Kapitel 2/2

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„Ich dachte, WLAN wäre ganz hilfreich", er reicht mir einen beschriebenen Zettel, „hier ist das Passwort."

Ich bedanke mich und nehme den Zettel, auf dem in gewundener, ordentlicher Schrift eine Zahlen- und Buchstabenaneinanderreihung steht.

„Das ist wirklich sehr aufmerksam von dir."

„Gerne doch. Wegen morgen: du kannst mit uns dreien zur Uni fahren. Wir können dir dann gleich alles dort zeigen. In Zukunft wollte mein Vater dir, soweit ich weiß, ein eigenes Auto zur Verfügung stellen. Aber ich glaube für morgen ist es einfacher, wenn du dir erstmal alles anschaust."

Ich nicke und weiche seinem Blick aus. Ich will lieber auf Nummer sicher gehen, ich kann meinem Körper, diesem Verräter, nicht länger vertrauen, wenn ein Grayhead in der Nähe ist.

„Alles ok mit dir?", fragt Aelfric prüfend und tritt ein paar Schritte näher. Meine Augen treffen seinen Blick, der sich tief in sie bohrt. Ich habe den Eindruck, er wolle mir bis in die Seele schauen. Mir stockt der Atem und mein Puls beginnt zu rasen.

„Äh... klar", sage ich mit kratzender Stimme. Aelfric schaut mich zweifelnd an.

„Wenn dich irgendetwas bedrückt, kannst du damit zu mir kommen. Ich höre dir gerne zu."

Sein Blick dringt noch tiefer in mich ein und bringt mich vollkommen durcheinander. Seine Stimme ist so beruhigend, wie ein Gutenachtlied.

„Es ist Veland", platze ich heraus, ohne dass ich das gewollt hätte. Ich laufe rot an. Aelfrics Augen werden eisig und er bricht den Blickkontakt ab. Er schaut aus dem Fenster. Ich nutze diese Gelegenheit, um mich zu sammeln. Vergeblich versuche ich mich auf meinen Atem zu konzentrieren, was jedoch nicht einfach ist, da ich merke, wie nahe Aelfric mir gekommen ist. Es sind nur ein halber Meter Abstand zwischen uns.

„Das tut mir furchtbar leid, leider kann ich nicht behaupten, dass er nicht immer so ist. Hat er dir etwas angetan?", fragt er bitter.

„Nein, das nicht", sage ich perplex. Die Art, wie er das sagt, macht mir Angst. Wenn sein eigener Bruder schon denkt, Veland wäre zu solchen Sachen fähig, dann ist das kein gutes Zeichen. Meine Kehle schnürt sich zu. Was soll das hier nur werden? Was habe ich mir dabei gedacht, von meiner Familie wegzuziehen zu einer solch fremden Familie.

Die Gefühle, die so plötzlich in mir aufsteigen, kann ich nur mühsam zurückhalten. Auch das ist nicht typisch für mich, normalerweise bin ich ein rationaler, kein emotionaler Mensch. Was macht das alles hier mit mir? Eine neue Ladung Emotionen versucht, herauszubrechen.

Plötzlich bin ich in Aelfrics Armen. Seine Umarmung ist eiskalt, doch geht es mir gleich besser. Jetzt ist es wieder mein Herz, das mir zu schaffen macht, so schnell schlägt es.

„Mach dir keine Sorgen, Veland tut dir nichts, dafür werde ich schon sorgen. Er... er wird sich schon in den Griff bekommen. Ich werde mit ihm reden."

Er streicht mit seiner Hand sanft meinen Rücken entlang. Ein wohliges Gefühl breitet sich in mir aus.

„Danke", sage ich erneut, jetzt beherrschter.

Aelfric hält mich noch einen Moment, dann tritt er zurück, räuspert sich und schaut mich entschuldigend an.

„Ich werde es am besten gleich machen", sagt er, etwas beschämt, als ob er mir mit der Umarmung zu Nahe getreten wäre. Das ist er vermutlich auch, dennoch war es eine sehr schöne Umarmung.

Ich bedanke mich erneut, ebenfalls verunsichert. Aelfric lächelt mich ein letztes Mal an und verschwindet dann aus dem Raum.

Noch erschöpfter als zuvor lasse ich mich auf mein Bett fallen. Diese Familie macht mich noch völlig fertig. Ob es nun nur an ihrer Schönheit liegt, wobei ich mich nicht als so oberflächlich einschätzen würde, oder an etwas anderem, es wäre einfacher, sie hätten es nicht.

Aelfric scheint irgendwie immer zu wissen, was in mir vorgeht. Bei beiden Gesprächen hat er so oft eher auf meine Gedanken, als auf meine Aussagen geantwortet. Das macht mich jetzt noch fast verrückter als Velands Verhalten. Ich versuche, diese Gedanken zu verbannen und mir nicht Sachen einzubilden, die nicht da sind. Vermutlich kommen durch dieses Haus einfach nur Erinnerungen an Filme oder Bücher hoch, die ich viel zu sehr auf die Realität beziehe.

Ich stehe auf und gehe ins Bad. Dort hängt ein großer Spiegel, in dem ich mich begutachte. In so einem Prachtspiegel habe ich mich noch nie angeschaut. Obwohl ich sehr fertig bin, kann sich mein Spiegelbild immer noch sehen lassen. Ich habe große, blaue Augen, schulterlanges, braunes Haar und eine schlanke Figur. Ich würde mich, ohne eingebildet klingen zu wollen, als hübsch bezeichnen. Oberer Durchschnitt vielleicht. Natürlich nichts im Vergleich zu den Grayheads.

Ich seufze und dusche mich ab. Dann putze ich meine Zähne und ziehe ein schönes Nachthemd von mir an, das ganz samten ist. Als ich damit fertig bin, schlüpfe ich in mein Bett und schlafe fast sofort ein.


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