17. Kapitel: Alte Wunden

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Lorelei

Eine Woche nach der Vergiftung werde ich offiziell entlassen. Noch immer haben wir nicht herausgefunden, wer für diese Vergiftung verantwortlich war. Aber länger konnte Theodora mich nicht krankschreiben. Wir sind fast sicher, dass der Vergifter einen Komplizen auf der Krankenstation hat, falls er nicht selbst dort arbeitet. Nur so hatte er schnellen Zugriff auf das tödliche Gift. Heute kann ich den kleinen Zwischenfall nach dem Turnier fast als Glück bezeichnen. Denn wenn ich einfach in meine Unterkunft gegangen wäre, hätte mich bis zum späten morgen niemand vermisst und bis dahin wäre es zu spät gewesen. Etwas unsicher gehe ich die weiten Flure. Das erste Mal seit Jahren weiß ich nicht, wo ich hin soll. Was soll nun aus mir werden? Wie lange werde ich noch leben? Irgendwie habe ich es in den letzten Jahren geschafft mir etwas Stabilität aufzubauen. Das alles war wohl ein Kartenhaus, das nun zusammengebrochen ist.

Ich wandere noch immer ziellos durch die Korridore und wundere mich, dass mir niemand begegnet. Normalerweise ist es hier sehr viel voller. Der ideale Ort um auf andere Gedanken zu kommen. - Weil man auf andere Gedanken kommen muss. Deshalb zucke ich auch zusammen, als mir tatsächlich jemand begegnet. Eine junge Frau kommt mir entgegen. Der Blick aus ihren blauen Augen geht einfach durch mich hindurch. Sie sieht ungefähr so aus wie ich mich fühle, als wäre ihre Welt gerade ein Stück zusammengebrochen. Immer weiter kommt sie auf mich zu und läuft schließlich vorbei. Dabei stoßen unsere Schultern gegeneinander. Sie murmelt eine Entschuldigung und dreht sich nicht einmal zu mir um. Diese Entschuldigung ist es schließlich auch, die mich aus meiner Starre reißt. Die Frau kommt mir bekannt vor, irgendwie vertraut. Während ich stehen geblieben bin und verwundert in die Luft schaue, verklingen ihre Schritte auf dem Flur und ich bin wieder allein.

Seufzend setze ich mich wieder in Bewegung und frage mich gleichzeitig, wie alles hier so leer sein kann. Erst viel später fällt mir wieder ein, woher ich die Frau kenne. Das war Lydia, die Lydia von der Viggo letzte Woche anscheinend geredet hat. Ich seufze, wäre mir das nur früher eingefallen. Dann sehe ich, wohin ich gelaufen bin:
Auf direktem Weg zu den Drachenställen.

Lydia

Meine Gedanken wirbeln noch immer wild in meinem Kopf durcheinander. Wieso muss ich ausgerechnet hierhin laufen? Dann besinne ich mich darauf, dass ich nicht ewig im Flur stehen bleiben kann, schon gar nicht vor dieser Tür. Kurzerhand und eher aus einem plötzlichen Impuls heraus, als nach gründlicher Planung, drücke ich die Türklinke hinunter und trete ein. Die Tür fällt zur Abwechslung mal wieder ins Schloss und versperrt mir so den möglichen Fluchtweg. Ich bin nicht alleine, wie beim letzten Mal sitzt Viggo an dem Schreibtisch. Er blickt überrascht auf, als er mich eintreten hört. Was habe ich mir nur dabei gedacht?

Der Weg zu einem der Sessel gegenüber von Viggo beträgt fünf wackelige Schritte. Müsste ich noch einen Moment länger stehen, würde ich einfach umfallen. Der Anblick von ihm in diesem Zimmer verunsichert mich noch zusätzlich. Ich dachte, dass ich langsam genug erlebt habe, um für alles gerüstet zu sein. Ich habe mich geirrt und ich hasse es mich zu irren. „Lydia?" Fragt Viggo überraschend sanft und fängt meinen Blick fast Mühelos auf. „Ist irgendwas?" Aus einem Reflex heraus nicke ich. Bloß keine Schwäche zeigen, immer lächeln es ist immer alles gut. Dieses Mal würde nicht einmal ich mir abnehmen, dass wirklich alles in Ordnung ist. Wo ist Bitteschön mein Pokerface geblieben? Wo ist die Lydia, die ich seit Jahren bin? Vielleicht war das der Plan von diesen Leuten hier, vielleicht war dieses Gespräch nur dazu da, mich zu verunsichern. Vielleicht bin ich ihnen direkt in die Falle getappt. „Ich habe dich seit Jahren nicht mehr so verunsichert erlebt, also was ist los?" Fragt Viggo erneut und seine Stimme klingt kein bisschen überheblich. Sie klingt so, wie... wie sie früher oft geklungen hat. Ich sollte ihm nicht vertrauen, das alles ist auch seine Schuld. Trotzdem hätte er vielleicht antworten... „Weißt du irgendwas über mich, was ich nicht weiß?" Platzt es aus mir heraus. Also wirklich, noch offensichtlicher geht es fast nicht. Viggo seufzt und wendet den Blick ab. Er scheint etwas abzuwägen. „Bitte," versuche ich es erneut: „ich muss es wissen!"

Astrid

Die Schiffe liegen noch immer friedlich im Wasser, als einer der Wikinger an Bord den Nebel bemerkt. Aufgeregt deutet er darauf, grünes Gas breitet sich vor den Schiffen aus. Es sieht aus wie... Plötzlich steht das Gas in flammen. Den Wikingern an Bord bleibt der Mund offen stehen. Von meiner Position aus kann ich gut erkennen, für welches Gesicht sich die Zwillinge zum Schluss entschieden haben. Das Gesicht von Viggo Grimborn, Chef der Drachenjäger, den wir nicht hassen und auch nie hassen werden, ist mit leuchtenden Linien in den Himmel gemalt. Für einen Moment ist es totenstill alle Wikinger schauen zu dem Phänomen am Himmel auf. Genau diesen Moment nutzen wir um uns anzuschleichen. Als die Linien langsam verblassen geht ein ohrenbetäubender Lärm los. Von über all hört man Explosionen und splitterndes Holz. Bevor die Mannschaft weiß wie ihr geschieht, ist sie schon völlig wehrlos. Von allen Seiten fliegen wir nun herbei und landen auf den Schiffen. Der Angriff war kurz, präzise und fand ohne Gegenwehr statt. Die Wikinger schauen uns einfach nur überrascht an. „Sind das Drachenreiter?" Höre ich einen flüstern. „Keine die mir bekannt sind." Gibt ein Anderer zur Antwort. „Aber die vermehren sich im Moment auch wie Sand am Meer." Fügt ein dritter hinzu. Der erste will gerade erneut etwas sagen, als Hicks die Stimme erhebt: „Entschuldigt die Störung," sagt er und die Zwillinge fangen an zu lachen, während einige der Wikinger an Bord zu knurren anfangen. „Aber wir würden gerne ein paar Informationen von euch bekommen." Fährt mein Freund fort. Die Knurrhähne verschränken die Arme und einer tritt aus den Reihen des Mittleren Schiffes hervor. Er ist eindeutig derjenige, der die Verantwortung hat. Doch bevor er überhaupt irgendwas sagen kann sehe ich eine weitere Bewegung auf dem mittleren Schiff, auf dem auch Hicks steht. Von meiner Position auf einem der seitlichen Schiffe kann ich die Szene gut beobachten. Einer der Crewmitglieder tritt ebenfalls nach vorne und von Hinten auf Hicks zu. In seiner Hand blitzt etwas im Sonnenlicht auf. Ich will Hicks noch eine Warnung zurufen, da dreht sich Ohnezahn blitzschnell um. Eine weitere Explosion erschüttert das Schiff. Sie wird vom Geräusch splitternden Holzes Begleitet und von einem Schrei. Als sich der Rauch verzieht ist da wo der Attentäter bis gerade eben stand nur noch ein Loch im Boden.

Hicks

Ein ängstliches Raunen geht durch die Menge, während alle auf das Loch im Boden starren. Der Wikinger, der dort gerade noch gestanden haben muss ist verschwunden. Er muss durch das Loch in den Schiffsbauch gefallen sein. Neben dem Loch fällt etwas klirrend zu Boden. Es ist ein Messer, dass kurz in der Sonne aufblitzt, während es auf der Kante balanciert. Dann fällt auch es in das Loch und ich weiß nicht, ob ich hoffen soll, dass es den mutmaßlichen Attentäter trifft, oder, dass es ihn verfehlt. Wie in Trance beuge ich mich zu Ohnezahn hinunter und streichle ihm über den Kopf. „Danke Kumpel." Murmle ich und Ohnezahn gurrt zufrieden. Als ich mich wieder aufrichte ist keine Unsicherheit mehr in meinem Gesicht zu erkennen. Lydia wäre Stolz auf mich. Ich zucke leicht zusammen, wie komme ich so plötzlich auf diesen Namen? Der mutmaßliche Anführer dieser Gruppe räuspert sich nun ebenfalls und versucht mich mit Blicken zu durchbohren. Ohnezahn neben mir knurrt laut, einige der Anwesenden schnappen hörbar nach Luft. Der Anführer verschränkt die Arme über der Brust: „Wir haben einen Eid geschworen und wir werden diesen Eid nicht brechen!" Gibt er bekannt. Es scheint, als sei diese Gruppe ihrem Anführer treuergeben. Eine Weile starren wir uns weiter an und ich suche fieberhaft nach einem Ausweg. Es wäre wahrscheinlich einfacher aus Teilen der Besatzung etwas herauszubekommen. Aber es wäre bei dieser Einstellung und einer drohenden Strafe vom Chef auch schwierig und zeitaufwendig. Ich seufze: „Rotzbacke, Raff, Taff, ihr passt hier oben auf, dass sie keine Dummheiten machen. Versenkt die Schiffe bitte nicht. Der Rest durchsucht bitte das Schiff, auf dem er gelandet ist." Erkläre ich meinen Plan.

Fünf Jahre - und alles danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt