Marie blickte durch die verregnte Autoscheibe hinaus auf die
Straße.
Die Regentropfen, die laut auf das Auto prasselten, sammelten sich auf der Erde in kleinen Rinnsalen und flossen die Fahrbahn entlang. Ab und zu wurden sie von heranrauschenden Autoreifen getrennt, um sich anschließend wieder zu einem Rinnsal zusammenzuschließen.
Marie beobachtete dieses Spiel eine Weile und versank dabei in Gedanken.
Hatte es wirklich so kommen müssen? Was hatte sie denn falsch gemacht? Sie hatte immer an die große Liebe geglaubt. Niemals hätte sie sich von irgendjemanden diesen Glauben nehmen lassen.
Die wahre Liebe zu finden und ein Leben lang zusammen zu bleiben. Ein Haus mit Garten und Hund. Ein idyllisches Familienleben mit 2, oder mehr Kindern. Das war schon immer ihr größter Traum gewesen.
Nun war er ausgeträumt!
Marie spürte, wie ihr eine Träne über die Wange lief.
Ihr Vater blickte kurz zu ihr rüber und runzelte dabei die Stirn. Er war so nett gewesen sie von zu Hause abzuholen.
Zu Hause, dachte sie. Und wieder lief ihr eine Träne über die Wange. In der nächsten Zeit würde ihr Zuhause wohl wieder bei ihren Eltern sein. In ihrem kleinen, aber gemütlichen Kinderzimmer. Gestern hatte sie es ihrem Mann gesagt und heute schon war sie ausgezogen. Alles war auf einmal so schnell gegangen. Wochenlang hatte sie sich mit dem Gedanken gequält aus der ehelichen Wohnung auszuziehen. Aber sie hatte immer wieder gezögert. Konnte man 12 Jahre einfach so wegwerfen? Außerdem war da noch ihre Tochter. Sie war gerade einmal 18 Monate alt. Sie wollte doch nur das Beste für sie! Aber was wäre besser gewesen? Eine Mutter, die es zu Hause nicht mehr aushält? Eltern, die sich nur noch anschweigen? Oder eine klare Trennung? Marie grübelte schon wieder darüber nach.
Soweit war es ja noch nicht gekommen. Sie hatte sich mit Thomas darauf geeinigt, erst einmal zu ihren Eltern zu ziehen, um die Situation zu entschärfen. So konnte jeder noch einmal über alles nachdenken. Ihre Tochter Yasmin war vorerst bei Papa geblieben. Ab morgen würden sie sich dann abwechseln. Zum Glück war Yasmin sehr oft bei Oma und Opa, hatte dort sogar ein Bett und war mit den Räumlichkeiten vertraut. So würde es ihr sicher leichter fallen sich wohl zu fühlen!
Ihr Vater bog in die Garageneinfahrt ein und stellte den Motor aus. Da war sie nun. Dort, wo sie vor ca. 8Jahren ihre Sachen gepackt hatte, um mit Thomas ihre erste gemeinsame Wohnung zu beziehen. Damals war sie 20 gewesen und hatte sich tierisch gefreut, endlich dem Elternhaus den Rücken kehren zu können. Die Anfangszeit war nicht leicht. Sie war noch in der Ausbildung und Thomas machte gerade seinen Zivildienst. Das Geld war eigentlich immer mehr als knapp. Aber es war eine schöne Zeit gewesen. So frei und ohne Regeln!Ein kurzes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie an die Zeit in der kleinen Dachgeschosswohnung dachte.
"Marie?" Ihr Vater blickte sie fragend an. "Willst du nicht aussteigen?" Marie holte sich schnell in die Realität zurück. "Ähh, doch. Natürlich!" erwiderte sie etwas verwirrt.
Sie hasste sich manchmal für diese Tagträumereien. Die hatte sie schon als Kind gehabt und sich damit immer wieder in Erklärungsnot gebracht. Wenn sie so in ihren Träumereien versank, schaltete sie die Realität vollkommen aus. Das irritierte ihre Mitmenschen manchmal. Bis auf einige Wenige, die sie schon gut genug kannten!
Sie öffnete die Autotür des schwarzen Minivans und stieg aus. Ihr Vater hatte bereits die Tasche aus dem Kofferraum geholt, in die sie am Nachmittag das Nötigste eingepackt hatte. "Danke", sagte Marie und nahm die Tasche entgegen.
Schweigend gingen sie über den Hof, der zur Wohnung ihrer Eltern führte. Ihre Mutter erwartete sie bereits an der Haustür. Wortlos nahm sie Marie in die Arme. Marie sah, dass sie geweint hatte. Oh, man! dachte sie. Das kann ja ein schöner Abend werden. Sie hörte schon die Vorwürfe ihrer Mutter. Marie hatte eigentlich überhaupt keine Lust auf eine ausgedehnte Diskussion über die Ehe und die Verantwortung, die man für ein Kind hatte. Aber das musste sie sich jetzt wohl gefallen lassen. Ihre Mutter war sehr gläubig und die Ehe war ihr quasi heilig.
Marie verstand das auch. Bis vor Kurzem hatte sie selber so gedacht und alle Leute für verantwortungslos erklärt, die sich trennten obwohl sie Kinder hatten. Damals hatte sie aber noch nicht gewusst, wie schlimm es sein kann, wenn man sich in seiner eigenen Haut nicht mehr wohl fühlt und einfach nur weg möchte.
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Ein Geschenk des Himmels
FanfictionMarie ist verzweifelt. Der Traum ihrer heilen Familie scheint zerstört, ihre Ehe am Ende. Selbstzweifel plagen sie , sie ist am tiefsten Punkt ihres Lebens angelangt. Doch plötzlich geschieht etwas, das ihr Leben komplett auf den Kopf stellt.