Erklärung

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„Schönen Abend noch!", wünschte ich Frau Poulain, als ich mit Talia den Tanzsaal mit den großen Spiegeln verließ.

Im Auto angekommen, startete ich den Motor, um nach Hause zu fahren. Im Rückspiegel sah ich, wie Talia traurig auf ihre kleinen Finger sah. „Was ist los?", fragte ich also. „Ich will Ballett nicht mehr machen", wimmerte sie dann. „Aber du hast doch gerade erst angefangen", entgegnete ich. „Die anderen nennen mich Trampeltier oder Elefant", berichtete sie mir schniefend. Ich schaute wieder kurz in den Spiegel. Sie weinte. Traurig wischte sie mit ihrem Handrücken unter ihrer Nase entlang. Kinder konnten so gemein sein. „Schatz, hör mir zu. Du bist toll im Ballett und zudem wunderschön mit deinem Tutu. Du lernst dieses Tanzen und ich sehe, wie du immer besser wirst. Die anderen haben auch mal angefangen und waren bestimmt noch viel schlechter als du. Und ich könnte drauf Wetten, dass du mal die Beste von allen wirst. Die schönste und talentierteste Ballerina auf der Welt und dann wirst du auf den besten Veranstaltungen Tanzen." Talias Augen wurden bei meinen Worten groß. „Denkst du das wirklich?" Ich lächelte. „Natürlich." Auch sie lächelte und die Tränen waren vergessen.

Als wir dann zuhause ankamen, stiegen wir aus und gingen zur Haustür. „Wird Manuel mit mir zusammen tanzen?", fragte sie mich, als wir das Haus betraten und unsere Schuhe auszogen. In meinem Kopf spielte sich sofort ein kleiner Clip ab, wie Talia mit Manuel Ballett tanzte. Beide mit Zopf und rosa Kleidchen. Ich musste lachen, doch unterdrückte es schnell. „Frag ihn", gab ich also schmunzelnd von mir und ging dann in die Küche, gefolgt von einem hüpfenden Kind. „Kommt er morgen wieder?", fragte sie dann. Ich nahm uns zwei Gläser aus dem Schrank und löste in einem Brösel Eistee. „Er ist doch gerade mal drei Tage weg." Talia schnaufte. „Na und?" „Es dauert, bis er wiederkommt. Er wohnt doch ein Stück weg. Da kann man nicht mal eben vorbeikommen", antwortete ich und setzte mich zu ihr an den Tisch. Sofort griff sie nach dem Glas und trank ihren Eistee. „Dann fahren wir zu Manuel." Ich sah sie an. Natürlich wäre das auch eine Möglichkeit. Doch wollte Manuel das? Wollte ich das? Ich hatte aus irgendeinen Grund Angst. Wovor wusste ich auch nicht genau. „Wir müssen mal schauen", sagte ich schließlich und nippte überlegend an meinem Glas.

Nach einer Weile des beidseitigen für sich seins, seufzte Talia lautstark, was mich aus meiner Starre riss. Sie sah mich mit ihren großen brauen Augen an. „Was geht dir durch den Kopf?", fragte ich meine Tochter. „Warum küsst du Manuel? Das machen doch nur Mädchen und Jungs, wenn sie sich lieben." Neugierig sah sie mich an. Diese Frage. Wie erklärte ich einem Kind, wie kompliziert die Liebe war und das es nicht nur liebe zwischen dem unterschiedlichen Geschlecht gab, sondern auch für das gleiche? „Das ist ziemlich kompliziert", fing ich also an zu erklären. „Wenn zwei Menschen sich sehr gerne haben, und sich lieben, dann küssen sie sich. Das machen nicht nur Jungs und Mädchen, sondern auch Jungs mit Jungs oder Mädchen mit Mädchen. Man muss sich nur lieben." Ich hoffte, sie verstand diese durchaus merkwürdige Erklärung. Doch sie runzelte die Stirn.

„Liebt ihr euch?" Noch immer lag ihre kleine Stirn in Falten. „Ich denke schon, ja." Als ich das sagte, musste ich innerlich grinsen. Ich Begriff es selbst noch nicht ganz. Es war unwirklich, dass zwischen Manuel und mir wieder alles entflammte. „Ist er dann meine Mama?", fragte sie dann. „Nein. Deine Mama ist deine Mama und bleibt deine Mama. Manuel ist für dich Manuel. Nichts weiter." Mir zog sich der Magen zusammen. Manuel war nichts weiter. Konnte Talia zwei Väter vertragen? Würde es akzeptiert werden in ihrer Schule, wenn ihre Papas sie abholen oder bringen. Ich wusste ja, Kinder konnten Teufel sein und ich wollte nicht, dass Talia gemobbt wurde. Und erstrecht nicht wegen mir und meiner Sexualität. Mit Frau Poulain müsse ich auch noch mal sprechen, damit die anderen Mädchen nicht mehr sowas zu Talia sagen.

Ich stutzte. Konnte es denn überhaupt funktionieren mit Manuel, wenn all diese Hindernisse da waren? Nicht nur die Entfernungen und das er zu mir ziehen müsste, wenn wir irgendwann diesen Schritt machen wollen. Auch wegen Talia. Sie war mir das wichtigste und für sie würde ich auf mein eigenes Glück verzichten. Ich würde auf Manuel verzichten.

Vergangenheit / KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt