Achtzehn

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Shaunee

"Heute behandeln wir intensiv die beiden Stiere." , schallte Thanatos' machtvolle Stimme durch die Klasse. Sofort hörten alle zu, denn der Ursprung der Magie war nun wirklich ein spannendes Thema. "Letzte Stunde haben wir ja schon damit begonnen, doch heute werden wir die Herkunft der Stiere und nicht was sie heute sind erkunden." Sie holte ein großes Buch aus einer Schublade des Lehrerpultes und begann darin zu blättern. Nyx' Wissen. Es war kein besonders altes Buch, auch passierte nichts dramatisches, wie dass Staub aufgewirbelt wurde oder so. Das wäre wirklich seltsam gewesen. Aber Shaunee spürte etwas als sie dieses Buch sah.

Sie wusste sofort, dass es kein einfaches Buch war, dass es viele Weise Informationen enthielt. Das Gefühl das sich in ihr ausbreitete ließ sie verwirrt den Blick abwenden. Eine unglaubliche Neugierde schien sie zu überfallen. Dieses Buch war etwas wichtiges und sie konnte nicht den Gedanken unterdrücken zu hoffen, dass sie es irgendwann einmal in die Finger bekommen würde um mehr über diese mysteriösen Dinge herauszufinden. Vielleicht stände dort etwas über eine Tsi Sgili...

Thanatos' Stimme holte sie aus ihren Überlegungen und zurück in den Unterricht. "Ich werde euch jetzt einen Mythos aus Irland vorlesen. Ihr werdet sehr schnell merken, was er mit unserer Religion zu tun hat. Anschließend möchte ich mit euch darüber sprechen." , verkündete sie. Mit einer Stimme, die jeden Vorleser übertroffen hätte, fing sie an zu lesen.

"Die zwei Stiere waren Inkarnation zweier mächtiger Druiden. Jeder von ihnen bewahrte die Geister einer Hälfte Irlands. Zu Anfang waren sie Freunde, doch dann stritten sie sich darüber, wer die größeren Kräfte besaß. Sie kämpften Hunderte und Aberhunderte von Jahren in unterschiedlicher Gestalt gegeneinander. Zunächst als zwei Adler, dann als zwei riesige Meeresungeheuer, als zwei mächtige Hirsche, als zwei Krieger, als zwei Gespenster und als zwei riesige Drachen. Und als sie erschöpft waren, verwandelten sie sich in zwei Maden.

Eine der Maden geriet in das Wasser des Cronn bei Cuailinn und wurde von einer trinkenden Kuh verschluckt. Sie brachte den Dun Cuailinn zur Welt, den braunen Stier von Cuailinn. Der Stier von Cuailinn hatte ein dunkles Fell, er war streng und stolz in all seiner Jugendlichen Kraft. Er war furchterregend, überwältigend, ungestüm und kraftstrotzend, mit wild bebenden Flanken. Tapfer, brutal, mit breiter Brust und wildgelockter Stirn, der Stirn eines wahren Stieres, schnaubend, mit einem mächtigen Maul und festem Blick. Er hatte den Zorn eines Königs und die Wut eines Ungeheuers - den Hornstoß eines Mörders, die Wildheit eines Löwen und ein Brüllen, das nur im Donner seinen Meister fand. Dreißig ausgewachsene Burschen fanden auf seinem Rücken Platz, vom Rumpf bis zum Nacken. Ein wahrer Held, und von allen geliebt war der mächtige braune Stier von Cuailinn.

Die andere Made geriet in den Quell von Connaught und wurde ebenfalls von einer Kuh verschluckt. Sie brachte den Finn Bennach zur Welt, den weißen Stier der Ebene von Ai. Dieser Stier hatte einen weißen Kopf und weise Hufe und einen roten Körper von der Farbe frischen Blutes, als hätte er darin gebadet oder sich die Brust, den Rücken und die Mähne im roten Sumpf gefärbt. Mit einem schweren Schweif und der Brust eines Hengstes, seinen eindringlichen Augen einer Kuh, dem Maul eines Lachses und den Schenkeln einer Hirschkuh ist er ungestüm in seiner Brunft, zum Triumph geboren, ist sein Brüllen erhaben und sein Ansturm ein Brausen.

Und in diesen beiden mächtigen Wesen voller Manneskraft, die beide die Geister ihrer Nation verkörpern, wohnen noch immer die beiden Druiden. Und manche sagen, wenn diese beiden Druiden nicht aufhören zu kämpfen, wird niemals Friede sein."

Thanatos schaute alle Schüler der Reihe nach an, bis jeder ehrfürchtig den Blick senkte. Dann erhob sie sich, wodurch der Stoff ihres langes schwarzes Kleid sich elegant von dem Polster des Lehrerstuhles trennte. 'Braun und weiß' , dachte Shaunee. 'Schwarz und weiß.' "Was denkt ihr wie es weiterging?" Stille legte sich über die Schülerreihen. Erst nach bestimmt 10 Minuten erhoben sich die ersten Finger. "Nicole" , nahm die Hohe Priesterin dran. Diese räusperte sich und meinte dann zögernd: "Ich glaube irgendwann hat das Licht den Körper des weiß-roten Stieres so zu sagen gewaschen, bis er nur noch weiß war. Sein Haupt war danach weißer als Schnee. Doch dadurch ist er nur noch aggressiver geworden. Er griff den braunen Stier so heftig an und umhüllte seinen Körper mit Finsternis, die schwärzer war, als Pech und dunkler als der tiefste See. Aber auch viel schöner als das. Doch nur dadurch, dass ihr Fell nun eine andere Farbe hatte, veränderte ihr Geist sich nicht. Sie bekämpften sich weiter, bis der Lugar (siehe Kapitel Acht), in dem sie sich bisher befunden hatten durch ihre Macht zerstört wurde. Den Rest kennen wir ja schon aus der letzten Stunde."

"Bravo! Das ist eine sehr plausible Antwort. Ich denke wir können davon ausgehen, dass es sich so ähnlich zugetragen hat." Mit leicht geröteten Wangen lächelte Nicole und wandte ihren Blick wieder dem Tisch zu, der anscheinend das interressanteste Zu sein schien, was sie je gesehen hatte.

"Leider ist unsere Stunde nun zu Ende. Wir werden uns nächstes Mal mit der Unsterblichkeit befassen, also schreibt ihr euch bis dahin am besten auf was ihr darüber schon wisst." , erklärte Thanatos und legte das Buch wieder in die Schublade. Shaunee merkte sich genau welche es war, vielleicht könnte sie dann später. "Shaunee!" , rief die Hohe Priesterin sie möglichst unauffällig, während die anderen Kids aus dem Raum liefen. Durch das Gewusel bahnte sie sich einen Weg zum Pult. "Erinnerst du dich an Kleopatras Ritual aus dem Handbuch?" - " J-ja." Verunsichert schaute sie Thanatos in die dunklen Augen. Wenn das so etwas wie eine Vokabelabfrage war, war das Shaunees Ende. Sie hatte alles aus der Untersekunda vergessen! Sie sah vor sich schon den Galgen, als die Vampyrin vor ihr sprach. "Ich möchte dass du einen Schutzzauber wirkst. Das Feuer ist sehr mächtig und du wirst ein ähnliches Ritual wie Kleopatra halten."

Das musste Shaunee erstmal verdauen. Sie sollte einen Schutzzauber wirken? Wow. Erin hätte sich gefreut, wäre begeistert gewesen, dass ihr Zwilling eine so große Aufgabe bekam. Dieser Gedanke machte Shaunee traurig, doch sie schob ihn beiseite, denn Thanatos fuhr fort. "Da du nun die Wandlung vollzogen hast, würde ich dir außerdem eine Stelle als Lehrer anbieten, falls du dich dazu ausbilden lassen willst." Überrascht sog Shaunee scharf die warme Luft ein. Innerlich hörte sie Erin neben sich aufquiken und sie umarmen. "In welchem Fach??" , brachte sie heraus. "Kräuter und Ritualkunde. Ich denke das ist eine deiner Stärken." , lächelte Thanatos.

"Das... ich- ich würde mich sehr freuen!" Ihre Gefühle überschlugen sich. Sie fühlte sich so gut bei dem Gedanken, den Schülern zu helfen ihre Welt zu verstehen. Sie wusste noch genau wie sie sich gefühlt hatte. Ihr einziger Trost war ihre beste Freundin, durch die sie mit diesem neuen Leben klar kam. Da wurde ihr auf einmal die Wichtigkeit der Lage bewusst. Dieser Schachzug diente nicht dazu etwas gutes zu tun, er diente dazu dass die Vampyre und Jungvampyre etwas länger überleben konnten. Es war allein wegen Neferet. "Wann soll ich den Zauber wirken?" , fragte sie grimmig. "Am besten noch heute." , lautete die Antwort.

House of night VerlassenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt