10. Kapitel: Keulen, Klauen, Wikinger und andere Rätsel

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Lorelei

In der nächsten Runde spielen wir wieder gegen drei Drachenjäger aus dem Handelssektor. Diese sind hier sowieso wie Sand am Meer vertreten. Was auch wirklich kein Geheimnis ist. Unser Verräter ist eine der Figuren, die sie als erstes für sich einnehmen.
Wir verlieren das Spiel.
Für einen Moment frage ich mich, ob der Verräter vielleicht doch eine höhere Wirkung hat. Bin ich nicht selber eine Verräterin? Habe ich nicht selbst all die Ideale verraten, nach denen ich früher gelebt habe? Noch immer werde ich den Anblick der Frau mit den roten Haaren aus dem Befragungsraum nicht los. Immer wieder scheint sie mich daran zu erinnern, das ich doch eigentlich besser sein wollte. All die Gedanken und Gefühle aus den letzten Jahren, die ich so sorgsam weggesperrt hatte, sind nun wieder da und lassen sich nicht erneut unterdrücken.
Ich verabschiede mich von Tim und Tom und verlasse den Raum in Richtung der Quartiere. Es ist bereits spät und auf den Gängen ist nur noch wenig los. Unwillkürlich beschleunige ich meine Schritte. Wenn ich eines in den letzten Jahren gelernt habe, dann das es besser ist Nachts nicht mehr in den Gängen zu verweilen. Manchmal treiben sich zwielichtige Gestalten aus den äußersten Handelsbezirken, aber auch aus der schnellen Eingreiftruppe hier herum. Das alles sind Menschen, die kein Gewissen mehr haben und die sich auch nicht um die Gefühle anderer Scheren, schon gar nicht um die einer Frau. Ich biege um die Ecke und wünsche mir im selben Moment, ich wäre doch später mit Tim und Tom hierher gekommen. Ausgerechnet heute scheint mich mein Glück verlassen zu haben, denn Mitten im Gang steht ein großer breiter Mann und lächelt mich dreckig an. Ein Abzeichen an seiner Brust sagt mir, das er einem der Generäle fast direkt unterstellt ist. Es ist ungewöhnlich, das so jemand bei unseren Quartieren auftaucht und ich kann mir bereits deutlich vorstellen, worauf er es abgesehen hat. Irgendwo aus meinem tiefsten Unterbewusstsein krame ich das letzte Bisschen Würde heraus, das ich wohl noch besitze und straffe meine Schultern. Auf gar keinen Fall will ich meinem Gegenüber zeigen, wie groß meine Angst vor ihm wirklich ist. „Wen haben wir denn da?" Fragt er und seine Stimme hört sich in meinen Ohren unnatürlich tief an. Gibt es eine Krankheit, bei der man alles viel zu tief hört? Er macht ein paar Schritte auf mich zu und presst mich gegen die nächste Wand, bevor ich überhaupt irgendetwas machen kann. Nur mit Mühe unterdrücke ich den Reflex meine Augen zu schließen und mich meinem vermeidlichen Schicksal zu beugen. Stattdessen drehe ich meinen Kopf weg. Ich habe absolut keine Lust mich weiter herumschubsen zu lassen und meine Ideale weiter zu verraten. Gespannt warte ich auf eine Reaktion, die wohl eher schmerzlich für mich ausfallen würde. Aber die bleibt aus, eine neue Stimme dröhnt durch den Gang, in dem es noch immer totenstill ist: „Das würde ich an deiner Stelle lassen." Die Stimme kommt mir bekannt vor aber richtig zuordnen kann ich sie erst, als der Mann vor mir zu lachen beginnt. „Was willst du dagegen tun? Du hast mir gar nichts zu sagen!" Ruft er und lässt mich dabei glücklicherweise los. Schweratmend lasse ich mich gegen die Wand sinken, gegen die ich gerade noch gedrückt wurde. Der letzte Rest von Würde, den ich noch hatte, ist verbraucht. Der Mann tritt einen Schritt zur Seite und gibt den Blick auf Viggo Grimborn, den Chef der Drachenjäger, frei, der in diesem Moment erneut zu sprechen beginnt: „Unglücklicherweise nicht, aber ich habe gute Beziehungen zu deinem General, ich bin gespannt, was er dazu sagt." Der Mann, der bis gerade eben noch vor mir stand lacht immer noch. Aber es klingt ein klein wenig unsicherer. „Den wird das wirklich brennend interessieren, er macht es ja schließlich selbst auch." Erklärt er und sieht gleich wieder sicherer aus. „Bist du dir da sicher?" Jetzt hat es Viggo geschafft den Mann zu verunsichern. Wie das Gespräch weiter geht bekomme ich leider nicht mehr mit, weil alles von einem Moment auf den Anderen verschwommen wird und dann ganz verschwindet.

Hicks

„Und du willst nicht noch etwas bleiben?" Fragt mein Vater und ich schüttle den Kopf: „Wir müssen sofort los, aber wenn wir wieder zurück sind kümmern wir uns um den Drachen." Es ist später Nachmittag und alle sind zur Abreise bereit, mal wieder. So schön es auch ist eine Zeit lang allein zu sein und neue Inseln zu entdecken, so traurig ist es auch nie lange bleiben zu können. Wir werden nach Norden fliegen, in der Hoffnung etwas zu finden. Ja, so weit ist es schon gekommen. Früher haben wir genaue Analysen angestellt und alles immer genau nachgeprüft. Unsere Ergebnisse haben sich fast immer als falsch herausgestellt, jetzt bleibt uns nur noch eine ungefähre Hoffnung. Ein Brief an die Beschützer des Flügels und einer an die Berserker sind bereits auf dem Weg. Sie beinhalten eine Beschreibung unserer ungefähren Flugrichtung und wir haben weitere Schrecken dabei, falls wir etwas finden. Sofort habe ich ein schlechtes Gewissen. Ein weiteres Mal lassen wir Berk und unsere Eltern zurück, ohne zu wissen, wann wir wiederkommen. Ob wir wiederkommen. Mein Vater scheint meine Schuldgefühle zu spüren. Er legt mir eine Hand auf die Schulter und ich zucke zusammen. Noch immer ist diese Geste ungewohnt, aber ich bin froh, das sich unser Verhältnis langsam bessert. „Ist schon in Ordnung mein Sohn." Sagt er und seine Stimme klingt dabei irgendwie müde. „Wir werden immer noch hier sein und auf dich warten." Dann löst er sich von mir und ich steige auf Ohnezahns Rücken. Ein letzter Blick zurück. Dann heben wir ab und steigen immer weiter gen Himmel. Die Anderen folgen mir mit etwas Abstand. Auch sie verhalten sich ruhig, nicht einmal die Zwillinge stecken die Köpfe zusammen.
Fliegen ist die beste Meditation, die es gibt. Ich kann mich einfach auf die Manöver konzentrieren und die ganzen Sorgen und Ängste treten in den Hintergrund. Das ist meine beste Möglichkeit zur Ruhe zu kommen, denn ganz verschwinden tuen diese nie.

Astrid

Hier über den Wolken scheint immer die Sonne, es sei denn es ist dunkel. Immer weiter fliegen wir nach Norden, immer weiter ins Ungewisse. Eigentlich ist es nach drei Monaten nicht mehr neu ins ungewisse zu fliegen. Dieser einzigartige Nervenkitzel ist mir inzwischen vertraut. Trotzdem muss ich mich stark konzentrieren, damit Ängste, Sorgen, Hoffnungen mich nicht die Kontrolle verlieren lassen. Früher war das nicht so. In meiner alten Welt war alles mehr oder weniger klar. Ein paar mal die Woche musste ich Wache halten, bei Drachenangriffen hätte ich sterben können. Ansonsten hätte ich wohl irgendwann geheiratet und eine Familie gegründet. Vielleicht...

Aber jetzt ist es so, als wären wir von einem Tag auf den anderen in eine andere Welt geschleudert worden. Plötzlich ist nichts mehr offensichtlich. Ich muss nicht mehr Wache halten. Dafür könnte ich jetzt an jedem Tag, an dem wir nicht auf Berk sind in irgendeinem Unwetter oder bei einem Gefecht sterben. Noch nie war meine Zukunft so ungewiss. Längst liegt sie nicht mehr in so weiter ferne. Doch jetzt frage ich mich jeden Abend, was morgen wohl sein wird. Es wird immer schwieriger die Sorgen, die sich im Laufe der Zeit bei mir eingenistet haben zu vergessen. Ein Blick nach links und rechts reicht schon um zu wissen, das es den anderen Drachenreitern genauso geht. Ich frage mich, wie sie damit umgehen und doch reden wir auf diesem Flug nicht.

Ja, die Zukunft war noch nie so nah. Aber noch immer weiß ich nicht, wie sie aussehen soll. Als ich mit Hicks zusammen gekommen bin war alles irgendwie so einfach und klar. Jetzt weiß ich nicht mehr, wie ich mit dieser Beziehung umgehen soll. Ich meine, ich habe ständig Angst das ihm etwas passiert und weiß, dass es ihm genauso geht. Falls wir die Zeit nach dieser Reise überleben, was wird dann passieren? Wird unsere Beziehung allem kommenden standhalten, oder wird sie zerbrechen? Das ist das, wovor ich am meisten Angst habe:

Das unsere noch junge Liebe dem Kommenden nicht standhalten wird.

Fünf Jahre - und alles danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt