Zwanzig

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Dilay.
Am nächsten Tag stand Sinem am Nachmittag bei uns, so saßen wir zu dritt – ich hatte Dilruba auch dazu geholt, da sie sich mit Sinem gut verstanden – in meinem Zimmer. Alle drei mit einem Kaffee in der Hand schwiegen wir, bis dieses Schweigen von Sinem unterbrochen wurde.

„Ihr Zwillinge macht beide etwas falsch", sprach sie, worüber wir lachen mussten. „Scheint leider so", antwortete ich seufzend. „Dann erzähl mal, wo das Problem liegt."
„Ich weiß nicht Sinem, es ist nur so kompliziert."
„Was genau? Dilay, ihr kennt euch in- und auswendig, ihr wisst, was der andere denkt, ohne es ausgesprochen zu haben. Wieso machst du es euch dann so schwer?"
Ich holte tief Luft und fing an das eigentliche Problem zu schildern. „Das ist es ja. Genau das. Das zwischen Besim und mir ist so verdammt wertvoll und um ehrlich zu sein, will ich das nicht aufgrund unserer Gefühle aufs Spiel setzen. Eine Beziehung ist etwas komplett anderes. Ein Fehltritt kann uns das Genick brechen, dann ist jedoch auch unsere Freundschaft hin. Ich will das nicht riskieren, verstehst du? Ein Fehltritt dann ist nicht nur unsere Beziehung hin, sondern auch unsere Freundschaft und das wäre viel zu schmerzvoll."
Sinem nickte verstehend. „Aber so setzt du auch eure Freundschaft aufs Spiel. Besim ist ziemlich neben der Spur, von Deniz weiß ich, dass er mit dir sprechen will, aber er nicht weiß, was er sagen soll. Er überlegt sogar, dir zu sagen, dass du sein Geständnis vergessen sollst und ihr euch einfach um eure Freundschaft kümmern sollt." Auf diese Worte wurden meine Augen groß und ich spürte, wie sich eine Hand um mein Herz legte und zudrückte.

„Besim würde darunter zerbrechen!"
„Nur Besim?", fragte sie mich durchdringend und griff dann nach meinen Händen. „Ich verstehe deine Ängste und Bedenken, an deiner Stelle würde ich auch nicht wirklich wissen, wie ich handeln soll. Aber Dilay merkst du nicht, dass selbst du mehr fühlst, dass ihr schon immer mehr als nur beste Freunde wart. Glaub mir jeder, wirklich jeder, hat euch als Paar gesehen, niemand hat euch als beste Freunde gesehen." Auf ihre Worte schluckte ich schwer. Ich wusste, hatte schon immer gewusst, dass wir von außen wie ein Paar aussahen, manchmal hatte ich das Gefühl gehabt, selber so zu fühlen. Denn Besim und ich standen uns schon immer nah. Ziemlich nah. Vielleicht sogar zu nah.
Auch hatte ich immer gewusst, dass niemand, den wir an unsere Seite zulassen würden diese Nähe akzeptieren würde und um ehrlich zu sein hätte ich das niemandem übel nehmen können. Denn ich wäre selber nicht damit klargekommen, wenn der Junge, der an meiner Seite stehen würde, einem anderen Mädchen so nah stehen würde. Irgendwie war alles so paradox, dass ich nicht damit klarkam.

Eine Weile lang hatten wir geschwiegen, waren danach mit Boncuk spazieren gegangen, doch hatten das Thema nicht mehr eröffnet. Da Sinem gemerkt hatte, dass ich nun meinen inneren Kampf ausfechten und dann eine Entscheidung treffen musste.

Am Abend hatte mir Besim geschrieben, ob ich mit ihm zur Arbeit wollte. Ich wusste, dass seine Worte eigentlich einen anderen Inhalt hatten. Dass er mich darum bat ihm nicht zu entgleiten. Doch ich wusste, wenn ich mit ihm mitgehen würde, hätte ich keine Zeit zum Nachdenken, beziehungsweise würde mich diese Situation nur noch mehr einengen, weil ich immer noch keine Entscheidung getroffen hatte und das wiederum würde Besim merken. Ihm würde das schaden und somit würde es auch mir alles nur noch mehr erschweren. Es war ein scheiß Teufelskreis, aus dem ich nicht rauskam, doch ich wollte bis Morgen eine endgültige Entscheidung treffen und dann handeln. Also brauchte ich für heute Abstand.
Weswegen ich ihm gesagt hatte, dass mein Vater wollte, dass ich Zuhause blieb. Es war eine Lüge und das wusste auch er, doch er nahm es einfach so hin, was mich nur noch mehr in den Wahnsinn trieb. Es war dumm, aber trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass er eine Reaktion gezeigt hätte. Von mir aus hätte er mich auch anschreien können, wir hätten streiten können, doch Besim nahm alles stumm hin, dabei zerbrach er darunter.

All diese Gedanken engten mich zu sehr ein, weswegen ich auf unsere Terrasse lief und es mir dort auf der Hollywood-Schaukel bequem machte. Kurz darauf erschien auch schon Erdinç und ließ sich ebenfalls auf der Schaukel nieder.
„Normale Menschen fragen, ob sie dürfen."
„Normale Menschen fragen normale Menschen, ob sie dürfen. Da du jedoch kein normaler Mensch bist, habe ich es nicht als nötig empfunden dich zu fragen."
„Wieso bin ich kein normaler Mensch?"
„Aufgrund deines derzeitigen Verhaltens." Auf seine Worte wusste ich nicht, was ich antworten sollte, weswegen ich es einfach so stehen ließ – aber ganz bestimmt nicht hinnahm.

Binjak⚓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt