Kapitel 25

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»Was willst du denn hier?«, schnauzte ich Michael an. So langsam reichte es mir. »Ich habe versucht, dich zu erreichen. Aber von dir kam nichts, deshalb dachte ich... ja.« Verlegen kratzte er sich am Kopf. »Michael, du kannst nicht einfach herkommen. Ich habe dir gesagt, dass ich dich nicht mehr sehen möchte, bis sich das alles geklärt hat.« Noch immer stand ich in der Tür und er nun vor mir. »Aber Nele, du musst mich doch auch verstehen. Ich bin doch nicht blöd. Ich merke doch, dass du auch etwas empfindest. Warum kannst du es nicht zulassen? Das ist doch nicht schlimm.« Gott, was sollte das nur? »Pass mal auf. Ich sage es dir jetzt ein letztes Mal. Ich habe echt keine Lust mehr auf dieses Theater. Ich habe absolut keine Gefühle für dich, ok? Daran wird sich nichts ändern. Das kann ich dir versichern. Und jetzt reicht es mir. Ich bin einfach nur noch genervt von dir. Und ich möchte jetzt, dass du gehst.«

Ich schnappte nach Luft. Die Worte strömten aus meinem Mund, ich hatte nicht einmal durchgeatmet. Sein Blick war undurchdringlich. Ich konnte nicht genau sagen, was er empfand. Sicherlich verletzten ihn meine Worte, aber was sollte ich tun, wenn er es anders nicht verstand und mir keine andere Möglichkeit ließ? Er öffnete den Mund und sein Gesichtsausdruck veränderte sich. »Du redest Schwachsinn«, wollte er mich besänftigen. Wie konnte dieser Mann nur so blöd sein? In mir brodelte es. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Ich werde jetzt wieder reingehen. Und du wirst das Haus hier verlassen und am besten nicht wiederkommen.« Ich ging zurück in die Wohnung und wollte die Tür schließen, doch er stellte sein Bein dazwischen. »Was soll das?«, fauchte ich ihn an. Sein Blick war nun verändert. Härter. Kälter. »Das wirst du noch bereuen, Miststück.« Er spuckte mir die Worte regelrecht ins Gesicht.

Dann zog er den Fuß zurück und ich schloss schnell die Tür. Mein Herz raste. Sein Blick hatte mir Angst gemacht. Und seine Worte auch. Ich sackte zusammen. Warum machte er es mir so schwierig und drohte mir dazu noch? Ich konnte jetzt unmöglich alleine sein. Auf wackeligen Beinen ging ich ins Wohnzimmer und schnappte mir mein Handy. Ich musste Julia anrufen. Sie nahm sofort ab und sagte: »Ich dachte mir ja, dass du mich vermisst, aber dass du mich so schnell anrufst – damit habe ich nicht gerechnet.« Sie hörte sich gut gelaunt an und ich konnte es verstehen. Wir hatten einen schönen Abend miteinander verbracht.

»Kannst du bitte wieder zu mir kommen?« Meine Stimme war nun heiser und etwas abgeschnürt. Erschrocken und mit einem leichten Hauch Panik fragte sie: »Was ist passiert?« Als ich nicht antwortete, wiederholte sie ihre Frage: »Nele, was ist passiert?« Ich schluchzte ins Handy. »Michael...«, brachte ich nun hervor, dann brache meine Stimme weg. »Ich bin sofort da«, meinte sie prompt und legte auf. Ich rannte ins Bad und übergab mich. Er hatte mich nicht angefasst, aber es fühlte sich so an. Ich fühlte mich dreckig, obwohl ich doch alles richtig gemacht hatte, oder?

Dann klingelte es. Ich traute mich nicht zur Tür. Dann rief Julia mich an. Ich nahm ab. »Mach bitte auf, ich bin es.« Ich drückte auf den Knopf und hörte das Surren der Anlage, die unten die Tür öffnete. Ich sah, wie Julia immer zwei Stufen nahm und plötzlich vor mir stand. Ich konnte nur weinen und sie kam rein und nahm mich sofort in die Arme. Ihr vertrauter Geruch tat mir so unglaublich gut. »Kannst du bitte bleiben?«, fragte ich sie schüchtern und sie erwiderte: »Natürlich, so lange du willst!«

Wir gingen ins Wohnzimmer und setzten uns auf die Couch. Sie hielt meine Hand und fragte noch einmal besorgt: »Erzählst du mir jetzt, was passiert ist?« Ich drückte ihre Hand. »Ja, eigentlich ist nichts passiert.« Auffordernd sah sie mich an. »Eigentlich? Eigentlich doch schon. Sonst hättest du mich nicht angerufen.« Ihr Blick war nun liebevoll. Ich öffnete mich ihr: »Michael war kurz nach dir hier. Ich habe ihm endgültig gesagt, dass er mich in Ruhe lassen soll. Er kann das nicht akzeptieren, er denkt, dass ich Gefühle habe, aber sie nur nicht zulassen kann. Ich wollte dann, dass er geht und bin zurück in die Wohnung...« Ich machte eine Pause. Die Situation überforderte mich. Beruhigend streichelte sie meine Hand. »Er hat seinen Fuß einfach zwischen die Tür gestellt und mir gesagt, dass ich es noch bereuen werde und er hat mich als... als Miststück betitelt.« Nun musste ich schlucken. Erschrocken riss Julia die Augen auf.

»Das musst du dir echt nicht bieten lassen. Du bist kein Miststück, Nele. Du bist die wundervollste Frau, die ich kenne. Wir sollten ihn anzeigen.« Ich schüttelte den Kopf. »Und wenn ich damit alles noch viel schlimmer mache?«, wollte ich wissen. »Machst du nicht, er muss wissen, wo die Grenzen sind. Er kann dir nicht so drohen. Dieses blöde Arschloch. Ich wusste doch von Anfang an, dass der keine guten Absichten hat.« Ihr Blick war nun richtig finster und wütend, aber als sie mich ansah, wurde er wieder weicher. »Wir reden morgen noch einmal darüber, ja? Ich bin jetzt ziemlich müde und möchte einfach nur schlafen.«

Wir machten uns fertig. Es war warm in meiner Wohnung und Julia schlief in Unterwäsche und zog nur ein T-Shirt von mir über. Dann gingen wir ins Bett und sie küsste mich. »Auch wenn die Umstände alles andere als schön sind, bin ich froh, hier neben dir zu liegen. Ich liebe dich, Nele Melling.« Mir wurde warm ums Herz. Ich hauchte ihr zu: »Ich liebe dich auch, Julia Wagner. Sehr sogar.« Dann kuschelten wir uns aneinander und schliefen ein.

Mitten in der Nacht wurden wir ruckartig wach und saßen beide kerzengerade im Bett. »Was war das?«, fragte ich ängstlich. Ein lauter Ton hatte die Stille durchbrochen. Ich war kurz gelähmt, schaltete dann aber das Licht an. »Ich weiß nicht«, sagte sie etwas blass. Wieder hörte man in der ganzen Wohnung diesen Ton. Und ein Poltern. Jemand war an der Tür hier oben! Ich hörte eine Männerstimme. Was sollten die Nachbarn denken? »Michael«, flüsterte ich benommen. »Es ist Michael.« Langsam drehte ich den Kopf zu Julia und sie sprang mit einem entschlossenen Blick auf und zog sich ihre Hose an. »Was tust du?«, fragte ich, aber sie hatte schon den Raum verlassen. Es waren zu viele Eindrücke in diesem Moment.

Als ich den Flur betrat, öffnete Julia gerade die Tür und vor ihr stand Michael. Er war betrunken. »Ich lasse mir das nicht gefallen«, lallte er uns entgegen. »Du verpisst dich jetzt. Sonst rufe ich die Polizei«, fiel Julia ihm ins Wort. Er verzog das Gesicht und fing an zu lachen. »Wer bist du denn? Hat dich jemand eingeladen? Musst du nicht ins Bett, Mädchen? Aber heeeey, dich kenne ich doch.« Er überlegte und ich sah, wie Julia die Fäuste ballte. »Jetzt pass mal auf. Erstens bin ich kein Mädchen und zweitens hat Nele dir gesagt, dass sie will, dass du sie in Ruhe lässt. Und jetzt verschwinde. Und lass dich hier nie wieder blicken, sonst bekommen wir beide ein Problem.«

Michael war nun nicht weiter belustigt, sondern wütend. »Du freche Göre«, fing er an und packte sie. »Du tust mir weh, du Affe«, rief sie ihm entgegen und trat ihm gegen das Schienbein. Er heulte auf und wich einen Schritt zurück. Oh, Gott. Erstarrt stand ich in der Tür. »Komm bitte wieder rein«, flüsterte ich Julia zu, die im Hausflur stand. Sie drehte sich zu mir um und machte einen Schritt auf mich zu. Wir sahen uns in die Augen und ich wollte, dass sie so schnell wie möglich in die Wohnung kam, in der wir sicher waren. Michael war betrunken und gefährlich. Plötzlich aber machte Michael einen Schritt von hinten auf sie zu. Ich rief: »Julia, pass auf!« Aber es war zu spät. Er hatte sie bereits gepackt und sie versuchte, sich zu befreien. Ich wollte einschreiten, doch in diesem Moment trat sie Michael auf den Fuß und er taumelte umher, hielt sie aber noch fest umschlossen. Nein, dachte ich noch. Aber dann geschah es. Er tänzelte in Richtung Treppe vor Schmerzen und es sah fast so aus, als würden sie gemeinsam die Stufen hinunterstürzen, aber im letzten Moment drehte er sich und ließ Julia los. Sie versuchte noch, sich am Treppengeländer zu halten, griff aber knapp daneben und fiel und fiel und fiel. Bis sie am Ende der Treppe hart aufschlug.

»Was hast du getan, du blödes Arschloch", schrie ich und gegenüber öffnete sich die Tür und mein Nachbar sah uns entrüstet an. »Du hast sie geschubst!«, brüllte ich und schlug auf ihn ein. Ich lief die Stufen zu Julia nach unten. Ihr Kopf blutete stark. »Julia, bitte sag was«, flehte ich sie an. Aber von ihr kam nichts. Michael sprang an mir vorbei und war in der Dunkelheit verschwunden. Diese feige Sau, dachte ich. Er war Arzt und hätte helfen können, aber er war geflüchtet. Mein Nachbar stand oben an der Treppe. Ich rief ihm nur zu: »Bitte rufen Sie den Notarzt, bitte!« Sofort war er verschwunden. »Julia, hey. Alles wird gut, ok?« Tränen liefen über mein Gesicht, ich konnte sie nicht zurückhalten. Warum war ich nicht eingeschritten? Ich saß eine gefühlte Ewigkeit so da, dann hörte ich draußen die Sirenen. Ich sah nur noch Licht. Der Notarzt kam und sprach mich an, aber seine Worte drangen nicht zu mir durch. Ich sah nur, wie er die Lippen bewegte. Ich konnte nur an meine Julia denken, die regungslos und blutüberströmt auf dem Boden vor mir lag. Hätte ich sie nicht angerufen, wäre das alles nicht passiert. In diesem Moment hasste ich mich selbst so sehr und ich wusste, ich würde es mir nicht verzeihen können.

Sturzflug ins Herz || txsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt