26. Kapitel: Verstärkung

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Astrid

Während Sturmpfeil eine Salve Pfeile auf das anvisierte Schiff abgibt, sehe ich in der Ferne die ersten Schiffe der Berserker anrücken. Noch immer scheint es gut für uns zu stehen, aber ich mache mir Sorgen um Hicks, unsere Freunde und Familien. Bei jedem Schrei, den ich höre, glaube ich kurz er wäre von einem von ihnen. Ich habe keinen meiner Freunde seit beginn der Schlacht gesehen. Wie lange das her ist, kann ich nicht mehr sagen. Das Schiff ist schnell nicht mehr kampffähig. Die Besatzung ist in Aufruhr. Was haben die denn gedacht? Das wir uns einfach ergeben, wenn wir ihre Macht an Schiffen mitten in der Nacht auf uns zukommen sehen? Sie haben sich auf jeden Fall geirrt und dieser Gedanke befriedigt mich irgendwie. Ich wende mich dem nächsten Schiff zu und für einen Moment bleibt die Zeit stehen. Auf dem Schiff steht Viggo Grimborn und schaut mir direkt in den Augen. Egal, ob ich ihn hasse oder nicht, in diesem Moment schwillt meine Wut fast ins Unendliche, während ich gleichzeitig denke, dass es vorbei ist. Er wird wissen, wie er mich ausschalten kann. Er ist mein Feind.

Dann passiert jedoch etwas seltsames, er lächelt mich an. In seinem Lächeln liegt nichts heimtückisches oder falsches. Sein Gesicht zeigt Freundlichkeit und Aufrichtigkeit. Ich kann es nicht glauben und meine Wut schrumpft wieder auf eine Art vernünftiges Niveau. Dann wendet Viggo den Blick ab und ich warte darauf, dass er die Aufmerksamkeit seiner Krieger auf mich lenkt.
Er ist mein Feind.
Doch er dreht sich einfach nur um und tut so, als hätte er mich nicht gesehen. Ich bin so überrascht, dass ich die erneuten Pfeile nicht bemerke. In dem flackernden Licht der Feuer hat Viggo fast etwas melancholisches. Ich hatte geglaubt zu wissen, was diese Person ausmacht und ich habe mich geirrt. Ich hasse es mich zu irren, das war schon immer so. Die Gefühle nehmen mich in Beschlag, dass ich nur am Rande mitbekomme, wie Sturmpfeil den Pfeilen ausweicht.
Ich hätte den Pfeil abfangen können, doch ich tat es nicht und so stürzt Sturmpfeil in die Tiefe direkt auf das Meer zu.
Bevor wir jedoch auf der Wasseroberfläche aufschlagen packen uns die starken klauen eines Drachens. Ich schaue nach oben und erwarte ein bekanntes Gesicht, doch der Drachenreiter, dessen Drache uns Richtung Strand trägt, ist mir komplett unbekannt.

Hicks

Als der Wechselflügler nach unten stürzt um den anscheinend bewusstlosen Flieger aufzufangen trifft mein Blick den seines Reiters. Es ist eine Frau, glaube ich zumindest, denn die Kapuze ihres Umhangs wirft einen weiteren Schatten auf das sowieso dunkle Gesicht. Unsere Blicke begegnen sich nur für Sekundenbruchteile und ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie mich überhaupt gesehen hat. Ihr Wechselflügler fängt den Flieger mit Leichtigkeit aus der Luft und setzt ihn auf einem der Schiffe ab. Wenn ich mich genauer umschaue sehe ich deutlich weniger Drachen in der Luft, als noch zu Beginn der Schlacht. Der Wechselflügler wendet und kehrt auf die Position gegenüber von Ohnezahn zurück. Seine Reiterin mustert mich und ich bekomme Zweifel. Steht sie wirklich auf unserer Seite? Wieso sollte sie das überhaupt? Ich warte darauf, dass ihr Drache uns angreift, Wechselflügler sind sehr gefährliche Drachen. Ich weiß nicht, ob wir dann eine Chance hätten. Aber dann passiert etwas unerwartetes. Der Reiter zieht seine Kapuze vom Kopf und ich sehe, dass es wirklich eine Frau ist. Ihre hellbraunen Augen funkeln, aber ich verstehe, was sie mit dieser Geste sagen will. Wir nicken uns zu. „Wir werden uns auf die Reiter konzentrieren." Ruft sie mir durch den Lärm der Schlacht zu. Dann setzt sie ihre Kapuze wieder auf und verdeckt damit ihre dunkelgrauen, fast schwarzen, Haare. Sie flüstert ihrem Drachen etwas zu. Mir fällt auf, das er keinen Sattel trägt. „Mit den Schiffen kommen wir klar." Antworte ich ihr, es fühlt sich so unwirklich an. Sie lächelt, dann stürzen sie und ihr Drache sich wieder in die Schlacht. Wie viele Wikinger inzwischen tot sind?
Ich schüttle den Kopf während Ohnezahn seinen leicht zu mir dreht. Er sieht fast ein wenig besorgt aus. Diese Begegnung hat vielleicht eine Minute gedauert, es kommt mir aber wie eine Ewigkeit vor. Noch immer fliegen Pfeile an uns vorbei. Es ist ein Wunder, dass wir noch nicht getroffen wurden. Erneut blende ich alle Gedanken aus und konzentriere mich nur aufs fliegen, für einige Zeit geht das auch gut. Für einige Zeit, bis ich einen lilafarbenen Drachen ohne Reiter an mir vorbeifliegen sehe und Ohnezahn perplex das Zeichen gebe, ihm zu folgen.

Lydia

Um mich herum ist es immer noch viel zu laut. Die Schlacht strapaziert mein Trommelfell gewaltig. Oder es sind meine Finger, die nervös auf das Holz trommeln. Selbst dieses Geräusch ist unnatürlich laut. Jeden Moment könnte ich entdeckt werden und dann wäre es das. Ein Leben, einfach so verschwunden.
Ich vertreibe mir die Zeit damit, mir vorzustellen, was dann passieren würde. Von lachenden Kämpfern und fliegenden Pfeilen, bis zu Meeresdrachen, die aus dem Wasser auftauchen, ist alles dabei. Wann ich diese blühende Fantasie entwickelt habe, ist mir nicht klar.

Doch es passiert nichts, es passiert viel zu lange nichts. Es passiert so lange nichts, dass es schlimmer ist, als wenn wirklich etwas passieren würde. Ich wechsle dazu mir auszurechnen, wie viele Menschen und Drachen ich in der Zeit hätte retten können. Doch mir fehlen die Zahlen, was mich fast in den Wahnsinn treibt. Die Betonung liegt auf fast, denn irgendwann höre ich das vertraute Surren, das Lyra beim Fliegen verursacht und noch etwas, aber das ist mir egal. Im nächsten Moment landet Lydia an der Schiffswand und ich komme mir vor wie auf Wolke sieben. Drei Monate ist es her, das wir uns das letzte Mal gesehen haben. Drei Monate, die eindeutig viel zu lange waren. Mein Drache schnaubt zufrieden, als ich ihm über den Kopf streichle. Endlich sind wir wieder vereint. Endlich bin ich wieder ganz. Für einen Moment ist es ruhig, dann holt mich der Lärm der Schlacht um mich herum wieder ein. Er ist auf eine normale Lautstärke zurückgegangen. Lyras Anwesenheit beruhigt mich. Zusammen mit ihr kann ich alles schaffen, wirklich alles. Auch das was als nächstes kommt. Ich erkenne das Geräusch, das ein Nachtschatten verursacht, wenn er einen Plasmastrahl lädt. Dann höre ich Hicks' überraschte Stimme: „Lydia?"

Lorelei

„Mit den Schiffen kommen wir klar." Hat der Reiter des Nachtschattens gesagt. Ich muss sagen, er hat nicht übertrieben. Die Anzahl der Schiffe hat sich kaum verringert, aber die Anzahl der Pfeile, denen Soraya ausweichen muss, schon. Ich verstehe die Logik dahinter. Wenn sie die Schiffe zerstören, werden die Leichen, Sterbenden und Überlebenden, unweigerlich an den Strand der Insel gespült. Sie würden ein weiteres Problem darstellen, das es zu lösen geben würde. Wenn sie die Schiffe aber nur kampfunfähig machen, haben sie dieses Problem gar nicht und Humaner ist es auch. Es wird die Opferzahlen dieser Schlacht deutlich verringern. Schon jetzt ist es vom Feuerschein viel zu hell, auch wenn es bereits dämmert. Ein neuer Tag bricht an, doch ich weiß nicht, ob es ein guter werden wird. Diese Ungewissheit ist im Grunde das, was mein Leben schon seit Jahren ausmacht. Wie in Trance schalten Soraya und ich noch ein paar Drachenflieger aus. Sie sind uns immer noch überlegen, doch ihre Zahl schrumpft stetig. Ich sehe Felix und Carina, die mit ihren Drachen und Eimern voller Wasser, versuchen die Feuer zu löschen. Es ist nicht viel, aber sie versuchen zu helfen. Auch die Wikinger im Dorf dürften inzwischen gemerkt haben, dass es ein paar mehr Drachenreiter gibt. Ich hoffe, sie haben sie nicht aus versehen vom Himmel geholt. Das sollen sie schließlich gut können...
Während Soraya über einige bereits ausgeschaltete Schiffe hinweg fliegt, gleitet mein Blick von einem Gesicht zum Anderen. Ich weiß nicht, was ich suche, bis ich ein Bekanntes erkenne. Tim und Tom stehen mit verrußten Gesichtern auf einem der Schiffe und sehen sehr unzufrieden aus, ich hätte sie fast nicht erkannt. Soraya fliegt weiter, auf ein größeres Schiff zu. Es scheint noch nicht zerstört worden zu sein. Mehrere Bögen sind auf uns gerichtet, doch Soraya weicht den Pfeilen mühelos aus. Auf dem Schiff rennen mehrere Personen, die meisten von ihnen kann ich auf Grund ihrer Haltung als Generäle identifizieren, hin und her, während sie ihre Befehle brüllen. Der Himmel wird immer heller, doch keiner von ihnen achtet darauf. „Noch etwas weiter nach links!" Ruft einer. Das Schiff bewegt sich, aus den Augenwinkeln sehe ich eine weitere Person auf das Deck treten. Es ist Viggo Grimborn. Im selben Moment beginnt das Wasser unter Soraya zu schäumen. Ein Drache taucht auf und wir können uns geistesgegenwärtig schräg hinter dem Schiff in Sicherheit bringen. Als ich den Drachen erkenne weiß ich trotzdem, dass wir verloren haben.

Was für ein Drache das wohl ist...
Die gute Nachricht, ich kann euch garantieren, dass am Mittwoch ein Kapitel kommt. Bis dann, jolannasa

Fünf Jahre - und alles danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt