Salvation

Kapitel 2/1

Tatsächlich fangen mich die Zwillinge den ganzen Nachmittag noch sehr oft. Wie ich dachte, sind sie schneller als ich. Natürlich kennen sie die ganzen geheimen Wege im Garten, jedenfalls schiebe ich ihren Sieg auf den Heimvorteil.

Am Abend liege ich erschöpft auf meinem Bett und denke über die Grayheads nach. Es ist eine sehr spezielle Familie, wie sie mir noch nie untergekommen ist. Sie alle sind nicht normal, wobei Mylentun und Aelfric einfach nur Gentlemen sind, jedenfalls oberflächlich. Aelfric hat sicherlich auch noch eine dem Alter entsprechendere Seite. Die beiden sind wirklich nett und mit ihnen werde ich mich sicherlich auch in Zukunft gut verstehen. Die Kinder sind auch herzallerliebst, zwar ebenfalls außergewöhnlich, aber sehr lieb. Raedwulf kann ich nicht einschätzen, diese kurze Begegnung heute Morgen war nicht wirklich aussagekräftig. Er ist vermutlich einfach nur schüchtern gegenüber Fremden.

Wer mir allerdings wirklich zu schaffen macht, ist Veland. Sein Verhalten war extrem abfällig und inakzeptabel. Wenn er nicht aufhören sollte, so ein Arsch zu sein, werde ich mal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden müssen, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie ich das anstellen sollte. Ich bin ihm momentan eindeutig auf vielerlei Art und Weise unterlegen. Hoffe ich einfach mal, dass ich ihm nicht allzu oft begegnen werde.

Ich beschließe, meine Eltern anzurufen. Seit meiner Ankunft habe ich mich noch nicht bei ihnen gemeldet. Also krame ich aus den Tiefen meiner Koffer mein Handy raus und wähle die Nummer meiner Eltern. Es dauert nicht lange, bis sich meine Mutter meldet. Als sie hört, wer am Telefon ist, wird sie ganz aufgeregt.

„Hallo Schatz, wie geht's dir? Wir haben schon gedacht, du meldest dich nie. Also erzähl alles, wie ist es bei dir so? Wie ist die Gastfamilie? Sind die Kinder lieb? Und-"

„Alles gut, Mama, ich erzähle dir alles, beruhige dich", sage ich und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Sie ist wie eine beste Freundin zu mir, das war sie schon immer, und sie ist total aufgeregt, weil ich jetzt aus dem Haus bin. Vermutlich sind Mütter bei Einzelkindern einfach so. Auf mich legt sie immer besonders viel Wert, weil sie eigentlich mehr Kinder haben wollte, es aber nie funktioniert hat. Darum sorgt sie sich immer sehr um mein Wohlbefinden.

„Also, ich bin gut angekommen, die Familie ist... nett. Die Kinder sind wirklich süß. Hier leben noch drei andere Söhne in meinem Alter und der Vater."

„So viele? Und alles Männer? Gibt es keine Mutter?"

„Doch, aber sie ist anscheinend schon vor Jahren gestorben. Das eine der Kinder, auf die ich aufpassen soll, ist ein Mädchen, sie heißt Hrodwyn."

„Das ist aber ein schöner Name, wie heißen die anderen?"

Ich laufe zu meinem Fenster und schaue in die Nacht hinaus. Der Garten liegt friedlich da.

„Lebuin ist Hrodwyns Zwillingsbruder, der Vater heißt Mylentun. Die Jungen Aelfric, Veland und Raedwulf."

„Das sind ja seltsame Namen, so alt", sagt meine Mutter verwundert. Jetzt, da sie das sagt, wird mir das auch bewusst. Zwar ist mir das auch aufgefallen, ich habe es aber nicht wirklich wahrgenommen.

„Ja, du hast recht, aber Mama, die sind auch nicht ganz normal. Vielleicht liegt es an England, ich weiß es nicht. Aber einer Familie wie dieser bin ich noch nie begegnet. Teils wahre Gentlemen, teils... ganz anders", schließe ich.

Meine Mutter macht eine Pause, dann sagt sie beruhigend: „Mach dich nicht nervös, das ist bestimmt nur, weil das alles so neu für dich ist. Warte erstmal ab und lerne sie richtig kennen, dann kannst du erst richtig urteilen."

Es klopft an der Tür. Ich drehe mich hastig um. Aelfric steht in der Tür und sieht mich an. Bei seinem Anblick läuft mir ein Schauder über den Rücken. Ich werde mich an die Schönheit der sechs Grayheads gewöhnen müssen.

„Mama, ich muss jetzt auflegen. Ich schreib euch mal wieder eine Mail oder rufe euch an, ok? Grüße Papa von mir. Hab euch lieb!"

„Alles klar, Schatz, melde dich bald wieder. Wir lieben dich auch. Tschüss."

Ich lege auf und schaue Aelfric neugierig an. Er lächelt, tritt weiter in den Raum ein und schließt die Tür hinter sich.