: Eine Flugstunde

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Lorelei

Als ich das nächste Mal die Augen aufschlage sitzt Tarik an meinem Bett und hält meine Hand. Hinter ihm tollt Maya lautstark im Zimmer herum und bringt die andern Patienten zur Weisglut. Aber richtig böse sein kann ihr niemand und so freue auch ich mich einfach nur, dass die Beiden da sind. „Was macht ihr hier?" Frage ich mit leiser Stimme. Mein Hals ist schon wieder trocken, aber ansonsten geht es mir schon wieder ziemlich gut. „Naja, wenn du schon so oft auf Maja aufpasst ist das doch das mindeste." Tarik sieht müde aus. Also noch müder als sonst, die Arbeit hier scheint ihn ziemlich auf trab zu halten. Wie uns alle eigentlich. Aber in letzter Zeit wurde es immer schlimmer. Alle hier sind inzwischen am Limit und an manchen Tagen frage ich mich, wie lange das alles noch gutgehen kann. Wie lange wird es noch dauern, bis hier alles endgültig den Bach hinunter geht? Bis auch diese Welt wie eine Seifenblase zerplatzt? Tarik runzelt die Stirn, ich muss wohl etwas zu besorgt ausgesehen haben. Zum Ausgleich dafür lache ich erneut schwach: Was gibt es neues?" Irgendwo  fällt etwas scheppernd zu Boden und eine Frauenstimme beginnt lautstark zu schimpfen. Vielleicht gehört sie Theodora, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass sie so laut sprechen kann. „Es gibt bereits Gerüchte über dich. Manche sagen, du seist vergiftet worden. Andere halten dein fehlen für einen Arbeitsunfall. Es ist doch nichts schlimmes passiert?" Irgendwie ist mein Freund (mit Betonung auf ein Freund) süß, wenn er sich sorgen macht. Es ist auch eigentlich schon was passiert. Aber das will ich ihm nicht sagen. „Nein, ich habe mir nur irgendsoeinen Virus eingefangen. Sie sollten die Lebensmittel überprüfen." Lüge ich also und die Stimmung entspannt sich wieder. Ein weiteres Gefäß geht zu Bruch und die Frau schimpft noch lauter. Tarik seufzt: „Ich denke ich schaue mal nach Maya, nicht das sie den ganzen Betrieb aufhält." Er steht auf und verlässt winkend das Zimmer. „Tschüss." Rufe ich ihm hinterher, so gut das eben geht und füge dann ein: „bis hoffentlich bald." Hinzu.

Astrid

„Magnus!" Ruft Iris, während die Zwillinge immer noch lachen. „Wie oft habe Ich Dir gesagt, dass du auf deinen Drachen aufpassen sollst. Wir haben Gäste." Sie verschränkt die Arme und sieht wirklich sehr wütend aus. Magnus zieht den Kopf ein. „Entschuldigung Iris, er ist irgendwie aus dem Unterricht abgehauen. Ich weiß nicht wie er das geschafft hat." Bei dem Wort Unterricht horcht Hicks natürlich auf. „Ihr habt hier Unterricht im Drachenreiten?" Fragt er mit großen Augen. „Ja, so in etwa, ihr etwa nicht?" Fragt Magnus emotionslos zurück. Das Iris ihn immer noch wütend anstarrt und Rotzbacke und die Zwillinge im Hintergrund schon wieder streiten, scheinen ihm nichts auszumachen. „Nein, bei uns ist diese ganze Drachen-sind-nicht-gefährlich Sache noch sehr neu." Nun ist auch Iris interessiert und hört auf Magnus mit bösen Blicken zu bombardieren. „Ihr hattet keinen Frieden mit den Drachen?" Fragt sie überrascht und unser Anführer kratzt sich verlegen am Hinterkopf. „Nein," bevor Hicks etwas sagen kann hat sich Rotzbacke eingemischt und dafür sogar seinen sinnlosen Streit über Ehre mit den Zwillingen unterbrochen. „Definitiv nicht." Überrascht schauen Iris und Magnus nun zu Hicks, als würden sie erwarten, dass dieser nun sagt, dass es ein Scherz war. Doch das kann er nicht. „Genau genommen, haben wir uns bis vor vier Monaten noch gegenseitig umgebracht." Erklärt er dann. „Inzwischen läuft das Projekt Frieden aber sehr gut. Der einzige tote Wikinger in diesem Quartal ist vom Dach gefallen und der Schreckliche Schrecken ist ertrunken." Fügt Fischbein schnell hinzu, wobei seine Stimme am Ende etwas nach oben geht. Iris schüttelt überrascht den Kopf. „Das sowas möglich ist..." Murmelt sie. „Ist es, die Drachen wurden bis vor Kurzem gezwungen uns anzugreifen, wir haben uns verteidigt und nach und nach entstand dann dieser unbändige Hass." Bestätige nun auch ich die Geschichte. „Der jetzt aber der Vergangenheit angehört." Fügt Raffnuss neunmalklug hinzu. „Oder?" Taffnuss kratzt sich am Kopf und bevor es zur üblichen Hand gegen Stirn und Schafsköpfe Phase kommen kann fragt Hicks, ob wir eine Unterrichtsstunde sehen können. Iris willigt sofort ein, alle sind froh das Thema wechseln zu können.

Hicks

„Wie ich sehe haben wir heute ein paar Gäste." Bemerkt der Lehrer, ein stämmiger Mann mittleren Alters mit einem Donnertrommler als Drache, am Anfang der Stunde. Neben uns Drachenreitern stehen noch fünf weitere Schüler mit ihren Drachen am Treffpunkt. Zwei davon sind Iris und ihr Dramillion, zwei andere Magnus und der Wechselflügler. Ansonsten stehen noch zwei jüngere Mädchen mit einem Nadder und einem seltsamen Drachen mit vier Flügeln und ein Mann mit einem Flammenrülpser auf dem Felsvorsprung. Sie alle lauschen gebannt den Anweisungen des Lehrers.
Dann geht es in die Luft und wir fliegen verschiedene Formationen, die uns helfen unsere und die Stärken unserer Drachen besser einzuschätzen. Die Zwillinge nehmen einmal eine Kurve zu schnell und werden mitsamt Zipper einmal schräg über den Himmel geschleudert. Hackenzahn entflammt sich einmal mehr oder weniger absichtlich und beschert Rotzbacke eine warmes Unterteil. Ich und Ohnezahn schaffen es einmal nicht rechtzeitig aus dem Sturzflug und werden klatschnass und Astrid stürzt beim Klettern mit Sturmpfeil fast ab. Auch die anderen haben ihre Probleme. Der Wechselflügler hört zum Beispiel fast nie auf Magnus und der Drache mit den vier Flügeln hat Probleme mit der Höhe. Trotzdem ist es ein unglaubliches Gefühl so durch die Luft zu gleiten. Mir wird bewusst, dass ich dieses Gefühl irgendwann auch einmal anderen Vermitteln will. Das ich mir sowas auch für Berk wünsche. Von dieser Kultur und ihrem Leben mit den Drachen können wir noch so viel lernen. Astrid fängt meinen Blick auf und Lächelt. Vielleicht hat sie meine Gedanken erraten, sicher machen ihr die Übungen auch so viel spaß. Sie breitet ihre Arme aus und lacht ausgelassen. Wir anderen Drachenreiter und selbst die Fremden stimmen mit ein und in diesem Moment fällt mein Entschluss endgültig. Ich werde wenn wir wieder daheim auf Berk sind ebenfalls eine Drachenakademie aufbauen. Aber erst einmal müssen wir Lydia finden. Wir sind denke ich nah dran.

Lydia

„Und du bist dir sicher, dass das funktioniert?" Fragt General Krogan fast besorgt, wahrscheinlich um seinen Job. „Nein, aber fast." Antworte ich und beginne mein eben erklärtes Vorhaben in die Tat umzusetzen, indem ich einfach so auf den Rücken des erhabenen Tieres steige. Erst Schüttelt der Drache sich etwas und ich muss die Arme um seinen langen Hals legen um nicht hinunter zu fallen. Dann hat er sich aber wieder beruhigt und breitet die Flügel aus. Mit mir auf seinem Rücken hebt er ab und dreht eine Runde knapp unter der Decke. Lachend löse ich meine Arme vom Hals des Drachens und richte mich auf. Ich strecke meine Hand aus und berühre den kalten Stein der Decke. Fliegen ist einfach immer noch ein wunderbares Gefühl. Unter mir in der Mitte der Arena steht der General und schaut mich staunend an. Sein Mund steht doch tatsächlich ein wenig offen. Wer kann es ihm verdenken, schließlich wäre er kaum in der Lage, einen Drachen dazu zu bringen, ihn auf seinem Rücken zu akzeptieren. Ich breite nun beide Arme aus und vergesse für einen Moment sogar, wo ich bin. Für einen Moment ist der Drache Lyra und die Arena der freie Himmel über dem Meer. Für einen Moment ist alles wie früher, als noch fast alles in Ordnung war. Doch es ist nicht mehr wie früher und es wird auch nie wieder so sein wie damals. Ich befinde mich noch immer nicht freiwillig hier und würde ihnen lieber nicht zu viel zeigen.
Schnell verschließe ich meine Miene wieder und gebe dem Wechselflügler das Signal neben dem General zu landen. Ihm steht der Mund immer noch offen, als ich längst wieder festen Boden unter den Füßen habe. „Kann ich jetzt gehen?" Frage ich ihn so freundlich wie möglich und sehe zu, wie sich sein Gesichtsausdruck wieder normalisiert. „Wie hasts du das gemacht?" Fragt er immer noch verblüfft zurück. Ich zucke mit den Schultern. „Intuition," sage ich, dann verlasse ich die Arena und werde nicht aufgehalten. Zumindest etwas Respekt habe ich mir soeben verdient.

Fünf Jahre - und alles danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt