Verlegen sah ich erst Michael und dann Luisa an. Erwartungsvoll schaute sie zurück. »Ähm, ja. Ich bin Nele.« Mehr konnte ich nicht sagen. Ich wollte nicht hier sein. Nicht bei einem Mann, der scheinbar Interesse an mir hatte. Wir setzten uns. Luisa saß neben ihrem Freund Julian und ich neben Michael. »Was möchtest du trinken?«, fragte er und grinste mich an. »Ich nehme ein Bier.« Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. »Du trinkst Bier?« Er wirkte sehr erstaunt. Ich nickte nur kurz. Dann kam die Kellnerin und nahm unsere Bestellung auf. Keine Ahnung, was ich denken sollte. Wir unterhielten uns und ich bemerkte, dass Michael ein sehr aufmerksamer Mann war. Er hatte viele Interessen und das gefiel mir. Und er war Arzt, was mich sehr überraschte. Die Zeit verging, ich trank noch ein Bier und zwei Cocktails, bis Michael mich zum Tanzen aufforderte. »Nein, lieber nicht«, wehrte ich ab. »Komm schon, ich bin ein relativ guter Tänzer«, versuchte er, mich zu überreden. Mit Erfolg, denn komischerweise klappte es. Also gingen wir auf die kleine Tanzfläche, die sich mittig im Raum befand. Er konnte wirklich gut tanzen. Nach zwei Liedern aber stockte mir der Atem.
Julia kam in die Bar und starrte mich an. Was sollte ich tun? Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Hatte ich etwas falsch gemacht? Ich tanzte doch nur mit Michael. Mehr nicht. Sie drehte sich auf der Stelle um und lief wieder raus. So ein Mist, dachte ich. »Bin gleich wieder da«, murmelte ich Michael zu. Dann lief ich ihr schnell nach. »Julia, bitte warte.« Sie drehte sich zu mir um. Für einen langen Moment herrschte Stille zwischen uns. »Es ist nicht so, wie es aussieht.« Es war die Wahrheit. Sie zog ihr Augenbrauen hoch. »Ach, nein? Was ist es dann?« Ich fand ihr Verhalten irgendwie kindisch. Immerhin hatte ich doch nur mit ihm getanzt. Aber ich wollte sie nicht noch mehr provozieren. Ich konnte sie schon verstehen. »Ich wusste nicht, dass er auch kommen wird. Luisa hat mich eingeladen. Und ihn auch. Weil sie möchte, dass ich mich ablenke. Aber das will ich doch gar nicht. Ich habe doch die schönste Frau an meiner Seite, die ich mir nur vorstellen kann. Aber das kann ich Luisa nicht sagen.« Langsam nickte sie. »Ja, ich habe wohl etwas überreagiert. Ich will dich aber nicht verlieren, Nele. Ich habe dich doch gerade erst gefunden.« Sie kam einen Schritt näher. »Ich dich doch auch nicht.«
Wir standen einige Meter von der Bar entfernt. Neben uns war eine kleine Gasse, in die sie mich hineinzog und heftig küsste. »Ich kann nie genug davon bekommen«, stöhnte sie mir leise ins Ohr. Gott, das konnte ich auch nicht. Als unsere Lippen sich lösten, sagte ich ihr: »Lass es uns langsam angehen. Das ist für uns beide eine so merkwürdige Situation. Ich möchte dich richtig kennenlernen, alles über dich erfahren. Ich glaube einfach, jetzt schon von Liebe zu sprechen, ist irgendwie falsch. Ich mag dich wirklich gern und bin total verknallt in dich. Trotzdem will ich nichts überstürzen.« Sie grinste mich an. »Mir geht es auch so. Ich möchte, dass es mit uns beiden hält. Das ist wohl die beste Lösung. Küssen möchte ich dich aber trotzdem so oft es geht.« Dann waren unsere Lippen wieder vereint.
»Nele?«, rief eine Männerstimme. Es war Michael. Panik stieg in mir auf. Er durfte uns beide hier doch nicht so zusammen sehen. Was sollte ich jetzt tun? »Wir sehen uns morgen«, hauchte Julia mir zu, gab mir einen letzten sehnsüchtigen Kuss und verschwand in der Dunkelheit. »Ich.. ich bin hier«, rief ich zurück. Er kam um die Ecke. »Ist alles in Ordnung bei dir?« Ich nickte, musste mich aber kurz sammeln. »Ich brauchte nur etwas frische Luft«, log ich. Natürlich war es momentan schwierig mit Julia, aber das würden wir beide gemeinsam meistern, denn mit ihr schien alles so leicht und perfekt. »Wollen wir wieder reingehen?« Ich stimmte zu. Wie blieben noch eine Weile in der Bar, aber als meine Uhr mir 00:12 Uhr anzeigte, wollte ich nach Hause. »Tut mir leid, aber ich habe morgen wieder zur ersten Stunde Unterricht. Will noch ein wenig schlafen, sonst überstehe ich den Tag nicht.« Luisa stimmte mir zu. Sie musste auch wieder früh aufstehen. »Ich bringe dich nach Hause, Nele. Es ist schon so spät. Da lässt man keine Frau mehr alleine durch die Stadt laufen.« Charmant war Michael ja. Ich wollte ihm widersprechen, aber Luisa warf mir einen bösen Blick zu. Wir gingen also alle vier zusammen ein Stückchen, bis Luisa und Julian dann abbogen. Michael und ich waren nun alleine. Wir gingen beide schweigend nebeneinander her.
»Es war ein wirklich schöner Abend«, meinte er dann etwas nervös. »Das fand ich auch.« Ich schenkte ihm ein Lächeln. »Würde mich echt freuen, wenn wir das wiederholen könnten.« Ich antwortete: »Klar, können wir gern mal machen.« Dann standen wir schon vor meiner Wohnung. »Also... wir sind da. Danke, dass du mich begleitest hast.« Damit entlockte ich ihm ein Grinsen. »Gibst du mir deine Handynummer?«, fragte er hoffnungsvoll. Ich tippte sie ihm ein und hoffte, dass er nur freundschaftliches Interesse hatte, was ich eigentlich nicht glauben konnte. Aber ich wollte ihn gern wiedersehen. Warum auch immer. Wir umarmten uns und ich betrat meine Wohnung. Ich kramte mein Handy aus der Tasche. Eine Nachricht von Julia. »Ich freue mich, wenn wir uns morgen wiedersehen. Wäre jetzt am liebsten bei dir. In deinen Armen. Du fehlst mir.« Unfassbar, wie sehr mich ihre Sätze glücklich machen konnten. Ich schrieb zurück: »Du fehlst mir auch, schlaf gut.«
Mittlerweile war es schon 00:56 Uhr, aber sie kam trotzdem online. »Danke, jetzt klappt es mit dem Einschlafen bestimmt.« Sie war so niedlich. Ich steckte mein Handy zum Laden ein, ging Zähne putzen und machte mich bettfertig. Ich hatte keine Lust mehr, jetzt noch unter die Dusche zu hüpfen. Also legte ich mich ins Bett. Obwohl es schon so spät war, konnte ich nicht gleich einschlafen. Die Gedanken an Julia hielten mich wach. Ich wollte mit ihr zusammen sein. Mit ihr lieben, lachen und leben. Und mit diesen Gedanken schlief ich dann zufrieden ein.
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Sturzflug ins Herz || txs
Romantizm»Ich glaube, ich bin verliebt.« Meine beste Freundin Luisa sah mich mit ausdrucksloser Miene an. »Nele, das ist doch wunderbar. Gibt es doch endlich wieder einen Mann an deiner Seite?« Wortlos schüttelte ich den Kopf und in ihrem Blick erkannte ich...