Kapitel 8

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich überfordert. Mit meinen Gefühlen und mit meinen Gedanken. Ich dachte wieder an den Kuss, der für Julia nichts bedeutete. Für sie war es nur Spiel. Und für mich? Ich wusste es selbst nicht. Ich wusste nur, dass es sich gut anfühlte. Ihre Nähe, ihre Blicke, ihre Berührungen und ihre Worte machten mich... ja, verdammt. Sie machten mich verrückt. Ich konnte nichts dagegen machen. Ich wusste nur, dass ich sie wieder sehen wollte. Überpünktlich kam ich in der Schule an und parkte mein Auto. Dachte ich wirklich, dass ich sie so früh morgens an einem Montag hier antreffen würde? Wenn ja, was erhoffte ich mir? Es war komplett albern. Nur weil wir einen schönen Abend miteinander verbracht hatten, änderte das noch lange nichts. Sie war meine Schülerin. Punkt. Die Gänge waren noch leer. Das Gebäude so still. Nach und nach betraten die Schüler das Gebäude. Ich beobachtete sie, wie sie sich durch die Tür drängelten, sich umarmten und erzählten. Dann kam Julia endlich durch die Tür. Mein Herz blieb stehen. Auch atmen fiel mir schwer. Sie sah mich nicht und ging mit Nina den Gang entlang. Ich schaute ihr nach, bis sie schließlich um die Ecke bog.

»Morgen, was für ein Wochenende«, murmelte Luisa mir zu. Sie war soeben auch durch die Tür gekommen. Gott, sah sie fertig aus. »Man sieht es«, antwortete ich ihr lachend. Sie warf mir einen bösen Blick zu, musste dann aber selbst auch grinsen. »Ich glaube, ich bin noch gar nicht nüchtern.« Typisch Luisa, dachte ich. »Warum grinst du denn so blöd?«, fragte sie mich neugierig. »Weil ich heute einen guten Tag habe. Warum auch nicht?«, stellte ich ihr die Gegenfrage. »Lass mich kurz überlegen. Heute ist Montag? Wie kann man da bitte gut gelaunt sein?« Selbst dieser blöde Montag konnte mir meine Laune nicht verderben. »Tja, das willst du wissen, was? Aber ich muss jetzt los in den Unterricht. Bis später«, sagte ich fröhlich und ging los. Vor der Tür blieb ich einen Moment stehen. Dachte daran, dass Julia im Raum saß. Dann öffnete ich sie und betrat den Raum. Ich sah zu ihr und hatte fest damit gerechnet, sie würde mich auch anschauen. Doch ich hatte falsch gedacht. Sie war mit Nina in einem Gespräch vertieft und beachtete mich überhaupt nicht. Leise räusperte ich mich.

»Guten Morgen, dann werden wir gleich mal loslegen. Wir haben noch einige Dinge zu besprechen. Der Aktionstag steht kurz vor der Tür.« Jetzt bewegte sich ihr Kopf in meine Richtung und unsere Blicke trafen sich. »Wann genau ist er denn?«, fragte Julia mit ihrer zauberhaften Stimme. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Meine Knie wurden weich. Ich betrachtete sie. Genau diese Lippen hatten meine Wange berührt. Unfassbar. Ich verlor die Fassung. Doch schnell sammelte ich mich wieder und antwortete ihr. »Ähm, nächste Woche Freitag. Wir fangen um 09:30 Uhr an.« Wir besprachen die komplette Aufgabenverteilung. Zum Schluss blieb nur noch Julia übrig. »Wir beide kümmern uns um den Kuchen und um den Kaffee. Du hattest dich ja freiwillig gemeldet. Die unteren Klassen werden ihn backen. Darum müssen wir uns also nicht kümmern.« Sie nickte. »Alles klar.« Der erste Block am Montag wurde immer geteilt. In der ersten Stunde besprachen wir alle wichtigen Dinge, in der zweiten hatten wir Deutsch. Die letzte halbe Stunde arbeiteten sie an einem Exzerpt, welches ich später einsammeln wollte.

Ich saß am Lehrertisch, kontrollierte einige Hausaufgaben und meine Augen huschten immer wieder zu ihr. Es war ein tolles Gefühl. Sie zu sehen. Wie sie ihren Stift in der Hand hielt, ihre Stirn runzelte, weil sie konzentriert arbeitete und ihre Gedanken auf das Papier brachte. Plötzlich hob sie den Kopf. Wir sahen uns direkt in die Augen. Irgendetwas in meinem Körper explodierte. Jede einzelne Zelle. Es fühlte sich an, als würden tausend Ameisen unter meiner Haut krabbeln. Ich konnte nicht wegschauen. Und sie konnte es auch nicht. Doch dann veränderte sich ihr Blick, aber ich konnte ihn nicht deuten. Eine Weile guckten wir uns noch an. Dann klingelte es. Sie packte eilig ihre Sachen zusammen und war verschwunden. Ich dachte mir nichts dabei. Doch als ich am nächsten Tag die Sportstunde begann, ignorierte sie mich. Es fühlte sich schrecklich an. Aber das wollte ich mir nicht anmerken lassen. Also machte ich ganz normal weiter. Ich ließ sie eine Runde um den Platz laufen. Dann bauten wir die Stationen für Kugelstoßen und Weitsprung auf. Sie war gut. Sehr gut sogar. Die letzte Station war der 100-Meter-Lauf. Julia war an der Reihe. Gespannt wartete ich an der Ziellinie. Sie sprintete los. Unglaublich, wie schnell sie lief. Ich schrieb die Zeit ins Buch. Dann waren die Jungs an der Reihe. Keiner von ihnen toppte ihre Zeit. Unfassbar.

»Wow, super«, lobte ich sie, als alle durch waren. Von ihr kam keine Regung. Hatte ich etwas falsch gemacht? Bildete ich mir das alles nur ein? Meine Stimmung verschlechterte sich. Krass, wie sehr meine Laune von einem Menschen abhängig sein konnte. Nach der Stunde bat ich sie um ein Gespräch. Sie willigte ein. »Ist alles okay bei dir? Habe ich dir irgendwas getan?«, fragte ich unsicher. Ihre Augen wurden groß. Sie schüttelte langsam den Kopf. Erst jetzt fiel mir auf, wie traurig sie war. »Ich kann nicht darüber reden.« Ihre Stimme war leise. »Nicht mit Ihnen«, fügte sie hinzu. Ihre Worte taten weh und bohrten sich in mein Herz. Was hatte ich gedacht? Sie würde mir ihre ganzen Sorgen und Probleme anvertrauen? Nur weil wir ein einziges Mal darüber gesprochen hatten? Hahaha, wie naiv von mir. Sie lief los. Weg von mir. Alles drehte sich. Ihre Worte liefen in Dauerschleife in meinem Kopf ab. »Nicht mit Ihnen. Nicht mit Ihnen. Nicht mit Ihnen.« Ich machte mir Sorgen. Wollte wissen, was sie belastete. Den Rest der Woche und auch die Woche darauf ignorierte Julia mich . Sie war abwesend im Unterricht, lächelte nicht mehr und wechselte kein Wort mit mir. Ich kam nicht mehr an sie heran. Sie ging an mir vorbei und ihr Duft nahm mir die Luft. Ein Blick in ihre wunderschönen braunen Augen und ich verlor mich. Ihre Lippen machten mich wahnsinnig. Ich konnte nicht mehr klar denken. Was war nur los mit mir? Und was noch viel wichtiger war - was hatte Julia damit zu tun? Ich war so hilflos. Und dann kam der Freitag. Der Tag, an dem ich mit ihr die ganze Zeit nebeneinander stehen und Kuchen verkaufen sollte.

Sturzflug ins Herz || txsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt