12. Kapitel: Vergebung

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Lydia

„Eine schöne Kopie nicht?" Mein Kopf dreht sich abrupt zur Seite. Ich erkenne Viggo, der in einem Sessel vor einem großen Tisch sitzt. Er deutet auf den Platz gegenüber von ihm, die Wache ist verschwunden. „Ja, sehr detailgetreu." Murmle ich. Der Raum ist eine Kopie von Theos Studierzimmer auf Matra, der Ort an dem wir uns das erste mal...

„Was bezweckst du damit Viggo?" Meine Stimme klingt vorwurfsvoll. Er seufzt, es klingt resigniert und traurig, dann deutet er abermals auf den Sessel gegenüber von ihm. Ich setze mich aus purem Selbstnutzen und weil ich meinen Stolz gerade nicht gebrauchen kann. Der Sessel ist bequem, ganz anders als die Sessel auf Matra, die waren ein Ausbund der Unbequemlichkeit. „Ich habe dich hergebeten weil ich mit dir reden wollte." Ein sarkastisches Lachen dringt aus meiner Kehle. „Ist das nicht etwas spät?" Wenn wir früher geredet hätten wäre das alles vielleicht nie passiert, aber jetzt stehen wir auf zwei verschiedenen Seiten im vielleicht größten Krieg unserer Zeit. Viggo blickt auf den Tisch vor sich, es kommt mir vor wie ein Déjà-vu, das alles haben wir schon einmal erlebt. "Wahrscheinlich ist es zu spät, aber besser spät als nie." Erklärt er: "Du spielst in diesem Spiel eine wichtigere Rolle, als du glaubst." "Und das fällt dir jetzt plötzlich ein, nach all dem hin und her?" Jetzt hebt er seinen Blick und schaut mich an. Ich kann ihm nicht in die Augen schauen, weiche seinem Blick aus, tue so, als würde mich das Bild an der hinteren Wand brennend interessieren. "Nein, das ist mir schon eine Weile bewusst." "Aber sagen konntest du mir nichts, oder?" Meine Stimme zittert, trotz dem ganzen Sarkasmus in ihr. "Wann hätte ich dir denn irgendwas sagen sollen? Du bist mir seit unserer Trennung aus dem Weg gegangen!" Da wären wir wieder bei den altbekannten Rollen. Uns Vorwürfe machen können wir inzwischen richtig gut. "Weil du dich seit dem in irgendein herzloses Wesen verwandelt hast!" "Und meinst du das war schön für mich?" OK, halt! Was passiert hier gerade? Leider kann ich die Zeit nicht anhalten, Viggo redet einfach weiter: "Ich habe das alles aufgebaut. Es war eine Maske, weil ich eine Maske benötigte, die du nicht durchschauen kannst und die für gewisse Geschäftspartner zufriedenstellend war." Das erste Mal schaue ich ihm wieder ins Gesicht, ich kann keine Anzeichen für eine Lüge finden. Er beugt sich über den Tisch und greift nach meiner Hand. "Bitte Lydia, verzeih mir!" Mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren, kann das Geschehene nicht verarbeiten. Ich habe mit viel gerechnet, aber nicht damit. Ich entziehe ihm meine Hand. "Ein Drache kann nicht einfach seine Haut abstreifen." Sage ich und starre wieder auf das Bild an der Wand.

Lorelei

Ich schlage die Augen auf und bemerke als erstes, das ich mich nicht in meinem Zimmer befinde. Das unter mir ist viel, aber nicht die harte Matratze, die in jeder Dienstbotenunterkunft liegt. Langsam kommen die Erinnerungen an die letzte Nacht zurück und ich beginne unkontrolliert zu zittern. Was ist wenn...
In dem Moment geht eine Tür links von mir auf und eine Frau kommt herein. Sie ist ein paar Jahre älter als ich und ich habe sie noch nie gesehen. Eigentlich verwunderlich, da mir fast jede Person, der ich hier begegne bekannt vor kommt. Die Frau hat einen Wasserkrug in der Hand und lächelt. "Du bist wach." Sagt sie und ihre dunkelbraunen Augen strahlen. Ich will etwas sagen, bekomme aber keinen Ton heraus. Meine Kehle ist viel zu trocken um zu sprechen und mein Magen knurrt. Alles in allem bin ich nicht in der besten Verfassung meiner Selbst. Während ich versucht habe meine Stimme zu erheben ist die Frau zu mir ans Bett gekommen und hat den Krug auf einem Beistelltisch abgestellt. Ihre dürren blassen Hände zittern ein wenig, was sie jedoch ignoriert. "Ich bin Theodora, deine Heilerin." Sagt sie und beginnt meinen Bauch abzutasten. Eine Heilerin, ich muss mich also auf der Krankenstation befinden. Sofort entspanne ich ein wenig. Die Krankenstation ist einer der Bereiche der Festung, die ich bisher immer gemieden habe. Ernsthaft krank war ich in meinem Leben noch nie, wieso also jetzt? Theodora ist mit meinem Bauch fertig, sie scheint mit dem, was sie gefühlt hat zufrieden zu sein. Jedenfalls lächelt sie wieder und schenkt mir ein Glas Wasser ein. Gierig stürze ich das kühle Nass meine Kehle hinunter. Es tut gut und kurz darauf kann ich auch wieder sprechen. "Was habe ich?" Frage ich und über das Gesicht der Frau zieht ein Schatten. Eigentlich ist es ja nicht ratsam seine Emotionen hier so zur Schau zustellen. Andererseits ist sie Heilerin, für die gelten noch einmal andere Gesetze. "Als dich der Herr Grimborn hergebracht hat hattest du starke Bauchkrämpfe und hohes Fieber. Du hast dich gewunden, geschwitzt und wirres Zeug von einem Versprechen geredet. Ich habe dann ein paar Tests gemacht und einen Rückstand an Pantenol (fiktiv) gefunden. Du wurdest vergiftet!"

Hicks

Je näher wir an das Dorf kommen, desto mehr Details erkennen wir. Es sind nicht sehr viele Hütten, einige aus bemoostem Stein, wenige aus Holz. In der Mitte steht ein Brunnen. Er ist für irgendein Fest geschmückt. Einige Menschen stehen um ihn herum. Sie haben den Kopf zum Himmel gehoben und schauen uns an. Am Rand des Dorfplatzes spielen Kinder fangen oder versuchen schreckliche Schrecken zu trainieren. Das gelingt ihnen aber eher schlecht als recht. Alles hier sieht so friedlich aus, wie aus der Zeit gefallen. Es tut mir richtig leid die Idylle zu durchbrechen, aber wir können nicht in der Luft bleiben. Ich gebe Ohnezahn das Zeichen auf dem Dorfplatz zu landen. Die Anderen folgen mir, froh nicht mehr in der Luft bleiben zu müssen. Als Ohnezahn landet mache ich auf alles mögliche gefasst, selbst auf fliegende Betäubungspfeile, doch nichts passiert. Alle schauen uns an. Die Kinder lassen sogar ihre schrecklichen Schrecken los. Keiner der Blicke der Dorfbewohner ist feindlich, keiner ist freundlich. Sie sehen uns einfach nur überrascht an. Und ein wenig traurig.

Irgendwann löst sich einer der Wikinger aus der Gruppe und geht auf uns zu. "Willkommen," ruft er, "Willkommen auf der Insel Leto."

Astrid

Ich steige als erstes von Sturmpfeils Rücken, die restlichen Drachenreiter folgen meinem Beispiel. Nur Hicks bleibt auf Ohnezahns Rücken sitzen und seht so aus, als würde er am liebsten wieder wegfliegen. Er bewegt seine Lippen, redet aber so leise, das ihn niemand verstehen kann. Dann reißt er sich zusammen, steigt ebenfalls ab und stellt sich neben mich. Bei keiner dieser Taten lässt er den Mann aus den Augen, als erwarte er einen plötzlichen Angriff. Ich hätte vermutet, das der Mann das als Beleidigung empfinden würde, doch das ist nicht der Fall. Er lächelt nur müde. "Wie ich sehe habt ihr bereits Bekanntschaft mit unseren Verwandten gemacht." Sagt er und mir fällt es wie schuppen von den Augen, der Mann sieht aus wie Viggo Grimborn. Der Typ, der für dieses ganze Schlamassel verantwortlich ist. Zumindest mehr oder weniger. „Das haben wir allerdings!" Kommt es von weiter hinten. Alle Köpfe fahren herum und starren Taffnuss an, der mit einem Stock (wo er den her hat wissen die Götter) herumspielt. „Was?" Fragt er als er unsere wütenden Blicke bemerkt. „Sind ihre Verwandten nicht die Personen die wir seit Monaten hassen?" Irgendwer schlägt sich die Hand vor die Stirn, es könnte Rotzbacke sein, aber auch ich selbst. Hicks ist derjenige, der ihm in einem einigermaßen neutralen Ton antworten kann: „Selbst wenn das so ist bindet man das den Leuten nicht einfach so auf die Nase und außerdem hassen wir auch niemanden." Alle Köpfe drehen sich zu ihm. „Tuen wir nicht?" Fragt Raffnuss dieses Mal. Bevor jemand anderes etwas dazu sagen kann. „Nein, Hass ist nicht sehr gesund." OK, das ist neu. Wir haben nie darüber geredet, ob wir Viggo hassen oder nicht. Aber ich bin immer davon ausgegangen, das niemand aus unserer Gruppe ihm freundlich gesinnt ist. Nach allem, was er uns in der letzten Zeit angetan hat. Plötzlich ertönt ein neues Geräusch von vorne. Ich drehe den Kopf wieder gerade und erkenne, das das neue Geräusch (ein klacken) von dem fremden Mann kommt. Er klatscht und ein paar andere Leute fallen mit ein. Was für ein seltsames Volk.

Fünf Jahre - und alles danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt