Dilruba.
Schweißgebadet wachte ich auf, während mir ein Wimmern entfloh.
„Shht beruhig dich", hörte ich mit einem Mal eine Stimme sanft zu mir sprechen, weswegen ich erschrocken meinen Kopf hob und auf einmal Zeynel im Raum erblickte. Die Situation schien so surreal, dass ich meine Augen schloss und diese dann erneut öffnete. Zeynel stand nun etwas näher bei mir.
„Darf ich?", fragte er auf den Rand des Doppelbettes deutend. Erst da realisierte ich, dass ich nicht in meinem Zimmer lag. Somit verlor die Situation auch an Surrealität.Langsam schaffte es mein Verstand sich zu sammeln, worauf ich mich daran erinnerte, dass ich in Besims Wohnung war und das hier sein Bett war.
Als ich mir bewusst wurde, dass Zeynel eine Antwort von mir erwartete, drehte ich meine Blicke zu ihm und sah in sein erwartungsvolles Gesicht. Nickend gab ich die Antwort, die er von mir erwartete. Vorsichtig setzte er sich an den Rand des Bettes und fing an mich zu beobachten. Ich legte meinen Kopf leicht nach hinten, so dass er durch die Wand gestützt wurde und schloss meine Augen.
Sobald mich die quälenden Bilder jedoch einholten, öffnete ich diese und ließ meine Tränen fließen. Zeynels Hand reichte mir ein Glas Wasser -von der Flasche- welche auf der Kommode war. Meine Hand wollte danach greifen, doch er führte sie behutsam an meine Lippen. Unwillkürlich ließ diese Geste meine Lippen kurz zu einem Lächeln aufzucken. Aus seiner Hand trank ich das Wasser, während unsere Augen ineinander verharrt waren. So viel hatten wir uns zu sagen.Zeynels Blick war so intensiv, dass ich mit einem Mal das Schlucken vergaß, weswegen ich anfing zu husten. Schnell legte er das Glas auf die Kommode und näherte sich mir, um mir auf den Rücken zu klopfen, doch ich schreckte vor seiner Berührung zurück. Diese Geste von mir ließ eisige Stille zwischen uns entstehen. Ich hatte keine Angst vor ihm oder seiner Berührung, ich wusste, Zeynel würde mir nie etwas zu leide tun, dennoch... Dennoch konnte ich diesen Reflex nicht verhindern und sah in seinen Augen den Schmerz, den Ekel, die Wut und die Enttäuschung.
„Ich tue dir nicht gut", wisperte ich die Tatsache, die auf mir lastete. Seine Lippen zogen sich zu einem leichten Lächeln.
„Liebe muss nicht immer gut tun, Dilruba." Das stimmte allerdings, weswegen ich nickte.
„Du hast Recht. Aber ich tue dir nie gut."
„Das stimmt nicht."
„In letzter Zeit schon." Darauf blieb er still. „Siehst du", sprach ich schmerzhaft lächelnd. „Und jetzt?"
„Ich will nicht, dass du wegen mir leidest."
„Das heißt?" Die Worte, die ich verwenden wollte, würden mein Herz in Flammen setzen, weswegen mein Mund nicht bereit war sie auszusprechen.
„Verlange von mir nichts, dessen Schmerz du nicht tragen kannst", sprach Zeynel so ernst, dass es fast schon wie eine Warnung klang.
„Was ist mit deinem Schmerz, Zeynel?"
„Ich komme damit klar, Dilruba. Es ist kein Schmerz, den ich nicht tragen kann. Abgesehen davon, liebe ich selbst den Schmerz, den du verursachst."
„Ich verdiene dich nicht", sprach ich schmerzerfüllt.
„Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht werde ich irgendwann große Fehler machen und werde angewiesen darauf sein, dass du mir verzeihst." Auf seine Worte lachte ich leicht.
„Daran glaubst du doch selber nicht."
„Muss ich auch nicht, den meistens werden wir genau mit dem konfrontiert."Schweigen entstand zwischen uns, welches durch das Aufgehen der Tür unterbrochen wurde. Dilay sah erstaunt zu uns – vermutlich hatte sie nicht mit Zeynel gerechnet.
„Als ich aus dem Klo trat, habe ich Dilruba gehört, bin dann zu ihr geeilt", erklärte er sich meiner Schwester, obwohl er wusste, dass das unnötig war. Denn solche Details interessierten meine Schwester nicht. Dilay beschäftigte immer nur das Ergebnis, nicht wie es dazu kam. Und ich wusste, dass sie genau aus diesem Grund auch wütend auf mich war, weil ich im Club war. Die äußeren Umstände – das Wieso, Weshalb, Warum – interessierte sie herzlich wenig, dem war ich mir bewusst.„Das Frühstück ist fertig", teilte sie uns mit, während sie sich neben mich setzte und mir tief in die Augen sah. „Geht's dir besser?", hakte sie besorgt nach und brachte mich zum Lächeln. „Nach dem Frühstück kannst du duschen, dann wirst du dich bestimmt noch besser fühlen."
„Ich will Zuhause duschen", teilte ich ihr mit, da es sich falsch anfühlte in Besims vier Wänden zu duschen. Vielleicht war es ein absurder Gedanke, doch so fühlte es sich nun mal an. Dilay konnte meinem Gedankengang folgen, auch wenn sie ihn nicht wirklich verstehen konnte.
„Okay", sprach sie zögernd, was mich stutzig werden ließ. Kurz überlegte ich, bis mir einfiel, dass meine Brüder in der Nacht auch da waren. Mit einem Mal überkam mich eine noch größere Scham als schon vorhanden. Das Bartu das Geschehene wusste, war beschämend, doch das war noch zu händeln. Über Erdinç konnte ich nicht dasselbe behaupten.
Er war unser älterer Bruder und unsere Eltern hatten uns beigebracht stets respektvoll zu sein, vor allem Älteren gegenüber. Und dass mein Bruder nun über alles Bescheid wusste, sorgte dafür, dass ich mich in Grund und Boden schämte.
„Wie hat er reagiert?", fragte ich Dilay ängstlich.
„Lasst uns frühstücken, danach können wir darüber reden, sonst wird das Omelett noch kalt", ertönte Besims Stimme, welcher am Türrahmen stand. Das seine Worte einer Ablenkung galten, war mir bewusst. Stumm liefen wir alle aus dem Zimmer.
"Ich komme gleich nach", murmelte ich, vor dem Badezimmer stehen bleibend, nachdem ich Zustimmung bekam, betrat ich das Bad. Mit kaltem Wasser wusch ich mein Gesicht, um zu mir zu kommen. Mein Blick blieb an meinem Gesicht hängen und ich merkte, wie mein eigener Anblick mich anekelte. Wie sehr mir mein Spiegelbild verhasst war.Am Frühstückstisch traute ich mich gar nicht aufzusehen, denn je bewusster ich mir meiner Taten wurde, umso mehr schämte ich mich für diese.
Als Stille entstand -Dilay und Besim hatten miteinander über Belangloses gesprochen, damit die Stille nicht ohrenbetäubend laut wurde- sah ich auf. Alle Blicke lagen auf mir.
"Ist was?", fragte ich unsicher.
"Hat dir wohl nicht geschmeckt", kommentierte Besim auf den Teller deutend. Mein Blick glitt auf meinen Teller, wo das Omelett ungerührt rumstand, danach blickte ich auf die Teller der anderen, sie hatten schon zu Ende gegessen, während ich lediglich in meinem Teller herumgestochert hatte.
"Doch war lecker, aber ich habe keinen allzu großen Hunger." Was für eine Lüge! Denn das Omelett hatte ich nicht mal probiert.
"Ich verstehe", piesackte mich Besim. Leicht lächelte ich.
"Ich bin nicht Dilay, werde mich auf deine Provokation nicht einlassen." So konnte man aus Dilay ihre stille Wut herausziehen. Normalerweise zeigte sie ihre Wut immer offen, doch wenn ihre Wut sehr tief war, hielt sie sie still, damit sie nicht andere damit verbrannte. Doch allein durch eine kleine Provokation konnte man selbst diese stille Wut aus ihr rauskitzeln. Etwas was bei mir nicht klappte, dafür fraß ich alles viel zu sehr in mich rein."Habe ich bemerkt, ist ja langweilig", kommentierte Besim die Situation.
"Also geht es immer nur darum, dass du Spaß an der Sache hast und nicht darum, dass ich meiner Wut freien Lauf lasse?"
"Du hast das falsch verstanden, Zemer. Aber ich kann nicht leugnen, dass es extrem Spaß macht, dich zu provozieren."Während die beiden in eine kleine Diskussion verwickelt waren, bemerkte ich Zeynels Blicke auf mir, weswegen ich zu ihm sah, aber den Augenkontakt mied.
"Du musst essen", sprach er eindringlich zu mir.
"Ich habe im Moment keinen Hunger."
"Okay, aber dann versprich mir zumindest, dass das nicht zu einem Dauerzustand wird." Ich nickte lediglich, weil ich wusste, dass er mir keine Ruhe geben würde.
"Versprich es Dilruba."
"Versprochen."
"Schau mir dabei in die Augen."
Unruhig fing ich an auf meiner Unterlippe rumzukauen, bis zwei Finger an mein Kinn fassten und meinen Kopf aufrichteten.
"Versprich es mir, jetzt" schwer schluckte ich.
"Zeynel-", ich brach ab und schloss meine Augen, da ich es nicht schaffte in sein Gesicht zu blicken.
"Hör auf dich so zu benehmen, als ob du eine Schuld tragen würdest -an dem, was war."Seine Finger stieß ich mit meiner Hand ab.
"Ich trage aber Schuld an all dem! An allem, einfach an allem!", rief ich überfordert, während ich aufstand und aufschluchzen musste. Zeynel wollte erneut zum Reden ansetzen, doch wurde von Dilay unterbrochen.
"Zeynel, es ist in Ordnung, lass sie ihren Schmerz leben", sprach mein Zwilling, doch ich wusste, dass sie es sah. Dass sie sah, wie viel ich mit mir trug und dass dieses nicht nur mit dem Geschehnis von gestern begrenzt war.Schmerzvoll schloss ich meine Augen und dachte darüber nach, wie ich all das Dilay erzählen sollte, konnte. Es legten sich Hände auf meine Schultern.
"Egal was ist, ich werde dich deswegen nicht verurteilen", flüsterte die vertrauenswürdige Stimme meiner Schwester und ich wusste -auf ihr Wort konnte ich mich verlassen.
Doch wie sollte ich ihr davon nur erzählen?Hoffentlich hattet ihr viel Spaß beim Lesen meine lieben Zuckermenschen!❤
Eure Verâ
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Binjak⚓
Teen Fiction"Shared Dreaming" ein Phänomen, welches die Wissenschaft noch nicht untersucht hat. Doch Dilay und Dilruba können darauf schwören. Denn die Zwillinge hatten so oft denselben Traum. So oft, dass sie es irgendwann sein lassen haben mit zuzählen. Obwoh...