Kapitel 29

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Ich fuhr wieder nach Hause. Hatte ich gerade zu hart reagiert? Ich wusste nicht, wo mir der Kopf stand. Monika konnte doch nicht über Julias Kopf hinweg entscheiden, oder? Ich massierte mir die Schläfen. Die letzten Tage waren so turbulent für mich gewesen, ich stand unter ständiger Anspannung. Als ich gerade die Wohnung betrat, vibrierte mein Handy. Eine Nachricht von Julia wurde angezeigt.

Ich zog schnell meine Schuhe und Jacke aus, legte meine Tasche ab, verstaute den Autoschlüssel und dann öffnete ich gespannt ihre Nachricht. »Hey Nele, heute war ein aufregender Tag für mich. Ich habe mich sehr über deinen Besuch gefreut und hoffe, du kommst mich vielleicht bald wieder besuchen.« Also hatte Monika ihr nichts gesagt von unserem Gespräch. War das gut oder schlecht? Ich wusste es nicht. Ich schrieb zurück: »Ich komme dich gern wieder besuchen, wenn du das möchtest. Und deine Eltern nichts dagegen haben.« Ich musste es anfügen. Sofort schrieb sie zurück: »Warum sollten meine Eltern etwas dagegen haben???« Ich tippte: »Ich glaube, deine Mama kann mich plötzlich nicht mehr leiden. Wir haben uns gut verstanden, aber die letzten Tage ist unser Verhältnis sehr merkwürdig. Vielleicht empfinde ich es auch nur so, keine Ahnung. Wir sind wohl alle etwas angespannt.«

Erst 20 Minuten später kam ihre Antwort. »Mach dir keine Sorgen um meine Mama. Sie kann manchmal komisch sein, aber sie meint es sicherlich nicht so.« Ich beließ es dabei. »Also wenn du möchtest, komme ich morgen vorbei.« Sie stimmte freudig zu. Dann setzte ich mich auf die Couch und rief Luisa an. Ich erzählte ihr vom Tag. Ihre Meinung dazu war: »Mensch, lief doch alles super. Und ihr habt euch ehrlich geküsst? Das ist ja der Wahnsinn. Wenn wir nächstes Jahr heiraten, dann darfst du sie gern als Begleitung mitbringen. Dann ist sie ja nicht mehr deine Schülerin.« Wir redeten noch etwas über ihre Hochzeit und als ich schon im Bett lag, klingelte mein Handy. Julia!

»Ist etwas passiert?«, fragte ich aufgeregt und saß nun kerzengerade im Bett. »Nein, alles gut. Mache dir keine Sorgen. Ich wollte nur deine Stimme hören.« Mein Herz klopfte plötzlich wild. Sie sagte manchmal nur einen einfachen Satz, der mich völlig aus der Fassung brachte. »Du bist süß, Julia Wagner. Weißt du das?« Sie lachte leise am anderen Ende der Leitung auf. »Bin ich das?«, wollte sie wissen und ich bejahte es. Ich gähnte. »Oh, habe ich dich eigentlich gestört? Bitte sage mir, dass du noch nicht geschlafen hast«, entfuhr es ihr und ich beruhigte sie: »Nein, ich lag zwar schon im Bett, aber habe noch nicht geschlafen.« Erleichtert atmete sie aus. Wir redeten noch kurz und es fühlte sich an wie früher. Fast jedenfalls.

»Haben wir eigentlich schon die drei magischen Worte ausgesprochen?« Ihre Stimme war nun etwas leiser. Es versetzte mir einen Stich, dass sie sich daran nicht erinnern konnte. Aber ich konnte es ihr unmöglich übel nehmen, sie machte es mir trotzdem ziemlich leicht. »Ja, das haben wir«, antwortete ich deshalb sanft. »Gut. Das ist gut. Dann wünsche ich dir eine gute Nacht. Wir sehen uns morgen.« Ich erwiderte: »Die wünsche ich dir auch.« Dann wollte ich auflegen, aber sie hielt mich zurück. »Ach, Nele? Ich liebe dich. Es fühlt sich nicht einmal komisch an, wenn ich das sage. Verrückt.« Die Worte aus ihrem Mund zu hören, machte mich glücklich. »Ich liebe dich auch.« Dann legte sie auf.

Am nächsten Tag war Freitag. Ich fuhr erst nachmittags ins Krankenhaus, denn sie hatte mir erzählt, dass vormittags einige Dinge bei ihr anstanden. Als ich das Zimmer betrat, sahen mich sechs Augenpaare an. Eines davon strahlte. »Hallo«, begrüßte ich Julia und ihre Eltern. Ihrer Mutter war das Strahlen in Julias Augen nicht entgangen. Sie räusperte sich und sagte: »Hey Nele, es tut mir sehr leid wegen gestern. Natürlich darf Julia selbst entscheiden, welchen Besuch sie empfangen möchte. Ich mache mir nur Sorgen, aber es geht ihr heute besser als gestern. Dein Besuch hat ihr anscheinend gut getan. Ich habe total überreagiert. Kannst du mir verzeihen?« Julia sah uns verwirrt an. »Ja, klar. Meine Antwort war wohl auch nicht ganz so richtig.« Sie nickte kurz und lächelte mich an. Zum Glück hatten wir das geklärt.

»Wovon sprecht ihr?«, wollte Julia neugierig wissen. Aber ihre Mama winkte ab. Ich wusste, dass sie es aus mir herauskitzeln würde. So war sie eben. Ihre Eltern blieben noch eine Weile und für mich war es eine unangenehme Situation. Ich konnte mir gut vorstellen, dass es das für sie auch war. Sie fragten sich wahrscheinlich insgeheim, warum ich ständig hier war. Als ihre Lehrerin. Irgendwann klopfte es an der Tür und Nina steckte ihren Kopf ins Zimmer. Zum Glück, dachte ich. Ihre Eltern standen auf und wollten sich die Beine etwas vertreten. Alle im Raum wussten, dass es natürlich nur ein Alibi war.

»Gott, Julia. Ich bin so froh, dass es dir gut geht. In der Schule kurieren wilde Gerüchte, was mir dir passiert ist. Aber ich hasse sowas ja, deshalb bin ich jetzt einfach mal alleine gekommen. Also natürlich auch, weil ich dich besuchen wollte. Und oh, hallo Frau Melling.« Ich nickte ihr zu und sagte: »Hallo Nina.« Julia antwortete: »Ja, ist eine ziemlich einfache Geschichte. Ich wurde geschubst und bin eine Treppe runtergefallen. Aber es geht mir gut. Mir fehlen nur einige Erinnerungen.« Sie machte eine kurze Pause. Dann ergänzte sie: »Und ehrlich gesagt – ich habe absolut keine Ahnung, wer du bist.« Stille im Raum. »Ich... ich bin es. Nina.« Ich merkte, wie unwohl sich Nina fühlte. »Mache dir keine Sorgen, Nina. Sie kann sich an mich auch nicht erinnern. Aber sie arbeiten daran, dass die Erinnerungen zurückkehren.« Das beruhigte sie. Und an Julia gewandt sagte ich: »Du bist gut mit Nina befreundet.«

Als Nina gegangen war, nahm Julia meine Hand. Wir wussten nicht, wann ihre Eltern zurückkommen würden. Deshalb nutzen wir die freie Zeit und küssten uns. »Ich habe so ein Glück«, stellte sie zufrieden fest. »Womit?«, fragte ich irritiert und dachte sofort an den Unfall. Ja, das stimmte. Sie hatte schon Glück im Unglück gehabt. »Mit dir.« Mir fehlten die Worte, deshalb küsste ich sie erneut. Und als wir uns voneinander lösten, blieb ich mit meinem Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt und verharrte in dieser Stellung. Wir sahen uns tief in die Augen. »Ich bin so froh, wenn ich hier raus kann«, murmelte sie mir leise zu. Leicht nickte ich. »Das bin ich auch. Sehr sogar.« Dann küssten wir uns noch einmal und ich setzte mich wieder hin.

Gedankenverloren spielte sie mit einer Haarsträhne. »Was genau passiert mit Michael eigentlich?«, wollte sie wissen. Ich wusste es nicht. »Das kann ich dir nicht sagen. Wahrscheinlich musst du demnächst eine Aussage machen...« Mitten im Satz unterbrach uns ein Klopfen an der Tür. Es war die Polizei. Als hätten sie gehört, dass wir darüber gesprochen hatten. »Julia Wagner?«, fragte der ältere Polizist. »Ja, das bin ich.« Sie kamen auf uns zu. Die Polizisten gaben uns die Hand. »Nele Melling«, stellte ich mich vor. Der jüngere Polizist sah mich erstaunt an. »Das trifft sich ja gut. Mit Ihnen wollten wir auch noch sprechen. Wir würden gern Ihre Aussagen aufnehmen zu dem Ereignis am Dienstag.«

Sturzflug ins Herz || txsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt