Familienzeit

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Am nächsten Morgen wurde Marie unsanft von Yasmin geweckt.
„Mama, wach!" Yasmin turnte ausgelassen in ihrem kleinen Bett herum.
Marie war wie jeden Morgen eigentlich noch nicht bereit aufzustehen. Sie knipste das Nachtlicht an, um auf die Uhr zu sehen. Sechs Uhr. Marie stöhnte, streckte sich und richtete sich langsam auf.
„Mama, Min wach!" rief es wieder. Min war ihre neueste Errungenschaft. Es klang so zuckersüß, wenn sie sich selbst beim Namen nannte.
Marie stand auf und ging zu Yasmins Bett hinüber. Wie konnte die kleine Maus so früh am Morgen nur schon so fit sein?
Marie holte Yasmin aus dem Bett, gab ihr einen Guten-Morgen-Kuss und nahm sie mit zu sich ins Bett. Es folgte eine ausgedehnte Kuschelstunde. Marie liebte diese morgentlichen Kuschelparties im Bett. Allerdings wurde ihr wieder einmal schmerzlich bewusst, dass ihr dabei dennoch etwas fehlte. Eigentlich sollten wir zu dritt hier kuscheln, dachte sie. So gehört es sich doch, oder nicht? Mama, Papa und Kind zusammen im Bett. Ganz viel Nähe, ganz viel Zärtlichkeit....
Mit viel Mühe holte sich Marie aus ihren Tagträumen zurück in die Realität.
Nein, Yasmin sollte nicht das Gefühl bekommen, dass etwas fehlte. Marie drückte Yasmin noch einmal ganz fest, bevor sie aufstand, um das Frühstück zu richten.

Den Samstag wollte Marie ganz und gar mit Yasmin verbringen. Schließlich musste sie am Montag wieder arbeiten und dann würde die Zeit für Yasmin wieder ein wenig begrenzter sein.
Da das Wetter wieder besser war, beschloss sie, zusammen mit ihren Eltern und Yasmin in den Wildpark zu fahren. Yasmin liebte es dort. Obwohl sie noch so klein war, konnte sie sich für die vielen Tiere begeistern. Am liebsten mochte sie die Wildschweine, was Marie schwerfiel zu verstehen. Aber es war zu komisch, wenn Yasmin vor dem Wildschweingehege stand, den Schweinen Futter hinwarf und ihre grunzenden Geräusche nachahmte.
Bevor sie dann nach Hause fuhren, gab es noch die obligatorische Currywust, die inzwischen ein Ritual geworden war.
Es war wirklich ein wunderschöner Tag und dennoch quälten Marie immer wieder schmerzliche Gedanken, die ihre Brust fast sprengten. Hin und wieder legte Maries Mutter ihren Arm um ihre Schulter. Sie sagte dabei kein Wort, aber Marie verstand ihre Geste und war sehr dankbar dafür.
Immer wieder schenkten Maries Gedanken auch Paddy ein Stück Aufmerksamkeit. Ob er ihre E-Mail wohl schon gelesen hatte? Was würde er darüber denken? War es zu unverschämt gewesen, ihm gleich Songtexte zu schicken? Vielleicht lachte er auch darüber. Schließlich schrieb sie ihre Songs total laienhaft. Sie hatte keinerlei Erfahrung damit.
Andererseits wusste Paddy das ja auch und er hätte es ihr ja wohl kaum angeboten, wenn es ihm zu lästig wäre, ihre stümperhaften Texte zu lesen, dachte sie.

Als Yasmin an diesem Abend im Bett war, verbrachte Marie noch einige Zeit bei ihren Eltern.
Sie sprachen über den Tag und über alte Zeiten, als Marie und ihr Bruder noch klein waren.
Es war schön, so zusammenzusitzen, dachte Marie. Mit Thomas war das nicht möglich gewesen. Sie hätte gar nicht gewusst, worüber sie hätten reden sollen. Er interessierte sich für Fußball. Aber das war es auch schon. Wenn sie versuchte, sich mit ihm über Fußball zu unterhalten, ging das meistens nach hinten los. Er nahm das Thema sehr ernst und so sehr Marie sich auch anstrengte. Es endete meistens darin, dass er beleidigt war und sie genervt.
Aber vielleicht wäre das ein guter Ansatz, um an der Beziehung zu arbeiten.
Nach einiger Zeit verschwand Marie nach hinten. Sie war müde und wollte noch kurz die E-Mails checken.
Im Posteingang entdeckte sie sofort, dass Paddy geschrieben hatte.
Und wieder klopfte ihr Herz bis zum Hals. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass er so regelmäßig schreiben würde.
Schnell öffnete sie die E-Mail.

Liebe Marie,

deine E-Mail hat mich sehr berührt. Ich finde es auch schön, eine neue Freundin gewonnen zu haben. Ich werde alles versuchen, um dich aufzuheitern. Bei einer Entscheidung, wie dein Leben weitergehen soll, kann ich dir zwar nicht helfen, aber ich höre dir weiterhin gerne zu!
Das Loch in deiner Seele, von dem du sprichst, das kenne ich auch. Ich kann wirklich nachempfinden, wie es sich anfühlt. Man ist so leer innerlich und so hilflos, weil man glaubt nichts dagegen tun zu können. Mir hat damals das Gebet geholfen. Du kannst ja mal testen, ob es auch dir weiterhilft. Ich werde dich auf jeden Fall in mein tägliches Gebet einschließen und Gott um seine Hilfe und seine Liebe bitten!

Vielen Dank für die Daten von Jessie. Ich habe bereits Kontakt zu ihm aufgenommen und mich wirklich unheimlich darüber gefreut, wieder einmal etwas von ihm zu hören. Ich war sehr überrascht, dass er sich dem Glauben gewidmet hat und die Priesterweihe ablegen wird.
Aber manchmal geht Gott Wege, die undurchschaubar sind.
Ich werde ihn bald treffen und freue mich schon sehr darauf!

Deine Songtexte habe ich bereits durchgesehen und finde sie generell echt gut.
Einzelne Stellen habe ich mal überarbeitet. Ich hab sie markiert, sodass du es jederzeit wieder rückgängig machen kannst. Es sind auch nur Vorschläge von mir. Jetzt wäre es hilfreich, wenn du mir ein Demo zuschicken könntest, damit ich die Melodie, Akkorde und das Zusammenspiel zwischen Text und Melodie mal anschauen kann. Natürlich nur wenn du willst!
Jetzt wünsche ich dir erst einmal einen schönen Sonntag und einen guten Start in die Arbeit am Montag! Lass dich nicht unterkriegen!!

Paddy

Wow. Marie fühlte sich fast schon geehrt. Paddy freute sich, dass sie seine Freundin sein wollte. So etwas hätte sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können.
Und er hatte ihre Texte bereits gelesen! So schnell hatte sie damit nicht gerechnet.
Neugierig öffnete sie den Anhang. Er hatte wirklich nicht sehr viel verändert. In den meisten Fällen war es hauptsächlich ihre englische Ausdrucksweise, die manchmal etwas holprig war.
Gleich holte Marie ihre Gitarre und probierte die neuen Versionen aus. Teilweise musste sie noch ein wenig an der Melodie feilen, damit der Text besser passte. Auch die Akkorde überdachte sie zum Teil noch einmal. Sie wollte, dass es wenigstens einigermaßen gut klang, wenn sie es ihm zeigen würde.
Als Marie dann mit ihrer Arbeit zufrieden war, schlich sie leise in ihr Zimmer, um Yasmin nicht zu wecken und fiel erschöpft ins Bett.

Der nächste Tag war ein Sonntag, einer der schönsten Tag einer Woche, wie Marie fand. Ein Tag, an dem jeder zur Ruhe kam, niemand musste zur Arbeit oder zum Einkaufen hetzen.
Für Marie war es immer ein Familientag gewesen, an dem man das Familienleben genießen konnte. Dieser Sonntag war fast wie ein Dejavu.
Morgens frühstückten sie gemeinsam und ausgedehnt. Anschließend gingen sie in die Kirche.
Yasmin machte es richtig Spaß mit den anderen Kindern in der Kinderkirche zu sein. Auch wenn sie nicht sehr viel verstand von dem, was die Frau über Jesus erzählte, lachte sie die ganze Zeit und als die Kinder gemeinsam sangen, stand sie mitten zwischen ihnen und tanzte.
Am Ende des Gottesdienstes kam Marie mit dem Pfarrer und dem Gemeindereferenten ins Gespräch und klärte dabei gleich mal einige offene Fragen, die die Organisation des Konzertes betrafen.
Der Pfarrer bat Marie eindringlich darum, dass sie darauf achten solle, dass es vor und vor allem in der Kirche zu keinerlei Ausschreitungen komme. Marie merkte, dass er nicht so ganz überzeugt war von einem Rockkonzert in seiner Kirche.
Aber Marie versicherte ihm, dass Paddy es nicht als Rockkonzert, sondern eher als Gebetsabend sah. Ausserdem betonte sie, dass Paddy selbst sehr gläubig wäre und alles sehr ernst nahm.
Am Ende des Gespräches hatte Marie den Eindruck, ihn doch noch etwas beruhigt zu haben.








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