Das neue, alte Leben

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Tatsächlich hatte die Tatsache, dass Paddy vergeben war, eine enorme Wirkung auf ihr Gefühlsleben. Thomas zeigte sich in den Therapiestunden sehr kooperativ und einsichtig
Es schien wirklich möglich zu sein, wieder ein Familienleben zu beginnen. Für Yasmin war es schließlich das Beste und die Liebe zu Thomas würde mit Sicherheit auch wieder wachsen.
Es war ja nicht so, dass sie überhaupt keine Gefühle mehr für Thomas hatte. Es war halt nicht mehr so wie früher. Sicher, sie war die letzten Monate mit ihm sehr unglücklich gewesen. Aber so etwas gab es doch in jeder langen Beziehung einmal, oder nicht?
Marie quälte sich tagelang mit solchen Gedanken herum. Immer wieder schlichen sich auch Erinnerungen an Paddys Kuss in ihren Kopf. Wenn sie sich an diesen Moment erinnerte, bekam sie immer eine Gänsehaut. Aber sie musste diese Erinnerung in ihrem Herzen einschließen und durfte sich nicht von ihr verwirren lassen.
In der nächsten Therapiesitzung beschloss sie gemeinsam mit Thomas, dass es einen Neuanfang geben würde. Sie mussten ihrer Ehe noch eine Chance geben. Marie zwang sich dazu, Thomas wieder näher an sich heranzulassen und es war gar nicht so schwer wie sie gedacht hatte. Thomas war wie ausgewechselt in den letzten Wochen. Er behandelte sie sehr liebevoll und war damit einverstanden, dass sie ihre Freiheiten haben sollte.
Die Tatsache, dass Marie Paddys Konzert organisierte, machte ihm scheinbar nichts aus. Noch vor wenigen Monaten wäre das nicht möglich gewesen.
Was so eine Therapie doch nicht alles bewirken kann, dachte Marie.

Einige Tage später packte Marie ihre Sachen zusammen. Yasmin war bereits bei Thomas, damit sie ihr nicht im Weg herum stand. Mit gemischten Gefühlen verabschiedete sie sich von ihren Eltern. Einerseits freute sie sich, dass jetzt wieder eine Zeit zu dritt beginnen würde, andererseits spukten ihr immer wieder Erinnerungen an die letzten Monate vor ihrem Auszug im Kopf herum. Sie war so unglücklich gewesen.
Konnte es wirklich möglich sein, dass sich jetzt alles ändern würde?
Aber sie wollte fest daran glauben.
Als sie bei Thomas und Yasmin angekommen war, wurde sie von beiden freudig begrüßt. Thomas nahm sie in den Arm und sagte: „Schön, dass du wieder hier bist. Wir schaffen das schon." Dann zog er sie ganz fest an sich heran. Marie schnürte es die Kehle zu. Wieso empfand sie das nur als so unangenehm?
Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ Thomas sie los. Im Wohnzimmer traf sie dann der Schlag.
Es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Leere Gläser und Flaschen standen herum, der Boden war sicher tagelang nicht gesaugt, geschweige denn gewischt worden und der Teller vom Frühstück stand auch noch auf dem Tisch.
Dieses Bild zog sich durch die ganze Wohnung. Marie war enttäuscht. Hatte sie doch geglaubt, dass sie ihm was bedeuten würde. Warum hatte er sich dann nicht ein wenig ins Zeug gelegt? Er hätte doch die Wohnung aufräumen können, bevor sie wieder einzog, oder war das zu viel verlangt. Schon kochte sie wieder innerlich. Aber um nicht gleich wieder zu meckern, sagte sie nichts und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Sofort machte sie sich daran, die Wohnung aufzuräumen. Sie wollte ihn wenigsten darauf stoßen, wie es hier aussah. Aber ihn schien das nicht weiter zu stören. Ob er es wirklich nicht merkte?
Trotzdem gab sich Thomas schon Mühe. Abends kochte er und brachte sogar Yasmin ins Bett. Dass die Küche anschließend aussah wie ein Schlachtfeld ignorierte sie ausnahmsweise.
Auf dem Sofa beim Fernsehen kuschelte sie sich zögernd an Thomas. Auch, wenn es sich komisch anfühlte, sie versuchte sich fallen zu lassen und wieder zu Hause anzukommen

Das Konzert rückte immer näher und Marie hatte alle Hände voll zu tun.
Die letzten offenen Fragen mussten noch geklärt werden und letzten Vorbereitungen getroffen werden. Marie telefonierte fast täglich mit Marvin. Natürlich fragte sie auch immer wieder nach Paddy. Aber Marvin wusste auch nicht mehr. Er hatte Paddy noch nie mit seiner neuen Freundin gesehen. Auch sprach er nicht über sie und reagierte angefressen und genervt, wenn Marvin ihn darauf ansprach.
Na, das muss ja eine ganz besondere Frau sein, dachte Marie. Aber eigentlich konnte es ihr ja egal sein. Sie war nur sehr enttäuscht, dass Paddy sich nicht mehr bei ihr meldete. Naja, vielleicht wollte er auch vermeiden, dass sie ihn auf seine Freundin ansprach. Aber da brauchte er sich keine Sorgen machen. Sie würde ihn mit Sicherheit nicht darauf ansprechen. Es ging sie ja auch nichts an. Wenn, dann musste Paddy schon von sich aus kommen.
Marie hatte ihre Familie. Und sie musste zugeben, dass es sich sehr gut entwickelte. Sie machten viel zu dritt und konnten sogar ab und an gemeinsam lachen.
Thomas strengte sich an und gab ihr die Freiheiten, die sie benötigte, um das Konzert vorzubereiten. Das überraschte Marie. Allerdings bauten sich die Gefühle zu ihm nur sehr langsam wieder auf. Inzwischen empfand sie schon wieder mehr für Thomas, aber Liebe würde sie es momentan noch nicht nennen.
Trotzdem schien es langsam bergauf zu gehen.
Eines machte ihr allerdings schwer zu schaffen. Sie hatte kaum Zeit für ihre Musik.
Gerne hätte sie mal wieder an ihren Songs weitergearbeitet, aber wann sollte sie das denn machen? Oft schaute sie sehnsüchtig zu ihrer Gitarre rüber, wenn sie abends vor dem Fernseher saßen.
Aber wenn sie dann zu dritt auf dem Spielplatz waren und Yasmin sich freute, oder wenn sie gemeinsam spazieren liefen und Yasmin lächelnd beiden die Hand hinhielt, wusste sie, dass es das Wert war.




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