Kapitel 13

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Als am nächsten Morgen mein Wecker klingelte, war ich bereits wach. Wirklich geschlafen hatte ich letzte Nacht kaum und wenn, spürte ich Julias Lippen und das riss mich wieder aus dem Schlaf. Wie sollte ich mich verhalten? Wie würde sie sich verhalten? Ich hatte Angst. Schreckliche Angst sogar. Würde sie es für sich behalten? Oh, Gott. Daran wollte ich gar nicht denken. Ich hatte damit meinen Job aufs Spiel gesetzt. Vielleicht wusste auch schon die ganze Schule Bescheid, aber das konnte ich nicht glauben. Das traute ich ihr nicht zu. Langsam quälte ich mich aus dem Bett und schlich in Richtung Bad. Dort standen wir beide gestern, dachte ich. Voller Verlangen hatte ich meine Schülerin in meiner Wohnung geküsst. Mir wurde etwas schwindelig und ich sackte an der Wand zusammen. Eine Träne lief über meine Wange. Ich wollte es nicht und versuchte, sie zurückzuhalten. Das machte es nur schlimmer und plötzlich saß ich am Boden und es gab keinen Halt mehr für meine Tränen. In Zeitlupe ging ich ins Bad, machte mich fertig und fuhr zur Schule. Ich war spät dran. Und fix und fertig. Fest rechnete ich damit, dass Julia auf mich warten würde vor der Schule, aber sie war nicht zu sehen. Auf der einen Seite war ich enttäuscht, aber auf der anderen auch froh darüber.

»Ich würde es immer wieder so weit kommen lassen.« Das waren ihre Worte. Die ganze Nacht hatte ich überlegt, warum sie das sagte. Wir durften es nie wieder so weit kommen lassen. Als ich die Klasse betrat, sah sie mich nicht an. »Guten Morgen«, sagte ich etwas spitz. Unbeabsichtigt. Ich wusste nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte. Ich war komplett überfordert. Sie unterhielt sich mit Nina. »Guten Morgen«, sagte ich nun etwas lauter, doch sie drehte den Kopf nicht um. Ignorierte sie mich jetzt wieder? Ich musste schlucken. Doch dann sah sie mich an. Mit einem so warmen und verständnisvollen Lächeln, dass mir mal wieder fast mein Herz stehen blieb. Ihr Blick änderte sich und sie legte die Stirn in Falten, holte einen kleinen Zettel raus und schrieb etwas auf. Wir werteten den Freitag aus und dann verkündete ich: »So, ich werde eure Hausaufgaben einsammeln und dann bekommt ihr den Text »Bildung braucht Gastlichkeit«, den ihr bitte bis zum Ende der Stunde untersucht. In der nächsten Stunde werden wir dann mit der Erörterung anfangen. Es ist ein anspruchsvoller Text, deshalb würde ich euch bitten, dass ihr ruhig arbeitet.« Ein Stöhnen zog sich durch die Reihen. Meine Stimme war brüchig. Julia steckte den kleinen Zettel in ihre Unterlagen, die ich einsammelte. Die Texte wurden verteilt und ich setzte mich hin. Aufgeregt schlug ich ihren Hefter auf und öffnete ihren kleinen Brief.

»Ist alles in Ordnung? Lass uns in der Pause reden.« Ich schielte zu ihr hinüber. Sie beobachtete mich. Sanft nickte ich ganz kurz. Als es endlich klingelte, blieb ich auf meinem Stuhl wie angewurzelt sitzen. Alle liefen hinaus in den Flur, nur Julia blieb zurück und kam auf mich zu. »Was ist los? Ist es wegen des Kusses?«, flüsterte sie fragend. »Julia, es tut mir wahnsinnig leid. Ich wollte dich nicht überfallen. Ich weiß wirklich nicht, was los war.« Sie kam etwas näher. »Alles in Ordnung. Ehrlich gesagt, fand ich den Kuss... mehr als schön. Er war atemberaubend.« Es überrumpelte mich, dass sie so ehrlich zu mir war. Sie fand den Kuss auch schön? Mehr als das? »Wir dürfen das nicht. Ich trage die Verantwortung für dich. Und ich liebe meinen Beruf und möchte ihn wegen eines Kusses nicht aufgeben.« Enttäuscht sah sie mich an. »Er hatte also nichts zu bedeuten? Sei ehrlich.« Warum stellte sie mir diese Frage? Ich konnte unmöglich ehrlich sein. Wahrscheinlich würde sie sich noch Hoffnungen machen. Oder sonst etwas. Ich war ihre Ablenkung. Mehr nicht. Und es verletzte mich. Ich wollte mehr für sie sein. »Julia, was sollte er mir bedeuten? Ja, er war ganz schön. Aber mehr nicht.« Ich konnte sie nicht ansehen. »Gut, wenn das so ist, dann ist es wohl besser, wenn wir erstmal etwas Abstand gewinnen.« Nein! Ich wollte keinen Abstand. Ich wollte sie nah bei mir haben, jeden Zentimeter ihrer Haut spüren. »Ist wohl besser«, brachte ich hervor. Endlich sah ich ihr in die Augen. Ein großer Fehler! Am liebsten hätte ich sie zu mir gezogen und sie geküsst. »Okay, dann gehe ich jetzt mal.« Dann drehte sie sich um und verschwand. Und ich vermisste sie. Vermisste sie so sehr. Mein Leben stand auf dem Kopf. Wie hatte sie das nur geschafft?

Im Lehrerzimmer traf ich auf Luisa. »Süße, was ist passiert? Du siehst so blass aus.« Ich sah kurz durch den Raum und wollte nicht, dass uns jemand hörte. »Kommst du heute Nachmittag vorbei? Ich muss unbedingt mit dir reden.« Besorgt sah sie mich an. Wir machten die Uhrzeit aus und für den restlichen Tag meldete ich mich krank. So etwas machte ich sonst eigentlich nie, aber mir ging es wirklich nicht gut. Ich war eine erwachsene Frau und ließ mich von meinen Gefühlen so durcheinanderbringen. Unfassbar. Dann fiel mir ein, dass Julia von ihrer Freundin erzählt hatte. Gott, sie hatte bereits Erfahrungen mit Frauen! Das machte die Sache nur noch komplizierter. Mir platzte so langsam der Kopf. Ich verbrachte den Tag im Bett, bis es dann klingelte. Mit getrockneten Tränen und verschmiertem Make-Up lief ich zur Tür. »Gott, was ist passiert?«, fragte Luisa, stürmte hinein und zog mich mit ins Wohnzimmer. Sie platzierte mich auf der Couch, besorgte mir Taschentücher und brachte Getränke mit. »Jetzt erzähl mal. Du siehst furchtbar aus.« Sie nahm meine Hand und streichelte sie sanft. Ihr Blick war mitfühlend. Was sollte ich ihr sagen? Die Wahrheit? Wie würde sie reagieren? Ich holte tief Luft. Die Tränen schossen aus mir heraus. Ich konnte sie wieder nicht zurückhalten. Sie nahm mich in den Arm, wartete ab, bis ich mich beruhigt hatte. Sagte nichts. Sie war einfach nur für mich da. Das schätzte ich so sehr. Nach einer gefühlten Ewigkeit raffte ich mich auf. 

»Ich glaube, ich bin verliebt.« Meine beste Freundin Luisa grinste mich an. »Nele, das ist doch wunderbar! Endlich wieder ein Mann an deiner Seite.« Ich schüttelte wortlos den Kopf. Etwas erschrocken und fragend sah sie mich an. »Es ist kein Mann. Ich empfinde etwas für eine Frau.« Erleichtert lachte sie auf. »Aber es ist doch egal, ob Mann oder Frau. Hauptsache es macht dich glücklich.« Nur schwer konnte ich die Tränen zurückhalten. »Sie ist meine Schülerin.«

Sturzflug ins Herz || txsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt