Dreißig

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Dilay.
„Komm rein", ertönte die Stimme meines Bruders, nachdem ich an seiner Tür angeklopft hatte.
„Dein aller liebster Lieblingsmensch ist da", sprach ich sein Zimmer betretend. Erdinç würdigte mir keinen Blick, das war dann wohl die Antwort auf meinen Satz.
War wohl doch nicht sein aller liebster Lieblingsmensch. Doch da ich es mir zur Aufgabe gemacht hatte meinen Bruder zu ärgern, tat ich das nun auch.
„Ich weiß, dass du mich sehr vermisst hast, Bruderherz, du brauchst dich deswegen nicht in Schweigen hüllen."
„Kannst du mal fünf Minuten deine Klappe halten?" Auf seine Worte bemerkte ich, dass er wirklich beschäftigt war, weswegen ich mich hinter ihn stellte und auf seinen Laptop blickte.
Er tippte irgendwas ein, schnell verstand ich, dass es etwas mit der Uni zu tun hatte, weswegen ich die Klappe hielt, denn wenn Erdinç -vor allem mit der Uni beschäftigt war-, hasste er es gestört zu werden und vor so einem ernsten Gespräch war es bestimmt nicht von Vorteil ihn auf die Palme zu bringen. Also setzte ich mich auf sein Bett und fing an mich mit meinem Handy zu beschäftigen.
„Was willst du schon wieder?", weckte mich Erdinç aus der virtuellen Welt.
„Ich bewundere unsere Geschwisterliebe!", stichelte ich aufgrund seines Satzes.
„Dilay!"
„Ist ja gut. Ich wollte mit dir reden." Erst jetzt drehte er sich zu mir und blickte mir ins Gesicht. Ich wusste zwar nicht, was er da sah, aber er nickte verstehend und drehte sich erneut zu seinem Laptop.
„Gib mir noch fünf Minuten."
„Die habe ich dir eben schon gegeben."
„Und das juckt mich um genau zu sein wo?"
„So wie es scheint nirgends. Wieso hast du dann nicht direkt gesagt, dass du länger brachst?" Er seufzte. „Ich dachte, dass du mir nur etwas Unnötiges mitteilein willst."
„Ich und etwas Unnötiges mitteilen? Wo hast du denn sowas mitbekommen?"
Er drehte seine vielsagenden Blicke zu mir und dann aber wieder zu seinem Laptop. Sein Blick war Antwort genug, doch ich ließ mich davon nicht beirren.
„Wenn es doch so wie du sagst, etwas Unnötiges wäre, wieso hast du mich dann so lange dafür warten lassen? Dann hätte ich es direkt raushauen können."
„Du hast mich in meinem Denkprozess unterbrochen, deswegen."
„Denkprozess? Du kannst denken? Seit wann hast du denn überhaupt ein Gehirn?"
Als Erdinç anfing erneut auf seinem Laptop zu tippen hatte ich begriffen, dass er mir auf meine unnötige Aussage keine Antwort liefern würde. Kurz darauf speicherte er das Word Dokument ab, klappte seinen Laptop zu und rückte seinen Schreibtischstuhl direkt vor mich, mit seiner Hand machte er ein Zeichen damit ich anfing zu erzählen.

Als ich fertig war, verbarg Erdinç sein Gesicht hinter seinen Händen.
„Abi?", weckte ich ihn aus seinen Gedanken, langsam nahm er seine Hände von seinem Gesicht und sah zu mir. Seine Emotionslosigkeit machte mir Angst. Ich hatte vermutet, dass mir seine Wut Angst machen würde, doch das hier war viel schlimmer als seine Wut. Tief blickten wir uns in die Augen, bis er seine Brauen zusammenzog.
„Was verschweigst du?"
„Nichts", kam es wie aus der Pistole geschossen.
„Also doch etwas. Rück mit der Sprache raus, Dilay."
„Da ist nichts."
„Wissen es die Jungs?"
„Nein." Er griff nach seinem Handy und ich wusste, dass er Besim anrufen würde. „Wieso kannst du dich nicht damit zufrieden geben, was ich dir erzählt habe?"
„Weil ich alles wissen muss, dein Zwilling ist auch meine Schwester, falls du dir dem bewusst bist."
„Abi-" „-entweder sagst du es mir oder ich bringe es schon in Erfahrung."
„Dann versuch es", sprach ich meine Arme verschränkend. Seine Augen verkleinerten sich.
„Besim wird aus Loyalität dir gegenüber nicht sprechen. Aber ich denke Zeynel wird froh darüber sein, wenn ich ihm unter die Arme greife."
„Du bist so ein-!"
„Mach nur weiter."
„Ich hasse es, wenn du das machst!"
„Dann merk dir eins Dilay, wenn du das nächste Mal Hilfe von mir brauchst oder mir etwas erzählen willst, dann mit der ganzen Wahrheit, sonst kannst du es dir direkt sparen. Erzähl jetzt."
Also fing ich an widerwillig auch den Part zu erzählen, den ich eigentlich vor Erdinç geheim halten wollte. Sollte.

„Wenn du Dilruba anmerken lassen solltest, dass du es weißt, dann reiße ich dir den Kopf ab." Er ging gar nicht auf meine Worte ein, doch wusste ich, dass er unserer Schwester nicht anmerken lassen würde, dass er es wusste.
„Was habt ihr geplant?", fragte er mich stattdessen.
„Ich werde dir nie wieder etwas erzählen", seufzte ich.
„Hör auf Versprechen zu geben, an die du dich nicht halten wirst."

Binjak⚓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt