29. Kapitel: Entscheidungen fürs Leben

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Lorelei

Soraya schickt einen Säurestoß auf den Weg. Er verätzt den Pfeil innerhalb von Millisekunden. Jetzt liegt die Aufmerksamkeit des selbsternannten Drachenkönigs auf mir. Er verliert für ungefähr die Zeit die Fassung, die die Säure braucht um den Pfeil zu verätzen. Dann ist seine undurchdringliche Miene wieder da. „Auch du solltest schon längst tot sein Lorelei Nightshade." Ruft er mir dabei zu und Tariks Gesicht wird auf einmal aschfahl. Ein weiterer geziehlter Schuss von Soraya verätzt den Bogen des Schützen und bannt somit die Gefahr, die von ihm ausgeht. Er schaut einen Moment verblüfft und verschwindet dann im inneren des Schiffs. Mir soll es recht sein. „Du hast verloren Drago, du tätest gut daran aufzugeben." Erklärt Viggo dann mit fester und eindringlicher Stimme. Es ist das erste Mal, dass er Drago duzt. Doch dieser denkt gar nicht daran aufzugeben. Eine neue Person tritt durch eine Luke ins Morgendlicht. Ich kenne sie vom sehen. Sie ist eine der wenigen Frauen in den Reihen der Jäger und zufällig ist sie eine ehemalige Drachenreiterin. Sie lächelt und legt einen Pfeil an ihrem Bogen an. Ich bin mir fast sicher zu wissen, was jetzt kommt. Der Pfeil kommt auf uns zu und ich hoffe immer noch, dass die Bogenschützin daneben getroffen hat. Sie ist gut, eine der besten auf ihrem Gebiet. Aus irgendeinem Grund sind sowohl Soraya als auch ich wie erstarrt. Wir Wikinger glauben an das Schicksal. Ich spüre Viggos stechenden Blick auf mir, als ich abstürze und ausgerechnet auf drachensicherem Metall lande.

Der Schmerz durchzuckt mich wie ein Blitz, als Soraya auf dem Metall aufschlägt. Im Moment des Aufschlags bricht sie zusammen und bleibt reglos liegen. Sie ist ein Wechselflügler und kein Krallenkrabbler und doch ist es für einen Moment Nyx, die vor mir liegt.
Dann werde ich mir meiner Lage erneut bewusst und springe von Sorayas Rücken. Der Schmerz zuckt durch mein linkes Bein, ich achte nicht weiter darauf. Das alles kommt mir vor wie ein einziges Deja-vu aber dieses Mal werde ich dafür sorgen, dass des anders ausgeht. Mein Blick trifft den der Bogenschützin. In ihrem Blick liegt Respekt und Hoffnung. Sie steht auf meiner Seite.

Astrid

Zusammen mit dem Drachenflieger und der Heilerin fliegen Sturmpfeil und ich über die Schiffe hinweg. Ich entdecke Rotzbacke und Hackenzahn, die gerade ein Schiff in Flammen stecken. In der Ferne höre ich das Geschrei der Zwillinge. Generell ist es ruhiger geworden. Die Schlacht scheint fast geschlagen zu sein. Aber von Hicks und Ohnezahn fehlt jede Spur und mit jeder Sekunde wird mein Herz schwerer. Ohne große Mühe schlagen wir uns zu dem fremden Drachen durch, der immer noch in regelmäßigen Abständen auf meine Heimat feuert. Nur die Zeit zwischen den Salven ist länger geworden und ich hoffe, dass die Wikinger unseren Notfallplan eingehalten haben und in Sicherheit sind.
Sturmpfeil setzt ein weiteres Segel in Brand. Als es zu Asche zerfällt habe ich das erste Mal eine klare Sicht auf den Drachen, der gerade meine Heimat auslöscht. Er ist beeindruckend groß, aber kleiner als der rote Tod. Auf seinem Rücken befindet sich ein Schiff aus drachensicherem Material. Neben ihm schwimmt ein weiteres Schiff im Wasser. Die Flagge ist bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Neben mir fliegt der Feuerschweif mit dem Flieger und der Heilerin. Sie sehen besorgt aus. Je näher wir kommen, desto mehr Details erkenne ich. Ich sehe Viggo Grimborn auf dem Holzschiff stehen. Er scheint nicht zufrieden zu sein. Auf dem Schiff auf dem Rücken des Drachen steht ein Mann, der der Beschreibung von Helena und Jona sehr nahe kommt. Neben ihm stehen ein weiterer dünnerer Mann und eine Frau mit einem Bogen in der Hand. Ein Wechselflügler liegt auf dem Deck etwas abseits. Eine weitere Frau steht vor ihm. Sie sieht selbst von hinten mitgenommen aus. Ich verstehe, dass es nicht gut für sie steht. Es steht nicht einmal gut für uns. Aber das einzige, dass ich wahrnehme ist das Geräusch eines Nachtschattens. Mir ist plötzlich alles egal, als ich mich umdrehe und direkt in Hicks ernstes Gesicht blicke.

Lydia

Wie erstarrt schaue ich zu, wie der Wechselflügler vom Himmel geholt wird. Ich bin nicht fähig zu handeln. Ich bin nicht fähig gegen meinen eigenen Vater zu kämpfen. Ich bin nicht fähig ihm in die Augen zu sehen. Ich sehe wie der Wechselflügler auf dem Schiff aufschlägt und liegen bleibt. Ich sehe, wie Viggo mich entdeckt. Lyra unter mir schnaubt. Wir sind im toten Winkel der Personen auf dem Granatenfeuer, trotzdem erwarte ich jeden Moment einen Pfeil oder sowas. Meine Vergangenheit holt mich ein. Ich sehe, wie Levis lächelt und auf mich zukommt. Ich sehe das Messer in seiner Hand aufblitzen. Ich kann mich nicht bewegen. Ich spüre das Metall auf meiner Haut. Erst im letzten Moment schaffe ich es auszuweichen. Es rettet mir das Leben. Ich schaue Levis an und sehe, das widerliche Lächeln auf seinem Gesicht und doch kann ich ihn nicht angreifen. In diesem Moment habe ich versagt und das war der Moment, in dem all das seinen Ursprung hat. Wäre dieser eine Abend anders verlaufen, wäre ich jetzt nicht hier und ich wäre nicht wieder in dieser Situation. Es gab viele Menschen, die mich stark genannt haben, doch das bin ich nicht. Ich schaue zu Viggo. Bemerke aus irgendeinem Grund, dass er kein Schwert bei sich trägt. Vielleicht kann ich das alles beenden, ohne gegen Drago kämpfen zu müssen. Ich gebe Lyra das Zeichen zu meinem Freund zu fliegen. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Lorelei ein Messer zieht. Ich nehme war, wie Hicks und Astrid sich in der Nähe des Schiffes wiederfinden. Doch das alles ist nebensächlich, wichtig ist nur mein Plan. Ich streichle über Lyras Nacken. Sie gurrt zufrieden, dann setzt sie zum Sturzflug an.

Viggo

Ich spüre die Krallen, bevor ich sie sehe. Lorelei Nightshade steht immer noch vor Elisa, Tarik und Drago. Ihr Drache ist ausgeknockt. Ich muss ihr helfen! Doch die Krallen packen mich und ziehen mich in den Himmel. Meine Füße scheinen nicht mehr zu wissen, wo sie hingehören. „Was soll das?" Frage ich und blicke nach oben. Ich erkenne den Bauch von Lydias Drachen, er hat sie also wirklich wiedergefunden. Einen Moment später erscheint auch Lydias Kopf über mir. „Hast du eine Idee, wie wir das Granatenfeuer ausschalten können?" Fragt sie und ich verstehe. Die Chancen stehen gut, dass Drago ihr Vater ist. Mein Blick wandert zu der Narbe an ihrem Hals, die sie nun offen trägt. Lydia ist nicht fähig jemanden zu töten, aber ihre Familienmitglieder kann sie noch nicht einmal angreifen. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Ich greife nach meinem Schwert und mir fällt ein, dass ich es im Laufe der Schlacht verloren habe. Auch Lydias Axt müsste noch irgendwo auf einem meiner Schiffe sein. Mir ist klar, worauf das hinauslaufen wird. „Wir müssen das Wasser aufwühlen." Sage ich. Lydia verzieht keine Miene. In meinem Kopf bildet sich ein Plan. Es ist ein riskanter Plan, aber er könnte funktionieren. „Ein Krieg fordert Opfer." Beginne ich meine Erklärung. Eine kurze Pause soll meine Aussage unterstreichen. Dich Lydia nutzt die Gelegenheit um mir ins Wort zu fallen. „Ich weiß." Sagt sie und ihre Stimme klingt klarer und irgendwie nach Abschied. Ihr Kopf verschwindet wieder. Der Fortunenflügler steht jetzt etwas von dem Granatenfeuer entfernt über dem Wasser in der Luft. Sie wird doch nicht...
„Ich liebe dich!" Lydias Stimme hat etwas endgültiges in sich. Dann lässt sie sich von ihrem Drachen fallen. Er stürzt ihr nicht hinterher und das, obwohl hier doch alle immer von der Treue dieser Drachen schwärmen. Lydia ist nicht verrückt, ich weiß, dass sie sich aller Konsequenzen dieses Sprunges bewusst war. Trotzdem, es hätte eine andere Möglichkeit gegeben. Mit etwas Zeit...
In diesem Moment wird mir endgültig klar, was ich die ganze Zeit verdrängt habe. „Ich liebe dich auch." Murmle ich und der Wind trägt meine Worte davon. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt irgendwer gehört hat. Ich weiß nur, das Lydia Mansella, eine der größten Persönlichkeiten ihrer Zeit, an diesem Morgen starb und ich nichts weiter tun konnte als zuzusehen und zu wünschen, dass die Götter ihr gnädig sein würden.

Ich bin etwas unter Zeitdruck, weshalb ich dieses Kapitel später nochmal in Ruhe Korrekturlesen werde. Heute Mittag kommt dann auch noch Hicks Part, bis dann, jolannasa

Fünf Jahre - und alles danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt