Sechsundzwanzig - Teil I

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Dilay.
Nachdem Dilruba erneut in einen unruhigen Schlaf gefallen war – meine Brüder und Iklim waren gegangen – lief ich Richtung Wohnzimmer, denn insgeheim hatte ich die Befürchtung, dass sich die Jungs – Besim und Zeynel – die Köpfe einschlagen würden. Vor der Tür des Wohnzimmers blieb ich stehen, aus dem Raum war kein Mucks zu hören.
Ob mich das beängstigen sollte? Ob sie sich umgebracht hatten? Ich wusste es nicht. Durch den offenen Türspalt spähte ich in den Raum rein.

Beide saßen sie auf der Couch und schwiegen sich an. Doch ich merkte, dass Besim reden wollte, weswegen ich nicht das Wohnzimmer betrat.
„Zeynel", ertönte seine Stimme auch schon darauf. Zeynels Blicke drehten sich zu ihm. „Ich weiß, vermutlich bin ich der falsche Mensch und vermutlich willst du auch gar nicht mit mir darüber reden, was ich wirklich verstehen kann. Aber falls du dir die Seele freisprechen willst, ich höre zu." Zeynels Gesicht wurde von einem Lächeln geziert.
„Das weiß ich zu schätzen – trotz allem. Es ist nur, dass ich nicht so genau weiß, wo ich anfangen soll." Er lehnte seinen Kopf gegen die Lehne des Sofas und fuhr sich verzweifelt durch das Gesicht. Als er erneut zum Sprechen ansetzte, tapste ich leise in die Küche. Ich wollte die Jungs nicht belauschen, sie hatten es nötig miteinander zu sprechen und falls Zeynel wollen würde, dass ich all das auch zu hören bekam, dann würde er mit mir auch schon darüber sprechen.

In der Küche fing ich an mir einen Kaffee vorzubereiten, setzte mich dann auf einer der Barhocker – natürlich hatte Besim keine normalen Stühle in seiner Küche, auch sein Tisch, war ein Bartresen.
Während ich zuließ, dass mich der Geruch des Kaffees entspannte, schloss ich meine Augen. Dieser Geruch war Liebe und Beruhigung pur!
Meine Hand glitt zu der Tasche meines Pullis, wo ich mein Handy rausnehmen wollte, doch dann fiel mir ein, dass es bei Besim war. Seufzend zog ich meine Hand also wieder raus und schlürfte langsam meinen Kaffee.

Als Besim in der Küche auftauchte, hatte ich meinen Kaffee schon lange fertig und hatte meinen Kopf an die Wand gelehnt, meine Augen geschlossen.
„Brauchst du was?", fragte ich ihn mit einem müden Lächeln, so als ob er in meiner Wohnung war und nicht andersrum.
Besim kam vor mir zum Stehen, umfasste meine linke Hand und führte diese zu seinem Mund, wo er mir auf meinen linken Ringfinger, genau auf mein Tattoo einen Kuss gab. Dieser Kuss hatte für mich viel mehr Bedeutung als ein Kuss auf die Stirn. Denn dieses Tattoo verband uns, es verband uns auf Ewigkeit, wie ein durchsichtiges Seil. Doch unser durchsichtiges Seil war unser Anker.

Mein Lächeln wurde größer, während ich ihn an mich zog und meinen Kopf auf seiner Brust absetzte. Denn ich war verdammt erschöpft und Besim gab mir Ruhe. Ich spürte seine Lippen an meinem Haaransatz. „Dir geht es nicht gut", wisperte er, während ich aus seiner Stimme hören konnte, dass ihm das ganz und gar nicht gefiel. Da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, blieb ich still.
„Plagen ihre Träume dich?", fragte er, nachdem er etwas Abstand zwischen uns gebracht hatte, so dass er mir ins Gesicht schauen konnte.
„Musst du mich so gut kennen?"
„Wäre schade, wenn nicht."
„Was wolltest du?", fragte ich das Thema stur beendend.
„Schlechter Versuch. Kaffee wollte ich uns machen." Ich wollte aufstehen, um den Jungs Kaffee vorzubereiten, doch Besim drückte mich auf den Barhocker. „Bleib sitzen, Dilay!", warnte er mich.
„Mir geht es gut."
„Du siehst beschissen aus."
„Danke?"
„Bitte."
„Arschloch", murmelte ich leise.
„Das habe ich gehört!"
„Und jetzt?"
„Halt die Klappe oder ich bringe dich zum Schweigen", gab er zwinkernd von sich. Hatte ich schon Arschloch gesagt? Nein? ARSCHLOCH!

„Krieg ich mein Handy wieder?"
„Erst wenn ich es durchsucht habe."
„Mutierst du jetzt zu einem krankhaft eifersüchtigen Freund?"
„Darauf stehen Mädchen ja anscheinend."
„Kleine naive Mädchen vielleicht." Er lachte leise.
„Was für Nachrichten waren auf Insta?"
„Nichts wichtiges." Das hieß genau das Gegenteil.
„Besim", warnte ich ihn.
„Nichts wichtiges habe ich gesagt."
„Ich habe ein Recht das zu wissen!"
„Zemer, du redest zu viel, ich schwöre. Gleich muss ich dich zum Schweigen bringen, dann bin aber nicht ich schuld daran." Genervt rollte ich mit den Augen. Besim stellte beide Tassen auf dem Tisch ab und stellte sich erneut vor mich. „Mach dir darum keine Gedanken, ja? Ich habe alles geklärt, scheiß einfach drauf. Die nächsten Nächte werden deine Kräfte genug rauben, da brauchst du nicht auch noch an diese Dinge denken", sprach er mir einen weiteren Kuss auf mein Tattoo gebend.
„Danke", murmelte ich meinen Kopf in seiner Halsgrube versteckend und seinen Duft tief in mich ziehend.

Binjak⚓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt