Jessie

243 10 0
                                    

Marie ging in die kleine Marienkappelle die sich direkt neben dem Eingang befand.
Sie war sehr gemütlich geworden nach der Renovierung der Kirche vor 4Jahren, fand Marie.
Die Wände waren blau gestrichen, was für viele Gemeindemitglieder anfangs sehr gewöhnungsbedürftig gewesen war.
Aber Marie fand, dass genau das ihr einen gewissen Charme und Gemütlichkeit verlieh.
Vorne rechts war die Marienstatue aufgestellt und daneben an der Wand war eine lange Einbuchtung, in der die brennenden Teelichter standen.
Marie warf etwas Geld in das Opferkässchen, zündete ein Teelicht an und stellte es ab.
Dann setzte sie sich hin, betrachtete die Maria und versank in Gedanken.

Wie friedlich doch der Gesichtsausdruck von Maria war.
Zufrieden und voller Wärme war ihr Lächeln. Marie konnte nicht aufhören sie zu betrachten.
Plötzlich kam ihr ein Lied von Paddy in den Sinn, welches sie gestern im Internet gefunden hatte.
Es hieß Thanking blessed Mary
Leise summte sie das Lied vor sich hin und eine Träne rann ihr dabei über die Wange.

Ich wäre auch gerne so ruhig und ausgeglichen wie Maria dachte Marie.
Aber in ihr tobte ein Krieg!
Von zutodebetrübt bis himmelhochjauchzend war alles dabei.
Wenn sie an Paddy dachte, wurde ihr warm ums Herz und sie musste Lächeln. Wenn sie an Thomas und ihre schwierige Ehe dachte, wurde sie traurig und die Tränen stiegen in ihr hoch.
Und plötzlich flammte so etwas wie Wut in ihr auf. Sie konnte es gar nicht kontrollieren. Es war eine Wut auf Gott.
Warum hatte er zugelassen, dass sie Thomas heiratete, wenn er doch etwas ganz Anderes mit ihr vorhatte?
Warum musste er sie so quälen?
Hätte sie nicht gleich den Richtigen kennenlernen können?
War Gott wirklich erst jetzt aufgefallen, dass Thomas eventuell die falsche Wahl gewesen war?
Konnte auch Gott falsche Entscheidungen treffen?
Aber warum hatte er dann so komische Gesetze, wie das, dass man nur einmal heiraten darf?
Das leuchtete ihr überhaupt nicht ein.
Sie sah das Jesuskind an, welches Maria liebevoll auf dem Arm trug und sagte:
"Warum bist du so ungerecht, hä?"

"Ungerecht?" fragte eine Stimme hinter ihr.
"Du hast jetzt nicht allen Ernstes Maria als ungerecht bezeichnet?"
Marie erstarrte. Hatte sie das etwa laut gesagt?
Sie hatte gar nicht gehört, dass jemand gekommen war.
Oh nein, dachte sie. Was mach ich denn jetzt?
So leicht würde sie aus der Patsche nicht herauskommen.
Weil ihr gar nichts anderes übrig blieb, drehte sie sich langsam um.
Am Eingang zur Kapelle stand ein junger Mann, so Anfang 30 schätzte Marie. Sie hatte ihn noch nie gesehen.
Er hatte schulterlange Haare, die er zu einem Zopf gebunden trug, große braune Augen und leicht gebräunte Haut.
Er war wirklich nicht schlecht aussehend.
"Ähh nein.." stotterte Marie kleinlaut. "Eigentlich habe ich Jesus gemeint".
Im selben Augenblick wurde ihr klar, dass das die Sache nicht wirklich besser machte.

Der Mann lachte leise und meinte:"Na dann."
Er kam vor und setzte sich neben Marie auf die Bank.
Dann reichte er ihr seine Hand hin und sagte:
"Hallo. Ich bin Jessie."
"Ich heiße Marie", lächelte sie verlegen. Es war ihr immer noch ziemlich peinlich, dass er sie gehört hatte.
"Bist du ein Mitglied der Gemeinde?" fragte Jessie neugierig.
"Äh ja. Gewissermaßen schon."
"Gewissermaßen?"
"Naja. War schon eine Weile nicht mehr hier!"
"Ach so. Dann bist du eine von denen, die nur an Weihnachten in die Kirche gehen", grinste Jessie.
"Nein. Ganz so ist es auch nicht. Ich war früher jeden Sonntag in der Kirche. Ich war sogar Oberministrant", betonte Marie.
"Aber ich habe einfach in letzter Zeit etwas Abstand gebraucht!"
"Oh, das kann ich gut verstehen!" antwortete Jessie.
"Ach ja? Bist du neu in der Gemeinde?" fragte Marie. Es interessierte sie wirklich was so ein gut aussehender junger Mann am frühen Nachmittag in einer Kirche verloren hatte. Das sah man ja doch eher selten.
"Gewissermaßen", antwortete Jessie und lächelte. "Ich komme eigentlich aus Köln. Ich besuche meine Tante hier und habe einen Platz zum Beten gesucht."
Marie sah ihn verdutzt an.
Jessie bemerkte ihren verdutzten Gesichtsausdruck und grinste:
"Ja ich weiß. Eigentlich sollte ich mich in der Stadt aufhalten und Frauen klar machen. Aber ich habe heute schon ein Date mit Gott!"

Ein Geschenk des HimmelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt