Kapitel 1/5

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Lebuin stürmt sofort los, tippt Hrodwyn an und ruft: „Komm, wir spielen fangen. Du bist dran!" Hrodwyn stürmt hinterher. Die beiden sind sehr flink, vielleicht sogar schneller als ich. Sie wirken in all ihren Bewegungen geschmeidig und elegant, gar nicht mehr so kindlich. Rätselnd schaue ich den beiden hinterher. Leider sind sie schon bald aus meinem Sichtfeld geraten.

Um eine verantwortungsbewusste Aufsichtsperson zu sein, laufe ich zügig hinterher, stelle jedoch fest, dass der Garten durch all die Beete mit teils hochragenden Sträuchern einem Labyrinth gleicht, wenn auch einem sehr schönen. Ich versuche ihrem Lachen und Rufen zu folgen, das kommt aber immer wieder aus verschiedenen Richtungen. Langsam steigt Panik in mir auf. Was, wenn sich einer verletzt, ohne dass ich es mitbekomme, und das an meinem ersten Tag hier?

In all der Hektik stolpere ich und falle, kurz bevor ich aber auf dem Boden aufkomme, greift mich von hinten ein starker Arm und zieht mich an sich heran. Die Person, den Muskeln nach eindeutig männlich, klammert mich so fest, dass ich mich nicht mehr bewegen kann. Ich kann nicht einmal sein Gesicht anschauen.

Ein rauer Geruch, der intensiv, aber nicht stechend ist, kitzelt in meiner Nase. Die Person hinter mir riecht ausgesprochen angenehm, dennoch würde ich es bevorzugen, nicht festgehalten zu werden. Ich versuche mich zu befreien, der Arm bewegt sich aber keinen Millimeter. Langsam werde ich gereizt, was soll denn das Ganze? Ich bin ja froh, aufgefangen worden zu sein, aber das geht jetzt doch zu weit. Ein warmer Atem nähert sich meiner Kehle, der Geruch wird noch stärker und es breitet sich ein kribbelndes Gefühl in mir aus.

„Nicht fallen, Kleines", flüstert eine melodische Stimme in mein Ohr. Es ist eine unbekannte Stimme.

„Bin ich ja nicht, danke dafür. Kannst du mich jetzt bitte loslassen?", sage ich, leider etwas zu hoch.

Der Mann hinter mir lacht schelmisch, wartet noch einen langen Moment ab, den Kopf nahe an meinem Hals, und lässt mich dann los. Beinahe falle ich erneut, finde aber rechtzeitig meine Balance wieder und blicke dem Mann ins Gesicht.

Wie zu erwarten setzt mein Herz kurz aus, als ich das Gesicht des wohl letzten unbekannten Grayheads erblicke. Dieser Schönheit nach zu schließen muss es Veland sein. Er hat braune, kinnlange Haare, die lässig verwuschelt sind. Er grinst mich schief und provozierend an, er ist ganz anders als die anderen Brüder, was sein Verhalten angeht. Er strahlt förmlich Selbstbewusstsein aus, er wirkt sehr eingebildet und von sich selbst überzeugt. So sehr ich so etwas hasse – und die Aktion von gerade verstärkt mein Denken darüber nur – muss ich zugeben, dass er es sich leisten kann. Er hat im wahrsten Sinne eine Adonisfigur, unter einem engen Shirt zeichnen sich detailliert seine Muskeln ab und sein Gesicht ist einfach nur wunderschön. Er hat strahlendblaue Augen und sehr männliche Züge, dennoch hat er etwas Verspieltes an sich, was ihn jugendlicher wirken lässt.

Er grinst mich jetzt noch breiter an, was vermutlich meinem staunenden Blick zu verdanken ist. Ich schließe kurz die Augen, sammle mich, versuche all mein Selbstbewusstsein zusammenzusammeln und frage: „Du bist Veland, richtig?"

Er schaut mich von oben nach unten an, ohne das auch nur ansatzweise zu verbergen. Die Zeit vergeht, bis er wieder in mein Gesicht schaut. Mir ist das sehr unangenehm. Ich fühle mich fast schon nackt, so eindringlich war seine Musterung. Er antwortet nicht, sondern zieht nur eine Augenbraue nach oben. Ich schaue ihn perplex an, unsicher, was ich jetzt machen soll. Ich räuspere mich.

„Oder etwa nicht?"

Es vergeht ein weiterer Moment, dann kommt er zu dem Schluss, dass er vielleicht doch antworten sollte.

„Kleines, du bist das neue Au-pair", sagt er abfällig.

Wut steigt in mir auf.

„Ja und?", antworte ich trotzig. Wenn er sich so unhöflich verhält, kann er auch keine Höflichkeit meinerseits erwarten.

„Du stellt zu viele Fragen", sagt er genervt.

Ich schnaube. Dass er sich so verhält, ist wirklich furchtbar. Es können nicht alle solche Gentlemen sein wie der Rest der Familie, das ist mir klar, aber so abfällig zu reden ist dennoch zu viel des Guten. Ich öffne den Mund, mir fällt aber kein angemessener Konter ein, also schließe ich ihn wieder.

Das scheint mein Gegenüber sehr zu amüsieren, es breitet sich wieder dieses schiefe, ignorante Lächeln auf seinem wunderschönen Gesicht aus. Ich verfluche mich selbst dafür, dass ich trotz allem seine Schönheit nicht verläugnen kann.

„Veland!", ruft Hrodwyn und stürmt auf ihren großen Bruder zu, gefolgt von Lebuin. Sie rennen in seine Arme und Veland fängt die Zwillinge problemlos auf. Ihnen gegenüber scheint er nicht so ein ignoranter Idiot zu sein. Tatsächlich wirkt er einen Moment wirklich herzlich, bis er meinen Blick auffängt und seine Fassade wieder hochzieht.

„Du solltest besser auf sie aufpassen, anstatt dich in meine Arme zu werfen."

„Ich habe nicht –"

„Mach einfach deine Arbeit", unterbricht er mich, „auch wenn ich weiß, dass du mir nicht wiederstehen kannst." Sein schelmisches Grinsen breitet sich wieder aus. Er lässt die beiden Geschwister runter und sagt viel freundlicher zu ihnen: „Passt auf die Kleine auf, sie macht sonst noch dumme Sachen."

Mir ein letztes spöttisches Grinsen zuwerfend biegt er in den nächsten Weg ein und ist damit verschwunden. Völlig außer mir blicke ich ihm hinterher. Das kann doch nicht wahr sein, was erlaubt er sich überhaupt! So ein –

„Ich glaub er mag dich", ertönt hinter mir Hrodwyns helle Stimme.

„Was?"

„Ja, ich glaube er mag dich. Immer wenn er jemanden ärgert, mag er ihn. Mich zieht er auch immer auf, aber eigentlich hat er mich doch lieb."

Ich lächle ironisch. Vor den Kindern will ich aber nicht schlecht über ihren Bruder reden. Kinder haben so eine einfache Weltvorstellung, die hätte ich auch gerne.

„Ich glaube, bei mir ist das was anderes, aber egal. Vergessen wir jetzt erstmal Veland und haben noch ein bisschen Spaß zusammen."

Ich renne auf Lebuin zu, tippe ihn an und rufe: „Du bist dran! Du fängst mich nie!"


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