28. Kapitel: Der Verräter

75 8 0
                                    

Astrid

„Was haben sie mit ihr gemacht?" Schreie ich und will mich schon auf die angebliche Heilerin stürzen, doch der Feuerschweif hält mich davon ab. „Das ist eine ganz normale Reaktion auf das Gegenmittel gegen den Drachenwurz. In ein bis zwei Minuten dürfte dein Drache wieder topfit sein." Erklärt die Heilerin mir mit ruhiger Stimme. Ich weiß nicht, ob ich ihr glauben soll. Doch solange der Feuerschweif mir den Weg versperrt kann ich nichts machen und so blöd, mich auf einen der gefährlichsten Drachen überhaupt zu stürzen, bin ich dann doch nicht. Früher hätte ich mich vielleicht trotzdem gemacht, diese sinnlose Wut kann ich wirklich nicht mehr nachvollziehen. „Wer seid ihr eigentlich?" Frage ich, während ich Sturmpfeil über den Rücken streichle. Sie beruhigt sich langsam wieder, die Frau scheint die Wahrheit zu sagen. Doch wieso hilft sie mir überhaupt? Andererseits, wieso sollten sie mir nicht helfen? Ich sollte aufhören alles andauernd zu hinterfragen. Nicht alle Leute im System der Drachenallianz müssen mir unbedingt feindlich gesinnt sein. Nicht alle Leute müssen das System mittragen. Wenn ich eines in den letzten Monaten gelernt habe, dann das dieses System nicht vom Glaube sondern von der Not getragen und mit Gewalt gehalten wird. „Wir sind wie ihr, wir halten die Lehre von Drago für falsch. Ein paar von uns waren mal bei einer Widerstandsgruppe oder standen mit einer im Kontakt. Aber zum Schluss sind wir unsere eigene Gruppe. Wir sabotieren das Regime schon seit Jahren und heute sind wir hier." OK, damit habe ich nicht gerechnet. Ich weiß von dem Programm, das immer nur so genannt wurde und in dem Lydia aktiv war und ich weiß von den Kriegern des Forseti, die nun leider fast Geschichte sind. Ich habe nicht daran geglaubt, dass es noch eine Widerstandsgruppe gibt, die noch nicht geschwächt ist. Außerdem, wieso sollten sie ausgerechnet uns helfen. „Diese Schlacht ist eine der Entscheidenden im Kampf gegen Drago. Entweder er verliert heute und ist damit erledigt oder er gewinnt und es wird fast unmöglich, ihn aufzuhalten." Die Worte des Drachenfliegers machen die Last auf meinem Rücken nicht gerade einfacher. Gut, dass Hicks das nicht mit bekommt. Apropos Hicks, wo ist der eigentlich?

Hicks

„Egal was passieren wird, es war nicht deine Schuld." Lydias Worte hallen in meinem Kopf wieder, während Ohnezahn die Strecke zum Dorf zurücklegt. Es ist ganz schön schwierig, irgendwo hinzufliegen, ohne von irgendwas getroffen zu werden. Je näher wir Dorf kommen, desto schwieriger wird es. Ich fühle mich an den Tag erinnert, an dem Lydia durch die Falltür gefallen ist. Aber ist diese ganze Schlacht nicht irgendwie ein einziges Deja-vu? Egal ob es eines ist oder nicht, ich werde nicht zulassen, dass es so ausgeht wie beim letzten mal!

Ohnezahn weicht weiteren Feuerbällen aus, wie gesagt, an diesem Morgen geschehen viele Wunder. Wir schaffen es flugfähig und in einem Stück im Dorf anzukommen, in dem es drunter und drüber geht. Ein Großteil der Hütten ist inzwischen zerstört und der Rauch von den Häusern brennt mir in Nase und Augen. Sofort kommen einige Wikinger auf mich zu, die aufgeregt auf mich einzureden beginnen. Nur mit Mühe kann ich sie zum Schweigen bringen. In jeder Sekunde könnte ein Feuerball auf uns zufliegen. In jeder Sekunde könnten wir sterben. Hier im Dorf ist es nicht länger sicher und diese Gewissheit zerreißt mich fast. Das Dorf war trotz allem immer der sichere Ort meiner Kindheit. Aber ich sollte mich darauf konzentrieren die Leute zu warnen, wie es eigentlich mein Plan war. Einmal tief durchatmen und weiter geht's. „Ihr müsst Schutzsuchen, gegen die Feuerbälle könnt ihr nichts machen. Wir versuchen den Drachen auszuschalten." In dem Moment, in dem ich das sage, kommt mir mein alter Schwur wieder in den Sinn. Kurz bevor mich die Schwanzkeule des roten Todes traf habe ich mir geschworen, dass ich nie wieder einen Drachen töten werde. Ich werde eine andere Lösung finden müssen. Die Wikinger deuten meine Reaktion auf ihren Protest, also eigentlich meine fehlende Reaktion darauf, falsch. Oder genau richtig, je nach dem. Sie ziehen tatsächlich ab und versuchen unseren Evakuierungsplan umzusetzen. Wir sind schließlich auf fast alles vorbereitet. Der Blick meines Vaters streift mich kurz, als ich gerade wieder wegfliegen will. Es liegt etwas undefinierbares in ihm. Für einen Moment überlege ich hier zu bleiben und darüber zu reden. Weiteres Feuer trifft auf den Boden. Ich reiße mich aus meiner Starre. Die Anderen brauchen mich jetzt. Während Ohnezahn abhebt bete ich zu den Göttern, dass mein Vater überleben wird.
Ich habe keine Ahnung, wieso sie mich jetzt erhören sollten.

Lorelei

„Oh, ich halte sie nicht für so dumm, dass sie sich den Grund für meinen Besuch nicht denken können." Viggos Stimme klingt gelassen und irgendwie ein wenig amüsiert. Es hört sich an, wie die Stimme, mit der er all die Jahre gegen uns angeredet hat, und doch ist es anders. Ich bemerke winzige Details, wie die Hand von Drago, die dieser auf sein Schwert gelegt hat.
Um mich herum wird es inzwischen hell. Das Feuer blendet mich, aber ich bemerke trotzdem wie etwas oberhalb von Drago und Viggo aufblitzt. Ein Bogenschütze steht im Schatten, sodass ich ihn eigentlich nicht erkennen können sollte. Neben Drago sieht Tarik verunsichert aus. Sein Meister ist aber immer noch ganz er selbst. „Sie haben die Seiten gewechselt und seit Monaten Informationen zurückgehalten. Es ist ihre Schuld, dass so viele Menschen in dieser Schlacht gestorben sind!" Falls Dragos Worte Viggo nahe gehen, sieht man es ihm nicht an. Er hat ebenso wie Lydia eine undurchdringliche Maske aufgebaut. Jetzt fixiert er Drago mit seinen Augen. „Mit deinem Seiten Wechsel hast du dein Todesurteil unterschreiben." Zischt Drago nun und hebt die Hand. Ich sehe, wie der Bogenschütze seine Sehne anspannt und loslässt und bin doch unfähig zu reagieren. Wie in Zeitlupe fliegt der Pfeil auf Viggo zu, der ihm aber geschickt ausweicht. Wie konnte er das vorhersehen? „Denken sie wirklich, dass ich das nicht erwartet habe? Ich mache ihnen schon so lange etwas vor, sie können sich keiner meiner Züge sicher sein. Aber ich kenne ihre und ich habe Unterstützung." Erwidert Viggo und blickt mir direkt in die Augen, während Drago das erste Mal verunsichert aussieht und der Bogenschütze einen neuen Pfeil auflegt und Abschießt. Nur, dass ich dieses Mal reagiere.

Lydia

Mein Blick gleitet über die Schiffe unter mir. Viele von ihnen sind inzwischen ausgeschaltet und ich begegne auch kaum noch Drachenfliegern. Einen hebt Lyra einfach von seinem Drachen, der einfach ohne seinen Reiter weiterfliegt. Nur die Drachen, die direkt von Drago ausgebildet wurden haben überhaupt sowas wie eine Bindung zu ihrem Reiter und von Drago ausgebildet sind hier die wenigsten Drachen. Lyra weicht den Pfeilen und Steinen aus, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Sie kommen nur noch aus der Richtung der Schiffe, Hicks muss einen Evakuierungsplan gehabt haben. Er hat sich wirklich verändert, ist stärker und besser geworden. Wahrscheinlich, weil er es werden musste. Wir wurden in eine unruhige Welt hineingeboren. Für meine Kinder wünsche ich mir etwas besseres. Das heißt, falls ich das überlebe und danach irgendwann Kinder haben werde. Womit wir eigentlich schon wieder bei meiner Suche wären. Die Wikinger auf den Schiffen sind winzig klein aber ich würde die Person, die ich suche auch so erkennen. Einmal fliegen die Zwillinge an mir vorbei und johlen. Ich bin froh, dass sie noch am Leben sind und ihre Verrücktheit flößt mir etwas vertrauen ein. Sie haben wahrscheinlich schon waghalsigere Sachen gemacht und leben noch.

Je näher Lyra an das Granatenfeuer herankommt, desto mehr zieht sich mein Magen zusammen. Viggo wird doch nicht...
Auf allen Schiffen, über die wir hinweg fliegen, ist keine Spur von ihm. Ich sehe Astrid und Sturmpfeil und Patrik, Theodora und Estan, sie schalten eines der letzten Kampffähigen Schiffe aus und bemerken mich nicht. Das Granatenfeuer ist direkt vor mir, als ich Viggo entdecke. Er steht auf dem Schiff, dass am nächsten zu dem gefährlichen Drachen steht und scheint in ein Wortgefecht mit der Person verstrickt zu sein, die auf dem Schiff auf dem Granatenfeuer steht. Mein Herz setzt einen Schlag aus, als ich Drago Blutfaust erkenne, meinen Vater. Wahrscheinlich.

Fünf Jahre - und alles danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt