Kapitel 4/1

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„Kleine? Was machst du denn hier?"

Die Spannung fällt von mir ab. Vollkommen erschöpft sinke ich zu Boden. Die Tränen laufen mir übers Gesicht. Es ist Veland! Einfach nur Veland. Schritte nähern sich mir. Eine Hand berührt meinen Rücken, tröstend.

„Kleine?"

Ich schluchze laut auf. Die ganze Aufregung, Anspannung und Müdigkeit kommen nun zum Vorschein. Ich kann meine Tränen nicht aufhalten. Veland nimmt mich behutsam in die Arme. Ich klammere mich an ihn, immer noch zittern. Froh darüber, dass eine bekannte Seele bei mir ist, auch wenn es der arrogante Veland ist.

Dieser ist jetzt aber gar nicht mehr arrogant. Sanft und vorsichtig hält er mich, streicht über meinen Rücken und lässt mich an seiner harten Brust ausheulen. Wir hocken so eine ganze Weile am Boden. Ich in Velands starken, schützenden Armen. Er streicht mir über mein Haar. Seine eigentlich kalte Hand erscheint mir warm. Die Wärme dringt in mein Inneres und schenkt mir Trost.

Nach Minuten habe ich mich wieder einigermaßen beruhigt, klammere mich aber weiter an Velands starke Brust. Dort fühle ich mich geborgen.

„Warum bist du hier draußen?", fragt er mich leise und ruhig.

„Das gleiche könnte ich dich fragen", sage ich. Es soll nach einem Witz klingen, es hört sich aber eher nach einem furchtbaren Krächzen an. Veland lacht trotzdem leise vor sich hin. Seine Brust vibriert unter meinem Kopf. Weiter streicht er mir über mein Haar. So könnte ich jetzt einschlafen. Auch wenn es um mich herum kalt ist, fühle ich mich jetzt warm.

Weitere Minuten vergehen, in denen ich nicht mehr schluchze, sondern einfach die Gesellschaft von jemandem an diesem düsteren Ort genieße, der mir jetzt nicht mehr ganz so düster erscheint.

„Du bist ja schon wieder in meinen Armen, sagte ich nicht, du sollest dich nicht mehr so in sie werfen?", fragt Veland, doch es ist ein Scherz. Ich lache und schaue zu ihm auf.

Er erwidert meinen Blick und wischt mir vorsichtig mit einer Hand die Tränen von meiner Wange. Sie hinterlassen eine warme Spur. Ich bin von Velands Einfühlsamkeit fasziniert, nach allem, was bisher geschehen ist, kann er also doch lieb sein. Ich fühle mich kein bisschen gefährdet, auch wenn ich mir immer noch sicher bin, dass hinter dem Ganzen etwas anderes steckt. Geborgenheit ist eher das, was ich gerade empfinde. Ich habe absolut kein Bedürfnis, diese Haltung aufzugeben. Auch Veland scheint kein Problem damit zu haben, weiter hier zu hocken, obwohl er in einer etwas unangenehmeren Position ist.

Seine blauen Augen sind hell und leuchtend. Sie bringen Licht in diese Dunkelheit. Veland streicht mir eine Haarsträhne, die mir ins Gesicht gefallen ist, hinter mein Ohr, und lässt seine Hand hinter meinem Kopf liegen. Seine Finger graben sich sanft in mein Haar. Sein Gesicht ist nur Zentimeter von meinem entfernt.

„Aber Kleine, im Ernst, warum bist du hier?"

Sein verlockender Atmen trifft auf mein Gesicht. Ich schlucke und schaue hinab auf seine Brust, dessen Muskeln sich unter seinem dünnen Pullover abzeichnen. Erst jetzt fällt mir auf, dass er tatsächlich nicht einmal eine Jacke anhat. Unglaublich, bei dieser Kälte. Es fällt mir schwer zu antworten. Ich kann nicht mehr nachempfinden, warum ich in den Wald gegangen bin. Es war einfach eine sehr dumme Idee.

„Ich musste raus, ich weiß auch nicht. Es musste einfach sein", antworte ich schwach.

Veland lacht wieder, es beruhigt mich noch mehr. Er kann uns bestimmt vor den Wölfen schützen. Sie würden sicherlich nicht angreifen, wenn Veland sich vor ihnen aufbaut.

„Die Wölfe, ich habe Wölfe gehört. Sie waren ganz nah. Ich habe Panik bekommen", versuche ich mich zu rechtfertigen. Veland schweigt einen Moment.

„Ja, sie können gefährlich sein. Deine Panik war nicht ganz unbegründet."

Ich blicke wieder zu ihm empor. Er grinst mich hämisch an.

„Aber keine Sorgen, ich beschütze dich natürlich vor dem bösen Wolf", sagt er grinsend. Er gewinnt also wieder etwas von seiner selbstgefälligen Art zurück, trotzdem kann ich in seinen Augen sehen, dass er es nicht ernst meint. Oder nur ein bisschen. Er jedenfalls scheint sich nicht vor den Wölfen zu fürchten. Ich grinse zurück.

„Du bist wohl gefährlicher als die Wölfe?"

Velands Lächeln vergeht, es wirkt nicht mehr echt. Etwas Ernsthaftes schleicht sich in seine Züge, was gar nicht zu ihm passt.

„Sozusagen."

Wir schweigen einen weiteren Moment. Vielleicht meint er es so, vielleicht ist er wirklich gefährlicher. Aber warum fühle ich mich dann so sicher? Wenn er mir etwas hätte antuen wollen, dann hätte er es doch schon längst gemacht, anstatt mich seinen schönen Pullover vollheulen zu lassen.

„Es ist bald Morgen, wir sollten gehen, du brauchst bestimmt Schlaf. Oder schwänzt du die Uni?", meint Veland, wieder seine Selbstsicherheit zurückgewonnen. Ich spüre, wie ich immer müder werde. Ich kann schon fast nicht mehr die Augen offenhalten. Das alles war viel zu aufregend. Langsam schüttle ich den Kopf.

„Nein ich muss in die Uni, es ist doch mein zweiter Tag. Ist es weit bis zum Haus?"

Veland grinst mich schief an.

„Das ist Ansichtssache."

Plötzlich packt er mich und springt auf, mich in den Armen mit einem selbstgefälligen Ausdruck im Gesicht.

„Spinnst du? Lass mich runter!", beschwere ich mich mit klopfendem Herzen, von der schnellen Bewegung geschockt. Veland packt mich aber nur noch fester und geht los. Ihm scheint es nicht anstrengend zu sein, mich zu tragen. Unter mir spüre ich seine muskulösen, kräftigen Arme. Ich versuche mich zu befreien, schaffe es aber nicht. Veland beachtet meine Versuche nicht mal.

So läuft er also in einer angenehmen Geschwindigkeit. Ich bemerke, dass es keinen Sinn macht, ihm entkommen zu wollen, und lasse mich tragen. Nach einigen Schritten überkommt mich die Müdigkeit voll und ganz und obwohl ich dagegen ankämpfe, fühle ich mich gerade einfach zu geborgen. Leise schließe ich meine Augen und werde von Velands gleichmäßigen Schritten in den Schlaf geschaukelt.



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