Kapitel 22

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Ich blieb stehen. Konnte ihn nur anstarren. Michael. Mir schossen unendlich viele Gedanken durch den Kopf. Was hatte er sich dabei gedacht? Langsam ging ich auf ihn zu und sein Lächeln wurde immer breiter. »Was soll das?«, fragte ich ihn vorwurfsvoll. Er runzelte leicht die Stirn. Wir standen uns gegenüber, nur wenige Zentimeter trennten uns. Ich musste aufschauen. Michael war ein großer Mann. Plötzlich ging er in die Knie und hielt mir einen riesigen Strauß Rosen entgegen. »Nele, ich kann mir mein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen. Du bist einfach meine absolute Traumfrau. Bitte sag mir, dass du auch Gefühle für mich hast.« Mir fehlten die Worte. Was sollte ich dazu sagen? Mit einer Liebeserklärung hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte keine Gefühle für ihn. Das hatte ich ihm bereits einige Male klar gemacht. Ein vorsichtiges Lächeln umspielte seinen Mund. »Also geht es dir auch so?« Er hatte mein Schweigen falsch interpretiert. Ich hatte Angst vor seiner Reaktion. Ich wollte nicht, dass er wieder so ausrastete wie im Café - vor allem nicht hier vor der Tür.

Ich nahm seine Hand und zog ihn hoch. »Komm, lass uns mal bitte reingehen. Da können wir besser reden.« Er folgte mir in die Wohnung. »Willst du was trinken?«, fragte ich ihn. Er schüttelte den Kopf. »Nein, danke.« Wir setzen uns an den Tisch. Er wartete. Auf eine Reaktion. »Michael, ich...«, fing ich an. Erwartungsvoll blickte er mich an. Ein schöner Mann. Ganz klar. Aber mein Herz wollte Julia. Daran konnte ich nichts ändern. »Ich empfinde nichts für dich. Ich will dich damit nicht verletzen, du bist ein toller Mann, aber mehr als Freundschaft wird zwischen uns nicht sein. Ich weiß nicht, wie oft ich dir das noch sagen soll, bis du es verstehst.« Stille. In seinen Augen konnte ich sehen, wie verletzt er war. Sein Blick änderte sich innerhalb von Sekunden. Nun konnte ich Wut entdecken. Seine Augen funkelten. »Ich verstehe dich nicht. Ich bin ein toller Mann? Was fehlt mir denn? Geld habe ich genug, ich würde dir die Welt zu Füßen legen. Du hättest alles, was du brauchst«, flehte er mich verzweifelt an. »Als wenn es mir um das Geld geht. Für mich muss es menschlich passen. Und das macht es bei uns leider nicht. Es gibt so viele andere schöne Frauen. Lauf mit mir nicht in dein Unglück. Momentan scheint auch eine Freundschaft undenkbar. Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst.« Ungläubig starrte er mich an. »Ich werde auf dich warten. Versprochen.« Das waren seine letzten Worte. Er stand auf und verließ die Wohnung. Ich war wieder alleine.

Dachte er wirklich, dass es mir um sein Geld ging? Lächerlich. Woher wollte er wissen, was ich brauchte? Was sollte ich nur mit ihm machen? Er verstand es einfach nicht. Und mir war es auch nicht geheuer. Ich hatte schreckliche Angst, dass er Julia und mich zusammen sehen würde. Ich schnappte mir mein Telefon und rief sie an. »Ja?«, nahm sie ab. »Michael ist jetzt weg. Du kannst also vorbeikommen.« Ein leises Lachen von ihrer Seite. »Ja, ich komme gleich. Ich freue mich. Bis dann!« Wir legten auf und 15 Minuten später stand sie vor der Tür. Als ich die Tür öffnete, umarmten wir uns. »Und? Was sagt Michael?«, fragte sie neugierig. Ich winkte ab. »Hör auf. Er stand vor meiner Tür mit einem Strauß Rosen und hat mir ein Liebesgeständnis gemacht. Ich habe ihn weggeschickt. Er meinte, dass er auf mich warten wird. Er versteht einfach nicht, dass ich nichts für ihn empfinde. Ich will ihn nicht mehr sehen. Das ist nicht gut für ihn und für uns auch nicht.« Sie nickte und sah geschockt aus. »Du gehörst zu mir.« Dann beugte sie sich zu mir und gab mir einen Kuss. »Ich lasse dich nicht mehr gehen.« Ich gab einen entspannten Seufzer von mir. »Genau das wollte ich hören«, murmelte ich und hielt ihr Gesicht in meinen Händen. Ihre Haut war weich. Sie musste sie gerade eingecremt haben.

»Wollen wir einen Film anschauen?«, fragte ich schließlich, als wir einige Zeit so verweilten. »Ja, wir wäre es mit »Die Eiskönigin«? Das wäre doch schön.« Stirnrunzelnd sah ich sie an. »Wirklich? Du willst mit mir einen Kinderfilm schauen?« Sie musste grinsen und ihre Grübchen zeigten sich. »Ja, natürlich. Du wirst ihn lieben. Nicht nur Kinder lieben diesen Film. Ich habe ihn schon zwei Mal gesehen und bin begeistert«, verriet sie mir verschwörerisch. Sie hatte den Film sogar mitgebracht. Also legten wir die DVD ein und machten es uns auf der Couch gemütlich. Ich zündete Kerzen an, um es etwas romantischer zu machen. Wir ließen uns von Elsa, Anna, Olaf und den anderen Figuren verzaubern und ich musste ihr zustimmen - der Film war wirklich toll. »Und? Gefällt er dir?« Ich nickte. »Absolut.« Sie richtete sich auf. Im Schein der Flammen wirkte sie majestätisch und ich konnte ihr nicht widerstehen. Ich zog sie dichter zu mir und küsste sie. Erst langsam, dann immer leidenschaftlicher. Wenn wir uns küssten, fiel mir das Denken schwer. Ich wollte ihr nah sein. Körperlich. Sanft zog ich ihr den Pullover aus, küsste mit meinen Lippen ihren Körper. Ihre Haut war warm. Ich konnte spüren, wie schnell ihr Herz klopfte. Es war ein besonderer Augenblick und es gab nichts, was ich jetzt lieber getan hätte. Auch mein Herz überschlug sich mit einer brisanten Geschwindigkeit. Wir zogen uns gegenseitig aus und ließen uns von unseren Gefühlen im Kerzenschein treiben... Dann war es vorbei.

Wir lagen eng umschlungen auf der Couch, völlig außer Atem. »Julia, kann ich dich was fragen?« Mir war es eigentlich ziemlich unangenehm. Aber ich musste es wissen. »Ja, klar.« Wie sollte ich sie fragen? Ich entschied mich für die indirekte Art. »Hast du das auch mit deiner Freundin damals erlebt?«, fragte ich nervös. »Was erlebt? Das, was wir beide momentan erleben?«, fragte sie und sah mir dabei in die Augen. Mit meiner Gefasstheit war es vorbei. »Ja, also ich meine - hast du mit ihr geschlafen?« Warum lächelte sie nun?! »Nele, das mit dir... Das ist ganz anders. Natürlich hat es mir den Boden weggerissen unter den Füßen, als sie plötzlich nicht mehr da war. Aber sie hat mich zu dir gebracht. Wäre es nicht passiert, wäre ich nicht hier. Das war Schicksal. Ich habe viel für sie empfunden, aber geschlafen haben wir nie miteinander. Ich hatte mein erstes Mal mit dir. Und das erfüllt mich mit Stolz. Es hätte nicht perfekter sein können.« Wow, ihre Antwort haute mich um. Damit hatte ich nicht gerechnet. Sie fügte hinzu: »Ich liebe dich. So sehr, dass es manchmal weh tut, weil ich dir nicht nah sein darf, wenn ich mich danach sehne. Aber die Momente mit dir geben mir Kraft. Ich kann endlich wieder nach vorn schauen. Dafür bin ich dir unglaublich dankbar.« 

Sturzflug ins Herz || txsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt