Seelenverwandt

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In seinem Hotelzimmer angekommen, ließ sich Paddy seufzend auf's Bett fallen.
Oh man! Was war nur los mit ihm? Wieso wurde er beim Gedanken an Marie nur so nervös? Er konnte sich doch nicht ernsthaft in sie verguckt haben! In eine verheiratete Frau! Oh nein. Das durfte nicht sein.
Aber warum war er dann so traurig, dass er sie jetzt lange Zeit nicht sehen konnte?
Paddy hing seinen Gedanken nach, dann nahm er seine Gitarre und klimperte ein wenig darauf herum.

"Jaja, und du hältst mir Vorträge", grinste Marvin, der den Kopf zur Tür hereinstreckte.
"Hä, wieso? Was meinst du damit?" fragte Paddy.
Marvin kam rein, setzte sich auf einen der beiden Stühle und schaute ihn ernst an.
"Jetzt mal ehrlich, Paddy. Was läuft da zwischen euch?"
"Was?" rief Paddy verdutzt.
"Ich hab euch doch da draußen gesehen. Wie ihr gemeinsam musiziert habt. Und deine schmachtenden Blicke sind mir auch nicht entgangen."
Paddy warf die Gitarre auf's Bett , sprang auf und lief im Zimmer auf und ab.
"So ein Quatsch. Es ging ihr nicht gut. Ich habe ihr zugehört und sie ein wenig aufgemuntert. Das ist alles."
Marvin sah ihm zu, wie er, wie ein Tiger im Käfig, seine Runden drehte. Dann schüttelte er den Kopf und sagte mit ernster Stimme:" Michael Patrick Kelly! Jetzt setz dich da hin und hör mir zu." Er deutete auf den freien Stuhl.
Paddy war so erschrocken über die Art und Weise in der Marvin mit ihm sprach, dass er sofort stehen blieb und sich auf den freien Stuhl setzte.

"So. Jetzt mal ehrlich, Paddy. Es bringt ja nichts wenn du es verdrängst. Ich kenne dich jetzt doch schon eine Weile. Und so habe ich dich noch nie gesehen. Du bist ja total durch den Wind!
Deine Blicke und Gesten waren eindeutig und wo ist überhaupt dein Kreuz? Laß mich raten. Es hängt um Maries Hals, oder?"
Paddy sah Marvin überrascht an. Dann sagte er:" Oh man, war das so offensichtlich?"
"Naja, für einen Freund wohl schon.
Paddy, das war deine Lieblingskette. Dieses Kreuz bedeutet dir so viel und du verschenkst es einfach so? Sie muss dir etwas bedeuten!"
"Ja, vielleicht hast du Recht. Aber, weißt du, ich verstehe mich selbst nicht. Ich habe so noch nie für jemanden empfunden. Ich weiß, es klingt kitschig, aber ich glaube wir sind irgendwie seelenverwandt." Marvin grinste. "Seelenverwandt?" fragte er spöttisch.
"Na toll. Erst drängst du mich, dir alles zu erzählen und dann machst du dich über mich lustig!"
"Sorry, war nicht so gemeint. Aber wie meinst du das?"
"Naja, ich habe das Gefühl, als würde ich sie schon mein Leben lang kennen. Dabei habe ich sie gestern zum ersten Mal gesehen. Ist das nicht komisch? Als wir zusammen gesungen haben, das war so...." Paddy fuhr sich durch's Haar.
"Ich kann es nicht erklären. Es war wie Magie!" Bei dem Gedanken daran flog ihm ein Lächeln übers Gesicht.

"Weißt du was, Paddy? Ich freu mich für dich. Du hast dich verliebt, das ist doch was Schönes!"
Paddy sprang von seinem Stuhl auf. "Sag mal, hast 'du was verpasst? Sie ist verheiratet", entgegnete Paddy aufgebracht. Das letzte Wort betonte er stark.
"Aber Paddy! Ich hab zwar nicht alles mitbekommen. Aber ihre Heulattacke zeigt mir, dass sie nicht glücklich ist. Oder liege ich da falsch? Und ihren Ehering hat sie auch nicht getragen.
Ich weiß, du bist sehr gläubig. Aber du hast selbst schon gesagt, dass es Beziehungen gibt, die nicht funktionieren.
Ich habe auch ihre Blicke gesehn. Da war was zwischen euch. Das kannst du nicht leugnen.
Also, wenn du mich fragst, schnapp sie dir. Aber das musst du selber wissen!"
Marvin stand auf und öffnete die Tür.
Er drehte sich nochmal um und sagte:
"Ich muss jetzt noch was arbeiten. Denk an dein Telefonat um 15Uhr!"
Dann verließ er Paddys Zimmer.

Marie musste erst einmal wieder zu sich kommen, als Paddy im Hotel verschwunden war.
Das konnte doch alles gar nicht wahr sein!
Erst gestern hatte sie ihn zum ersten Mal persönlich getroffen. Durch Zufall, wohl gemerkt. Und heute kam es ihr schon so vor, als würde sie ihn eine Ewigkeit kennen. Diese Vertrautheit zwischen ihnen und das schon nach so kurzer Zeit!
Sie hatte ihm ihr ganzes Privatleben erzählt. Nicht einmal ihre Kollegin, mit der sie bereits einige Jahre zusammen arbeitete, kannte die ganze Tragik ihrer derzeitigen Situation.

Wäre sie gestern nur einige Minuten früher oder später spazieren gegangen, oder wäre sie nicht, wie von Geisterhand geführt, ausgerechnet den Weg zur Kirche gegangen...
Sie hätte ihn nie getroffen.
Und jetzt hatte sie sein Kreuz um den Hals und einen Vertrag mit ihm unterschrieben, der dafür sorgte, dass es nicht nur bei dieser Zufallsbegegnung bleiben würde. Sie hatte sogar seine Emailadresse und die Kontaktdaten zu seinem Freund und Manager!
Irgendwie ging ihr das fast ein bisschen schnell.
Vorgestern hatte sie noch sehnsüchtig sein Lied angehört und sich gewünscht ihn noch einmal life singen zu hören, und heute hatte sie gemeinsam mit ihm gesungen.....

Konnte das wirklich alles nur Zufall sein? Gab es so etwas wie Schicksal?
"Vertrau dich Gott an", hatte Paddy gesagt.
Ja, vielleicht war genau das die Lösung.
Marie war zum ersten Mal seit langem in der Kirche gewesen.
Sie hatte Gott um Hilfe gebeten.
Und er hatte ihr einen Engel geschickt.....

Sehr irritiert von diesem Gedanken, radelte Marie auf dem Heimweg bei der Kirche vorbei.
Sie musste das für sich nochmal klar kriegen.
"Gottes Wege sind unergründlich", hatte ihre Mutter des Öfteren gesagt. Aber bisher hatte Gott relativ selten auf Maries Bitten gehört. Allerdings hatte sie in letzter Zeit auch nicht wirklich oft an ihn gedacht oder gar gebetet.
Warum sollte er ihr dann ausgerechnet jetzt so etwas Besonderes ermöglichen?
Einen Menschen zu treffen, der sie schon als Kind so gefesselt und fasziniert hatte!
Hatte sie es denn wirklich verdient, nachdem sie Gott so lange den Rücken gekehrt hatte?
Oder hatte es letztendlich überhaupt nichts mit Gott zu tun, sondern war schlichtweg ein dummer Zufall gewesen.
Aber konnte es Zufall sein, dass zwei Menschen sich auf den ersten Blick sympatisch waren und sich sofort so gut verstanden und vertrauten, als wären sie schon ewig befreundet?
Sie fand keine Antwort darauf.

Marie stellte ihr Fahrrad ab und öffnete die schwere Eingangstür.
Erneut kam ihr dieser wohlige Geruch entgegen, der bewirkte, dass sie sich gleich zu Hause fühlte.
So langsam wurde ihr bewusst, dass sie genau dieses Gefühl in letzter Zeit sehr häufig vermisst hatte.
Sich zu Hause zu fühlen.
Das ist etwas Existentielles, dachte Marie.
Man braucht dieses Gefühl um Glücklich zu sein.
Aber sie hatte es schon lange nicht mehr gespürt!

Ihre Arbeit quälte sie Tag für Tag.
Auch wenn die Kinder zum Großteil wirklich liebenswert waren und auch Einiges zurück gaben durch ihr Lachen und ihre Freude am Leben.
Aber alles andere stimmte hinten und vorne nicht.
Ihr taten oft die Kinder leid, die in dieser riesigen Einrichtung total überfordert waren und dieser ständige Stress, dass man auch ja bei jedem Kind alles gefördert hatte, was möglich war.
Es ging schon lange nicht mehr um das wohl jedes einzelnen Kindes, sondern vielmehr um die Öffentlichkeitsarbeit, wie ihre Chefin es immer nannte. Was nicht mehr heißt, als dass man möglichst oft in irgendeiner Zeitung erwähnt wird, bei öffentlichen Veranstaltungen der Stadt zu sehen ist,..u.v.m....
Ob die Kinder glücklich sind, ob sie vielleicht überfordert sind, ob sie lieber mal wieder spielen würden, als einen Programmpunkt nach dem nächsten zu absolvieren...?
Das juckte niemanden!
Marie konnte das alles schon lange nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren.
Also von Heimatgefühl konnte man dort also nicht sprechen.

Wenn sie dann nach Hause kam und mal wieder der Müll von Thomas in der ganzen Wohnung verteilt war, die Wäsche sich türmte und leere Mezzoflaschen herumflogen, wurde der Tag auch nicht besser.
Dann kam noch die sehr karge Kommunikation mit Thomas hinzu, in der es meistens um Yasmin oder seine Arbeit ging.
Anstatt einer stärkenden Umarmung oder anderen Zärtlichkeiten erwartete sie zu Hause nur Arbeit.
Also, das Zu-Hause-Gefühl konnte sich auch hier nicht wirklich einstellen!

Die einzigsten Momente, in denen bei Marie ein Stück Heimatgefühl aufkam, waren die Momente mit Yasmin.
Wenn sie lachend auf sie zugerannt kam oder sie gemeinsam auf dem Sofa kuschelten oder wild herumtobten und Yasmin vor Vergnügen gluckste und quietschte.
Dann fühlte sie sich ein Stück weit zu Hause!





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